Arbeiter-Samariter-Bund:So wird Sterbenden ein letzter Wunsch erfüllt

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Als Patin unterstützt die Schauspielerin Janina Hartwig (mit Geschäftsführer Christian Boenisch) das Projekt des Arbeiter-Samariter-Bunds München. (Foto: Robert Haas)
  • Der Wünschewagen bringt Todkranke in München an ihren Sehnsuchtsort.
  • Ob zur Familie, in die Berge oder an einen See: Der Arbeiter-Samariter-Bund versucht, möglichst alle Wünsche zu erfüllen.
  • Für das Projekt braucht der Verband allerdings mehr Gelder.

Von Franziska Gerlach

Als er nach einigen Stunden zurück ins Hospiz gefahren wurde, war er noch immer todkrank. Und doch strahlte der 60 Jahre alte Mann. Er hatte noch einmal seine Familie besucht, mit den Angehörigen Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Das Haus hatten sie ihm zu Ehren mit Lichterketten und Luftballons geschmückt, seine Hunde hatten ihn freudig wedelnd begrüßt. Dinge, die gesunden Menschen banal vorkommen, selbstverständlich.

Und auch Marion Kotowski, die seit vielen Jahren als ehrenamtliche Rettungssanitäterin und im Katastrophenschutz für den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) München Oberbayern tätig ist, sagt: "Das war für uns ein einfacher Wunsch." Für den an Krebs im Endstadium erkrankten Mann aber wurde an diesem Tag ein Herzenswunsch wahr. Sein allerletzter.

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Wenn Kotowski von ihrer ersten Fahrt mit dem Wünschewagen erzählt - Anfang Juli war das - , stehen die Bilder beinahe plastisch im Raum. Die 37 Jahre alte Frau leitet das neue Projekt des ASB. Der speziell ausgestattete Krankentransporter rückt aus, um schwerkranken Menschen Wünsche zu erfüllen. Die Initiative startete im Sommer 2014 in Essen, das Vorbild des Wünschewagens steht im niederländischen Rotterdam. In Deutschland gibt es derer mittlerweile vier: in Essen, in Schleswig-Holstein, in Berlin und seit Kurzem eben auch in München.

Über kurz oder lang wäre ein zweites Fahrzeug für Nordbayern sinnvoll, sagte Christian Boenisch, als der Wünschewagen vorgestellt wurde. Dem Geschäftsführer des ASB München-Oberbayern geht es nicht nur darum, Menschen etwas erleben zu lassen, denen nur noch wenige Monate, wenige Wochen bleiben auf dieser Welt. Er möchte aber auch mit dem Tabu vom Tod brechen, und das Sterben wieder in der Gesellschaft verankern. "Es zurück ins Leben bringen", wie er das nennt. Und was auch immer erforderlich sei, um einen letzten Wunsch zu erfüllen - man werde es tun.

Eine Spritztour an den Gardasee? Warum nicht. Manche wünschen sich etwas, für das ein Leben lang die Zeit fehlte oder das Geld, es zu verwirklichen, oftmals auch beides. Andere wollen etwas unternehmen, das ihnen bislang schlichtweg zu verrückt erschien: Am Düsseldorfer Flughafen etwa brachte der Wünschewagen einen Mann mit Bronchialkarzinom, der nichts sehnlicher wollte, als den Airbus A 380 sehen, sogar bis aufs Rollfeld. Ganz nah dran.

Die meisten Wünsche lassen sich leicht erfüllen

Meist handelt es sich jedoch um Wünsche, die sich leicht realisieren lassen. Die Hochzeit der Nichte mitzufeiern etwa, die Taufe der Enkelin. Noch einmal die Motorradkumpel treffen, nur noch einmal die im Abendrot schimmerenden Gipfel der Alpen betrachten. Oder schwimmen gehen in demselben kleinen See, in dem man schon als Kind geschwommen ist - und dazu Pommes Frites verputzen, die nirgends so gut schmecken wie dort: am letzten Sehnsuchtsort.

Anfragen nach einem Ausflug an einen See oder ans Meer, das zeichnet sich bereits ab, erreichen Kotowski vergleichsweise oft. Sie hat sich sogar schon mit einem Geistlichen darüber unterhalten, woher diese Sehnsucht nach dem Wasser am Ende des Lebens rührt. Eine endgültige Antwort hat sie noch nicht gefunden. Vielleicht ist es das Rauschens der Wellen, vielleicht die Weite des Meeres? Die wilde Ursprünglichkeit, dieses Gefühl von Freiheit.

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Was hingegen belegt ist: Eine Fahrt im Wünschewagen kann kleine Wunder bewirken. Wie die Kollegen aus Essen berichteten, sagt Kotowski, kämen viele Patienten danach über Tage hinweg mit weniger Schmerzmitteln aus. Sie klettert in den Krankentransporter, der vor der Geschäftsstelle des ASB an der Adi-Maislinger-Straße parkt. Eine Spezialanfertigung: Große Fenster erlauben den Blick nach draußen, der Patient liegt hier auf Stofflaken anstelle von Papier, an der Decke blinken blaue Lämpchen - ein Sternenhimmel, mit etwas Fantasie.

Der ASB braucht Sponsoren und Spenden

Eine nach der anderen öffnet Kotowski nun die Klappen der Fächer, Feuchttücher und Plastikschläuche befinden sich darin, im Fach ganz links jedoch kuscheln sich drei Teddybären aneinander. Sie sind in Folie verpackt, denn bisher ist kein Kind mit dem Wünschewagen gefahren. Ein Glück, möchte man rufen. Und fragt Kotowski stattdessen: Ist es nicht fürchterlich belastend, diese sterbenskranken Menschen zu begleiten? "Nein, das ist schön", kontert sie, "dieses Strahlen in den Augen der Fahrgäste. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl." Auch wenn, das sei ganz klar, man sich natürlich abgrenzen müsse. Und sie die Erfahrungen in Gesprächen mit Freunden und Familie teile.

Zwei Mitarbeiter begleiten eine Wünschefahrt jeweils, einer von ihnen muss dem bayerischen Rettungsdienstgesetz zufolge eine medizinische Qualifikation vorweisen. Momentan erreichen Kotowski pro Woche zwei bis drei Anfragen für einen solchen Ausflug. Dennoch muss sie zuweilen mit den Terminen jonglieren. "Das sind schwerkranke Menschen, da muss man flexibel sein", sagt sie. Soll das Projekt Wünschewagen so richtig ins Rollen kommen, benötigt der ASB allerdings zweierlei: Sponsoren und Spendengelder, aber auch ein Team von mindestens 50 ehrenamtlichen Helfern, die letzte Wünsche wahr werden lassen. Denn erst dann, so heißt es, kann der Mensch sich endgültig vom Leben verabschieden. Loslassen.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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