Tonarbeiten in der Küche:Der Kopf

Lesezeit: 3 min

Ein echter Witzigmann: Bertrand Freiesleben bearbeitete den Ton, bis die Porträtbüste vom Starkoch Gestalt annimmt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Große Köche des Jahrhunderts: Der Künstler Bertrand Freiesleben macht eine Porträtbüste von Eckart Witzigmann

Von Franz Kotteder, München

Einerseits ist es ja beruhigend, dass so etwas auch berühmteren Menschen passiert. Andererseits hat man natürlich Mitleid mit Eckart Witzigmann: Just einen Tag, bevor sich der Berliner Bildhauer Bertrand Freiesleben angekündigt hatte, um eine Büste von ihm anzufertigen, war Witzigmann auf Glatteis ausgerutscht und hatte sich eine fette Platzwunde auf der Stirn zugezogen. Nun steht er da mit dem Pflaster oberhalb des rechten Auges. Freiesleben schaut ihn etwas besorgt an, aber nur ein wenig. "Das müsste schon gehen", sagt er dann, "es ist ja nicht sehr stark geschwollen. Aber das kann sich morgen schon noch ändern."

Freiesleben ist nicht alleine angereist, in seinem Tross befinden sich auch eine Fotografin und ein Kameramann, die die Entstehung der Büste dokumentieren sollen. Ihre Aufzeichnungen sind Teil des Kunstwerks. "Ich habe mit Konzeptkunst angefangen", erzählt Freiesleben, und tatsächlich hat seine Vorgehensweise ja etwas Konzeptuelles. Auch wenn das eigentliche Ergebnis, die spätere Bronzebüste, sehr klassisch wirkt. Irgendwann, sagt der Künstler, habe es ihn gestört, dass man im Kunstbetrieb nur im eigenen Saft schmore und eine bildnerische Sprache verwende, die nur die Eingeweihten wirklich verstünden. So sei er wieder zurückgekommen auf das ganz klassische Handwerk, das ein Betrachter auch ohne jede Vorbildung genießen könne.

Freieslebens Transportmittel der Kunst ist die Porträtbüste geworden. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er sich gewissermaßen an Porträts ab. Er hat die deutschen Bundespräsidenten seit Walter Scheel in einer Serie, demnächst wird er noch Christian Wulff porträtieren, "der Gauck zögert leider noch". Auch eine Serie mit Schach-Großmeistern ist in Arbeit, demnächst fliegt er zu Gari Kasparow nach New York. Nach München ist er aber für eine ganz andere neue Serie gekommen. "Ich will vier große Köche porträtieren", sagt er, "die für bestimmte Entwicklungen der gehobenen Küche stehen." Paul Bocuse als Erfinder der Nouvelle Cuisine, Ferran Adrià als wichtigsten Vertreter der Avantgarde- und Molekularküche, Jamie Oliver als den erfolgreichsten Popularisierer der Kochkunst und, gleich zu Anfang, Eckart Witzigmann, dem Protagonisten des "deutschen Küchenwunders der Siebzigerjahre".

Und so steht er also nun - passenderweise - in der Küche von Eckart Witzigmann, hat sein hölzernes Bildhauergestell aufgebaut, hat den Stuhl für sein Modell danebengestellt und schnuppert. "Ah, Pot au feu", sagt er und deutet auf einen Kochtopf auf dem Herd. Tatsächlich, da drinnen schmurgelt der klassische französische Eintopf aus Brühe, Rindfleisch und diversem Gemüse vor sich hin. "Riecht schon viel besser als der nach meinem Rezept", sagt er. Aber der Koch ist ja auch nicht irgendeiner, sonst wäre Freiesleben ja nicht hier. Eckart Witzigmann sieht ein wenig belustigt zu, wie Scheinwerfer aufgebaut werden und der Künstler zwei große Pakete Ton in Scheiben schneidet. Ehrungen ist er inzwischen ja gewohnt, gerade jetzt, nach seinem 75. Geburtstag. Aber zur Büste wird man nun doch nicht alle Tage.

Eine gewisse Nähe zur Bildhauerei lässt sich aber auch bei Köchen durchaus finden. "In meiner Anfangszeit war meine große Stärke das kalte Büffet", sagt Witzigmann und lacht, "damals haben wir dafür zum Beispiel Fische aus Speisen gebastelt oder Eisskulpturen geschnitzt." 1964, da war der 49-jährige Freiesleben noch gar nicht auf der Welt, hat er bei einem nationalen Wettbewerb in Colmar sogar einen Preis bekommen, "obwohl ich gar kein Franzose war". Er holt ein Fotoalbum aus diesen Jahren, das einige der Kompositionen zeigt und in dem er mit sorgfältiger Schrift die Rezepte notiert hat, die er auf seinen verschiedenen Stationen von Bocuse bis Haeberlin gelernt hat. Eine Sammlung, die für sich allein schon ein konzeptuelles Kunstwerk darstellt.

Dann geht es zur Sache. Witzigmann nimmt Platz und Freiesleben Anlauf, mit zwei Batzen Ton in jeder Hand. Die klatscht er nacheinander um den Modellierständer auf dem Bildhauerbock, das sieht ein bisschen nach Boxkampf aus und ist eine Performance für sich. Immer wieder tigert er um sein Modell herum, prüfenden Blicks. Das sieht schwer nach Intuition aus, aber die Grundlage ist letztlich eine sehr genaue Kenntnis von Proportionen eines Kopfes und dem Spiel, das man damit treiben kann.

Zwei Tage lang ist Freiesleben zugange, der Kopf aus Ton, er wächst und nimmt nach und nach die Züge Witzigmanns an. Fertig wird er freilich nicht, denn tatsächlich hat die Schwellung über dem rechten Auge zugenommen. "Da muss ich in zwei Wochen noch mal ran", sagt Freiesleben, "aber am Ende sind wir alle glücklich. Hoffe ich."

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: