Toni Netzle:Ein Hoch auf die Kratzbürste

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Toni Netzle war jahrelang Wirtin des legendären Alten Simpl. Ihr 80. Geburtstag lebt von alten Anekdoten über Brigitte Bardot oder Rudi Carrell.

Thomas Becker

Nach und nach treibt es alle hinaus auf die Bergmannstraße: Otti Fischer, Regisseur Hans Korte, Fußballer Paul Breitner, Kabarettist Rainer Basedow, den demonstrativ unrasierten Horst Janson - und schließlich auch die Jubilarin. Toni Netzle ist ein bisschen blass um die Nase, als sie kurzzeitig den nahezu luftleeren Räumlichkeiten des heillos überfüllten Camps Bay entflieht.

Innerhalb einer Stunde haben ihre rund 150 Geburtstagsgäste bei Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat jeglichen Sauerstoff in der Gaststätte aufgebraucht - und quasseln trotzdem weiter, mit beachtenswerter Hingabe und Lautstärke. Wer weiß, wann man sich mal wieder sieht? Netzle ist immerhin 80 geworden.

Tapfer posiert sie für die Fotografen mit den alten Weggefährten aus ihrer Zeit im Alten Simpl, dieser Schwabinger Institution in der Türkenstraße, die einst die Prominenz anzog: Rudi Carrell, Duke Ellington, Gert Fröbe, Brigitte Bardot, Udo Lindenberg, Gina Lollobrigida, Curd Jürgens, Luggi Waldleitner, Liv Ullmann oder Franz Josef Strauß.

32 Jahre war sie dort Chefin - und eine zuweilen nicht ganz pflegeleichte Person, wie sich Ottfried Fischer erinnert: "Sie war eigentlich eine Un-Wirtin, eine rechte Kratzbürste." Trotzdem war Fischer seit 1977 "eigentlich immer da; ich war da polizeilich gemeldet".

Die Anekdote, als Netzle einst Robert de Niro nicht in den "Simpl" reinließ, habe Fischer "zwar nicht selbst erlebt, aber ich traue es ihr zu". "Sie hat den Simpl gerade und aufrichtig gemacht. Erst als sie weg war, hat man gemerkt, was fehlt."

Weg war Netzle 1992. Eine letzte Rettungsaktion einiger Künstlerfreunde blieb erfolglos. "Die Zeit des Simpl war irgendwann vorbei", sagt Otti Fischer, "man hat zu sehr im eigenen Saft geschmort". "Und nur mit drei Stammtischen und ein paar Regisseuren, die zwei Glas Wein trinken, ist das nicht zu halten." Netzle, die ehemalige Falckenberg-Schülerin, stieg wieder auf die Schauspielbühne, zuletzt vor allem im "Komödienstadel".

Und ein Buch hat sie geschrieben, über den Simpl natürlich. Ihre Lesung im Westend bleibt im Getümmel zwar weitgehend ungehört, aber lesen kann man ja auch zu Hause. Dann lieber noch ein paar Erinnerungen auffrischen!

© SZ vom 30.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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