Traditionstanz:Schwarze Nase für den Oberschwarzen

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Horst Seehofer bekommt von den Schäfflern nicht nur den traditionellen Schnaps, sondern auch Zuneigung. Der erste Tanz gelte stets dem König, sagen sie und eröffnen ihre außerplanmäßige Saison in der Staatskanzlei

Von Anna Hoben

Der Mann an der Treppe hat ganz schön zu tun, das Volk zurückzuhalten. Man könnte meinen, hier werde gleich der Sturm auf die Bastille nachgespielt. In Wirklichkeit ist es so, dass die Schäffler da sind, um ein Tänzchen aufs Parkett der Staatskanzlei zu legen. Etwa 100 Leute sind gekommen, um sie zu sehen, und sie wollen endlich hoch in den Saal. Man kann ihnen die positive Aufregung nicht verübeln, denn die Schäffler machen sich bekanntlich rar. Den Regeln nach tanzen sie ihren Tanz nur alle sieben Jahre. Tatsächlich gibt es zwar zwischendurch auch immer wieder kleine Zwischenspiele, vor allem bei Festen, die irgendwie mit Bier zu tun haben. Alle zwei Jahre sind sie beim Brauertag am Viktualienmarkt zu sehen. Brauer und Fassmacher pflegen verständlicherweise eine besondere Beziehung zueinander, das erlaubt die Abweichung vom üblichen Rhythmus. Und im vergangenen Jahr sind sie bei der Feier zum 500-jährigen Bestehens des Reinheitsgebots aufgetreten.

Am Dienstag kamen alteingesessene Münchner, Kindergartengruppen und Touristen, um sich das Spektakel anzusehen. (Foto: Florian Peljak)

Auch heuer ist es ein 500. Geburtstag, der abweichend vom Sieben-Jahres-Rhythmus gefeiert wird, und zwar der eigene. Vor einem halben Jahrtausend haben die Schäffler der Legende nach zum ersten Mal ihren Tanz aufgeführt. Nachdem die Pest einen großen Teil der Münchner Stadtbevölkerung dahingerafft hatte, sollen die Schäffler im Jahr 1517 den Verbliebenen mit ihrem Tanz den Lebensmut zurückgebracht haben. Schaut man sich die historischen Tatsachen an, kann es so zwar nicht gewesen sein, aber das spielt offenbar keine Rolle - Jubiläum ist Jubiläum.

Alle sieben Jahre legen sich die Schäffler ihre Kostüme an, lassen Holzbögen mit Buchslaub schmücken und machen sich auf den Weg zur Staatskanzlei. (Foto: Florian Peljak)

Weil es an diesem Tag immer wieder regnet, ist der Auftritt vom Freien in den Kuppelsaal der Staatskanzlei verlegt worden; auf diese Weise bleiben die Freistaatsoberhäupter trocken. Elfriede Wiesnet hat sich vom Regen nicht abschrecken lassen; die 87-Jährige hat sich von Neuhausen aus auf den Weg gemacht. Mit ihrem Rollator steht sie nun am Eingang der Staatskanzlei und wartet. "Sie müssten doch schon bald kommen." 1947 habe sie zum ersten Mal die Schäffler tanzen gesehen, erzählt sie, "und dann fast immer". Damals habe noch ihr Ehemann mitgetanzt, ein Sportler sei er gewesen, "schön war die Zeit". Heute lebt er nicht mehr, aber die Schäffler zu sehen, das lässt sie sich nicht nehmen. "Ich mag vor allem die Musik", sagt sie.

Und irgendwann kommen sie, das Volk wird in den Kuppelsaal gelassen, und Elfriede Wiesnet ergattert einen Premiumplatz direkt an der Absperrung. Einsatz Musikkapelle, Einmarsch Schäffler, Auftritt der zwei Kasperl, die den Zuschauern erst einmal zeigen, wer hier in der Staatskanzlei jetzt die Macht hat, jedenfalls für eine halbe Stunde. Sie nämlich, die Kasperl, die herumspringen und den Leuten die Nasen mit schwarzer Farbe anmalen, Bürgern wie Freistaatsbeamten. Nach einer Weile kriegt auch Ministerpräsident Horst Seehofer eine schwarze Nase, bevor die Schäffler ihm einen Schnaps einflößen. Im zweiten Teil der Choreografie lässt der Ministerpräsident sich dann sogar zum Mitklatschen hinreißen; zuvor hatte er so unbewegt da gestanden, dass man ihn fast mit einer der Marmorsäulen hätte verwechseln können. Seiner Gunst vollends sicher sein können sich die Schäffler ab dem Zeitpunkt, als sie erklären, dass der erste Tanz traditionell immer vor dem bayerischen König stattfand. Großes Seehofer-Lachen. Für seine Rede hieven die Schäffler ihn nach ihrem Tanz auf ein Fass. "Ein Fass unter den Füßen ist besser als ein Brett vor dem Kopf", stellt der Ministerpräsident fest und lobt München, die "schönste, beste Stadt auf der ganzen Erde", wozu mit Sicherheit auch die Schäffler beitragen. Ganz schön dicht gebunden - und damit ordentlich schwer - seien die mit Buchslaub geschmückten Bögen heuer gewesen, verrät Peter Schmid nach dem Tanz. Der 27 Jahre alte Fassmacher ist einer der jüngsten in der Tanzgruppe. Seit zehn Jahren ist er dabei, weil es Spaß macht, und weil er mithelfen will, "die Tradition zu bewahren". Ein Mittänzer drückt ihm eine Halbe in die Hand. Und Elfriede Wiesnet macht sich auf den Weg zur Trambahn. Schön ist es gewesen, sagt sie, so wie damals, 1947, in ihrem ersten Schäffler-Jahr. "So wie immer."

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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