Therapie:Weg von der Maschine

Lesezeit: 3 min

Immer mehr Menschen müssen nach schweren Krankheiten und Operationen künstlich beatmet werden. In der neuen Weaning-Station im Klinikum Harlaching lernen Patienten, wieder selbstständig Luft zu holen - sie brauchen dazu viel Geduld und Training

Von Lisa Marie Wimmer

Hallo". Dieses Wort, erinnert sich Frank Schnitzler, war für ihn der Start in ein neues Leben. Mehrere Wochen war der Allgäuer nach Komplikationen einer schweren Herzklappen-OP an einem Beatmungsgerät gehangen. Ein Leben ohne die Maschinen um ihn herum schien nicht mehr möglich. Erst als der 64-Jährige auf die neu eingerichtete Weaningstation im Harlachinger Klinikum verlegt wurde, lernte er mit viel Geduld und Ruhe, wieder eigenständig zu atmen - und zu sprechen. "Es war, als ob ich ein neuer Mensch geworden wär", sagt er. "Ich hätte vor Freude fast geweint", sagt seine Frau.

Seit einem Monat hat die Intensivstation des Städtischen Klinikums in Harlaching eine angehängte Weaning-Einheit. Sie ist für Patienten wie Franz Schnitzler gedacht, deren Gesundheitszustand zwar schon stabil ist, die aber trotzdem noch künstlich beatmet werden müssen, da die Atemmuskulatur noch zu schwach ist. Der Begriff wean kommt aus dem Englischen und heißt "sich entwöhnen". Das Ziel in der Weaningstation in Harlaching ist also, die Patienten wieder an das selbstständige Atmen zu gewöhnen.

Franz Schnitzler (hier mit seiner Frau Elisabeth) war wochenlang an ein Beatmungsgerät angeschlossen. In der Weaning-Station kam er davon los. (Foto: Florian Peljak)

Die neue Station ist auch deshalb wichtig, weil die Anzahl der langzeitbeatmeten Patienten in den vergangenen zehn Jahren enorm gestiegen ist. Laut Klinikum Harlaching wird sich dieser Trend wegen der demografischen Entwicklung, der Zunahme von Lungenerkrankungen, dem Fortschritt in der Intensivmedizin und den immer häufigeren Operationen im hohen Lebensalter auch künftig fortsetzen. In München ist eine Weaning-Einheit wie in Harlaching noch einzigartig. "Wir bekommen inzwischen schon Patienten herverlegt, die von außerhalb Münchens kommen", sagt der Leiter der Station, Chefarzt Joachim Meyer. Der Professor ist Pneumologe, Gastroenterologe, Internistischer Intensivmediziner und Beatmungsmediziner. Die Wahrscheinlichkeit, von der künstlichen Beatmung wegzukommen, sei in einer Weaningeinheit viel höher als in einer normalen Intensivstation, sagt er.

Patienten wie Frank Schnitzler haben das Problem, dass ihre Atemmuskulatur - wie alle anderen Muskeln - schwächer wird, wenn man sie weniger benutzt. Dann setzt ein Teufelskreis ein: Beim ersten Versuch, wieder spontan zu atmen, bekommen viele Menschen Luftnot und geraten in Panik. Also wird die künstliche Beatmung fortgesetzt. Die Atemmuskulatur wird noch schwächer. Es gibt Patienten, denen nützt nicht einmal das tägliche Training in einer Weaning-Station etwas, etwa wenn ihre Lunge vorgeschädigt ist, zum Beispiel durch langjähriges Rauchen. Bei Franz Schnitzler war das anders. "Alles ging erfreulich schnell bei ihm", lobt die Oberärztin der Station, Vanessa Remold. Nach nur wenigen Tagen Training sitzt der Allgäuer neben Frau und Tochter im Krankenhaus und erzählt abgeklärt seine Geschichte. An seinem Hals klebt ein großes Pflaster, ansonsten lässt nichts auf die letzten harten Wochen schließen.

Chefarzt Joachim Meyer leitet die in München einzigartige Weaning-Einheit. (Foto: Florian Peljak)

"Wenn man ihn so sprechen hört, vergisst man schnell, wie schwer krank Herr Schnitzler eigentlich war", sagt die Oberärztin. Beim Training nehmen die Ärzte am Beatmungsgerät, das am Hals direkt in die Luftröhre führt, den Druck etwas heraus. Die Maschine gibt nämlich keine Atemstöße vor. Sie stößt unterstützend erst dann Luft in die Lunge, wenn der Patient zum Einatmen ansetzt. Immer wieder wird im Verlauf der Therapie die Intensität des Drucks heruntergesetzt und so die eigenständige Atmung trainiert. Auch wird der Schlauch der Beatmungsmaschine immer wieder für wenige Minuten abgezogen, so üben die Patienten selbstständig zu atmen. Die Pausen werden dann immer länger und die Intensität des Drucks schwächer. Wenn der Patient 24 Stunden ohne Beatmungsmaschine atmet und er schlucken kann, gilt er als entwöhnt.

Aber es sind nicht nur Ärzte, sondern auch Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und natürlich die Pflegekräfte, die rund um die Uhr mit den Patienten arbeiten. Die Schwestern gehen bei schönem Wetter mit den Patienten und ihren Beatmungsmaschinen auch auf das Klinikgelände oder ins Klinikcafé. Die Patienten sollen ein bisschen rauskommen, das tut ihnen gut. Obwohl sie durch eine architektonische Raffinesse der neuen Weaning-Einheit die Grünanlage des Klinikums immer im Blick haben - über Spiegel. Da die Patienten in den sechs zur Verfügung stehenden Betten mit dem Rücken zu einer Fensterfront liegen, hat Chefarzt Meyer Spiegel an die gegenüberliegenden Wände anbringen lassen. Wäre ja tatsächlich nicht so schön, ständig auf eine Wand zu schauen.

Der Blick auf Pflanzen und Sonne ist wichtig, da die Zeit der Entwöhnung ziemlich hart ist. Franz Schnitzler etwa war tagelang bei vollem Bewusstsein, konnte sich aber nicht mitteilen. "Irgendwann hat er dann begonnen zu nicken", erinnert sich seine Ehefrau Elisabeth Schnitzler. Und dann kam das erste Wort. Das, muss die Ehefrau am Ende dann aber doch noch klarstellen, war nicht "Hallo". Es lautete: "Durst".

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: