Trabrennbahn Daglfing:Offenes Rennen

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Noch immer ziehen die Gespanne auf der Bahn in Daglfing ihre Runden, vorbei an tristen Siebzigerjahre-Fassaden riesiger Tribünenhäuser. (Foto: Claus Schunk)

Die Trabrennbahn in Daglfing sollte eigentlich längst umgezogen sein und Platz für neue Wohnungen gemacht haben. Dies verhindert seit Jahren ein Rechtsstreit - dessen Ausgang völlig ungewiss ist

Von Andreas Liebmann

Die Trabrennbahn in Daglfing ist ein Kuriosum. Es dürfte sie eigentlich längst nicht mehr geben, denn der Münchner Trabrenn- und Zuchtverein (MTZV) hat sie aus Geldnot verkauft, vor mehr als zehn Jahren schon. Er hätte damals zeitnah fortziehen sollen, auf ein neues Geläuf, das der Käufer vertragsgemäß anderswo hätte errichten müssen. Doch noch immer ziehen die Gespanne auf der traditionsreichen Bahn im Münchner Nordosten ihre Runden; vorbei an tristen Siebzigerjahre-Fassaden riesiger Tribünenhäuser. Und das wird auch noch einige Jahre so bleiben. Fast als wäre es eine Art Geisterbahn.

Seit dieser Woche scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Der Käufer, ein Unternehmen der niederbayerischen Karl-Gruppe, hat einen Bauantrag in Maisach gestellt, der nun am Donnerstag genehmigt wurde. Auf dem Gelände eines ehemaligen Fliegerhorsts, das Firmenchef Günther Karl vor zehn Jahren schon als Ausweichort für die Traber erworben hat, will er etwas errichten, das so konkret klingt, als könne man es bereits anfassen: 1000 Meter Trabrennbahn, eine Wetthalle, je ein Gebäude für Stallungen und Technik, 444 Stellplätze. Spätestens 2020 solle die Anlage fertig sein, heißt es. Baubeginn: offen. Doch es ist nicht auszuschließen, dass es sich in Wirklichkeit bei diesem Projekt um eine Geisterbahn handelt. Denn die MTZV-Mitglieder wollen mehrheitlich erstens nicht umziehen und zweitens schon gar nicht nach Maisach. Sie haben den Verkauf juristisch angefochten - in erster Instanz ohne Erfolg. Und Karl selbst hat in einem Vergleichsangebot, das den Mitgliedern im vergangenen Dezember vorgestellt wurde, einen Neubau angeboten an einem Ort, der vom MTZV "frei wählbar" sei. Warum nun also doch Maisach?

Die Sache ist eigentlich einfach. Aus Naturschutzgründen - Teile des Geländes gelten als Flora-Fauna-Habitat (FFH) - waren die Planungen in Maisach höchst kompliziert, der Bebauungsplan wurde geteilt, immer wieder musste nachgebessert werden. Nun erst sei man soweit, dass ein Bauantrag möglich sei, bestätigt Stefan Gigl, zuständiger Projektleiter der Karl-Gruppe. Und damit musste der Käufer diesen Antrag auch stellen. Denn die Fristen für einen Neubau sind - je nach juristischer Auffassung - seit 2014, vielleicht sogar schon seit 2007 abgelaufen. Nur einer von vielen Streitpunkten. Bislang konnte das Unternehmen für sich reklamieren, dass es an den Verzögerungen keine Schuld treffe. Weshalb nun auch Angelika Gramüller, die Vorsitzende des MTZV, weit davon entfernt ist, die ersten Sulkys nach Maisach zu schicken. "Herr Karl musste diesen Antrag pflichtgemäß stellen, weil das in Maisach nun endlich möglich ist", erklärt sie auf Nachfrage. "Das geschieht völlig ungeachtet der Frage, was wir wollen." Sprich: Ein Umzug nach Maisach ist aus ihrer Sicht noch keine Hufbreite näher gerückt. Es ist völlig unklar, was der Verein will. Vor knapp einem Jahr hatten die Mitglieder die Entscheidung darüber vertagt, ob sie einen Vergleich mit dem Käufer anstreben oder erneut gegen ihn vor Gericht ziehen wollen. Seitdem ist nichts passiert.

