Tödliche Unfälle von Radfahrern:Es müssen wirklich alle aufeinander Rücksicht nehmen

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Zu "Mädchen wird von Lastwagen überrollt und getötet" äußern sich viele SZ-Leser

Zu "Mädchen wird von Lastwagen überrollt und getötet", "Riskant unterwegs", "Vision Zero", "Wachsendes Problem, viele Lösungen" in den SZ-Ausgaben vom 8. bis 12./13. Mai:

Pauschale Schuldzuweisung

Ich finde es erschreckend und traurig, dass der Tod eines neunjährigen Mädchens, das mit dem Fahrrad bei Grün die Straße querte, nun als Aufhänger für pauschale Schuldzuweisung an Radfahrer genutzt werden kann. Dass es häufig tödlich endet, wenn ein Lkw die Vorfahrt eines Radfahrers missachtet, ist bekannt. Die einzige Konsequenz daraus kann sein, Vorfahrtsverstöße gegenüber Radfahrern und Rotlichtverstöße zu Lasten von Radfahrern durch die Polizei zu ahnden. Aber stattdessen fällt der Polizei nichts Besseres ein, als den Unfallopfern pauschal Fehlverhalten zu unterstellen. Denn der allgemeine Radfahrer trägt ja häufig keinen Helm und hält sich häufig nicht an die Regeln. Dafür darf in Deutschland leider auch mal die Todesstrafe verhängt werden. Alexander Röhr, Hamburg

Bestenfalls ein Eimer Farbe

Wie hirnrissig muss man denn sein, um nicht zu erkennen, dass nicht die Radler primär Unfallverursacher sind, sondern die unerträglichen Verkehrssituationen in dieser Radlerverhinderungshauptstadt. Überall Baustelleneinrichtungen ohne Ausweisung einer Ersatz-Radspur, permanent zugeparkte Radwege von unflätigen Amazon-Lieferanten. Allerorts Handy-Lemminge mit Ohrenstöpseln, die weder hören noch schauen, auch wenn sie Straßen überqueren oder mit Rollkoffern die Radwege blockieren. Ganz zu schweigen von den zu schmalen oder gar nicht existierenden Radwegen an gefährlichen Hauptstraßen.

Das alles ist das Ergebnis eines unfähigen Kreisverwaltungsreferates mit einem autozentriert orientiertem Stadtrat, der seit Jahrzehnten betriebsblind angesichts des exponentiell zunehmenden Autoverkehrs agiert und bestenfalls einen Eimer roter Farbe an einigen Kreuzungen zur Radwegesicherheit für ausreichend und angemessen hält. Während andere europäische Großstädte dem wachsenden Massentourismus bereits wieder Einhalt gebieten, wird die Münchner Innenstand ganz zielgerichtet weiterhin "zugeballert" mit Tagestouristen, dass es nahezu unmöglich wird, als Radler noch gefahrlos die Innenstadt von Nord nach Süd zu queren, es gibt keine adäquate Ausweichroute für das ebenfalls enorm gestiegene Radverkehrsaufkommen. Bernhard Schubert, München

Runter vom Radweg

Der Bericht des Polizeivizepräsidenten macht die Misere deutlich, in der sich der Radverkehr derzeit in München befindet. Wichtig für die Radler ist, immer den Helm aufzuziehen und auch mal auf die Vorfahrt zu verzichten. Dazu werden neue Radluniformen vorgestellt, für die Radlstreife, die, ja genau, "die Radfahrer bei Verstößen erwischen soll". Dass die tödlichen Unfälle ausschließlich von rechts abbiegenden (Berufs-) Kraftfahrern verursacht wurden, ja mei, "toter Winkel", da kann man nix machen.

Es entsteht der Eindruck, dass Stadt und Polizei den Radverkehr immer noch abgesetzt vom "echten" Verkehr betrachten und dementsprechend behandeln. Da passt es auch ins Bild, dass die Unsitte, (benutzungspflichtige) Radwege als Parkfläche zu missbrauchen, offenbar schweigend toleriert wird. Auf Twitter findet man unter #runtervomradweg täglich neue Beispiele.