Zumindest nicht im Verein, rundherum schon. Die riesigen Freiflächen in Daglfing sind Teil einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme. Die Stadt plant hier ein neues Viertel mit etwa 15 000 Wohnungen. Die Trab- wie die Galopprennbahn und auch das Olympia-Reitsportzentrum sind Teil der betreffenden Fläche. Längst ist allen Beteiligten klar, dass man für Bauland dieser Größenordnung einen dreistelligen Millionenbetrag aufrufen kann. Bis zu 1200 Wohneinheiten könnten Schätzungen zufolge auf dem Rennbahngelände entstehen.

Den Verkauf des 20 Hektar großen Grundstücks im Jahr 2005 hatte der damalige MTZV-Präsident Max Stadler vorangetrieben, um eine angebliche Insolvenz zu verhindern. Der Verein erhielt 11,5 Millionen Euro und die Zusicherung der neuen Rennbahn. Die Mitglieder stimmten zu, doch später fühlten sich viele über den Tisch gezogen. Der Kaufpreis sei auch zum damaligen Stand sittenwidrig niedrig gewesen und der Käufer habe Fristen nicht eingehalten, lauteten zwei Argumente in dem Rechtsstreit, mit dem der MTZV das Grundstück zurückholen wollte. Finanziert wurden die Klage und der laufende Betrieb von Ehrenmitglied Otto Stumpf, doch der zog sich nach der Niederlage in der ersten Instanz zurück. Seine Kredite an den Verein soll er an Karl veräußert haben, der von ihm installierte Präsident Peter Schrägle wurde aus dem Amt gedrängt.

Der neue Vorstand um Gramüller steht einem Vergleich mit der Karl-Gruppe nun sehr offen gegenüber. "Herr Karl ist nicht unser Feind", sagt die Präsidentin, die die Chancen, in zweiter Instanz zu siegen, für verschwindend gering hält. Das allerdings sehen die von ihrem Vorgänger beauftragten Anwälte ganz anders, und viele Mitglieder tendieren dazu, mit ihnen weiter um die Rückerlangung des Vereinsgeländes zu kämpfen. Wenn, ja wenn der Verein nur das nötige Geld dafür hätte.

Seit Monaten wird daher mit möglichen Investoren verhandelt, die bereit wären, dem Verein deutlich mehr zu bezahlen; die den weiteren Rechtsstreit auf eigenes Risiko finanzieren und im Erfolgsfall gemeinsam mit Verein und Stadt das Gelände entwickeln würden. "Die Investoren stehen nicht Schlange", sagt Gramüller, aber es gebe Interessenten. Nur die Verhandlungen zögen sich, und es sei schwierig, derweil den laufenden Betrieb zu finanzieren. Ihre letzte Deadline ist im vergangenen Februar verstrichen, noch immer gab es keine Mitgliederversammlung. "Die Entscheidung muss in diesem Jahr noch fallen", fordert sie. Ginge der Verein insolvent, fiele das umstrittene Grundstück an den Freistaat Bayern als Rechtsnachfolger.

Wollte man heute eine Wette abschließen, wäre Maisach als neuer Rennbahn-Standort also trotz des Bauantrags noch immer ein riskanter Tipp. Weniger falsch machen kann man wohl mit dieser Prognose: Einige Jahre werden die Traber in Dagl-fing noch ihre Runden drehen - übrigens sogar mit verbesserten Aussichten, weil der französische Wettanbieter PMU sein Engagement für 2017 deutlich erhöht. Dann werden sie irgendwann umziehen, wohin auch immer, vielleicht sogar nach Maisach. Und auf der heutigen Rennbahn dürften Wohnungen entstehen.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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