Vielleicht wäre es gescheiter, bei allen Verkehrsteilnehmern das Bewusstsein zu stärken, dass der Verkehr in München aus vielen verschiedenen Gruppen besteht, die aufeinander Rücksicht nehmen müssen und auch eine geeignete Infrastruktur benötigen. Nur so kann die angestrebte "Vision Zero" auch Wirklichkeit werden. Wolfgang Donhärl, München

Blick über die Schulter

Gerade in Städten wird vermehrt Rad gefahren, auch zur Arbeit und auch mit der Absicht, die Umwelt zu schonen. Muss ich als Radfahrer für dieses positive Verhalten ein erhöhtes Unfall- und Tötungsrisiko in Kauf nehmen? Auch wenn zu Recht weitere Sicherheitsmaßnahmen an Lkw, an Straßenführungen und Ampelschaltungen gefordert werden, kann der Radfahrer selbst einiges zu seinem Schutz beitragen. Dies kommt meines Erachtens in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz.

Der Blick über die linke Schulter ist beim Autofahren eine weitgehend sichere Maßnahme zum Schutz gegen den toten Winkel. Dieser Schulterblick hat auch eine starke Schutzwirkung für den Radfahrer, wenn er seine Spur verlassen, andere Radfahrer überholen oder eine Kreuzung bei rechts abbiegenden Autoverkehr überqueren will. Ich mache selbst immer wieder die Erfahrung, dass der Blick nach links zurück über die eigene Schulter ein sehr wirksames Mittel zur Vermeidung von Gefahrensituationen ist. Diese Möglichkeit wird nach meiner Erfahrung von einer Vielzahl von Radfahrern nicht genutzt. Den Blick über die eigene Schulter und eine defensive Fahrweise sollten sich alle Radfahrer vor allem zum eigenen Schutz, aber auch zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer zur Gewohnheit machen. Michael Kreft, München

Alltägliche Gefahren

Heikle, lebensgefährliche Fahr- und Abbiegesituationen beschränken sich in unserer immer engeren, menschenvolleren Stadt nicht nur auf Auto- und Radfahrer und auch nicht nur auf Straßen und Berufsverkehrszeiten. Radfahrer sind (außer Kindern) meiner Fahrerfahrung nach auch nicht die am meisten gefährdete Personengruppe. Für mobililitätseingeschränkte Menschen, die wie Rollstuhl- und E-Rollstuhlfahrer nicht auf Augenhöhe der (fuß-oder rad-) bewegten Mehrheit unterwegs sein können, sind das alltäglich vorkommende Unfall- und Lebensgefahren.

Nicht nur die Kommunen, auch Hausverwaltungen, Privat- und Geschäftsleute könnten so manches zur Problemvermeidung vor der eigenen Haustür tun. Stattdessen tragen sie durch Gedankenlosigkeit und Unkenntnis - Barrierefreiheit im öffentlichen Raum - oft erheblich zu bedrohlichen Situationen und Unfallgefahren im Alltagsverkehr bei.

Zum Beispiel durch sicht- und lichtverhindernde Trennwände oder Hecken, Wege verengende Pflanzenkübel, in Geh- und Radwege und abgesenkte Bordsteinbereiche ragende Werbeständer oder im Durchgeh- oder Fahrbereich abgestellte Sitzmöbel für einen "Platz an der Sonne". Das Anbringen von Hinweisschildern, zum Beispiel Rollstuhl-Piktogrammen, wird selbst bei völlig uneinsehbaren, engen Ein- und Ausfahrten einfach ignoriert und unterlassen. Trotz Personen-/Kindergefährdung durch bekannte, häufig vorkommende Unfallsituationen.

Die Lastwagenfahrerpflicht "Wer nicht sieht, darf nicht abbiegen" würde für ein Fahrerleben im Rollstuhl oder E-Rollstuhl bedeuten, das man in unserer Stadt aus Sicherheitsgründen nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben, sondern vorsichtshalber zuhause bleiben sollte. Annette Gümbel-Rohrbach, München

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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