SZ-Serie: Unbezahlbar schön (I):Eine Idee setzt sich durch

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Gutes Beispiel: Die Parkstadt Schwabing, hier die künftige Microsoft-Zentrale, wäre ohne das Sobon-Modell kaum so schnell entwickelt worden. (Foto: Stephan Rumpf)

Die "Sozialgerechte Bodennutzung" wurde anfangs von Investoren als sozialistisches Folterwerkzeug verteufelt. Heute, 20 Jahre später, ist sie ein Exportschlager

Von Berthold Neff

Wie schafft man es, große Investitionen zu stemmen, obwohl man ziemlich knapp bei Kasse ist? Man lässt andere einen Teil der Zeche zahlen - immerhin eine halbe Milliarde Euro innerhalb von 20 Jahren. Das Instrument der "Sozialgerechten Bodennutzung" (Sobon), mit dem der Stadt dieses Kunststück gelang, wurde anfangs von Investoren als Marterwerkzeug aus der sozialistischen Folterkammer geschmäht, aber heute sind eigentlich alle damit halbwegs zufrieden.

Ein mittleres Wunder ist das schon, denn mit dem 1994 durchgesetzten Verfahren hat der Stadtrat, wenn man so will, die Basis für eine teilweise Enteignung der Grundeigentümer gelegt. Sie sollten künftig nur noch ein Drittel des Wertzuwachses einstreichen können, der dann entsteht, wenn die Stadt Baurecht ausweist und so den Wert des Grundes in privater Hand nach oben schnellen lässt. Früher, als eine solche Abschöpfung nicht möglich oder nicht erwünscht war, kamen Karrieren zustande wie die der Kartoffelbauern aus Großhadern, die durch den Verkauf ihres Ackerlandes für den Bau des Klinikums plötzlich zu Millionären aufstiegen.

Für Christian Ude (SPD), der im September 1993 zum Oberbürgermeister avancierte, kam es wie gerufen, dass der Bund kurz zuvor den Kommunen per Gesetz die Chance eröffnet hatte, die Lasten großer städtebaulicher Entwürfe zu großen Teilen auf diejenigen abzuwälzen, die davon profitieren - die Grundstückseigentümer. München nahm die Vorlage dankbar auf und präsentierte kaum ein Jahr später sein Modell für eine neue Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und Privaten.

Ohne die Sobon würden viele große Vorhaben, die heute das Stadtbild prägen, bis heute auf sich warten lassen. Es gäbe auf den ehemaligen Bahnflächen entlang der Achse zwischen Hauptbahnhof und Pasing, zum Beispiel im Arnulfpark, noch keine einzige der so dringend benötigten Wohnungen, die Parkstadt Schwabing wäre noch nicht vollendet. Die Stadt hätte es auch nicht geschafft, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs freiwerdenden Kasernenflächen für neue Zwecke zu entwickeln. Dies vor allem auch deshalb, weil zu dieser Zeit kaum noch Geld in der städtischen Kasse war, die Verschuldung stieg binnen weniger Jahre von 1994 an rasant auf fast das Doppelte, einschließlich der Kredite der Eigenbetriebe hatte man schon 1997 die Vier-Milliarden-Euro-Marke erreicht.

Ohne Hilfe hätte es die Stadt nie geschafft, die großen Vorhaben der weiteren Stadtentwicklung anzugehen. Der Deal mit den Investoren, der bundesweit als "Münchner Weg" bekannt wurde und zahlreiche Nachahmer fand, hat die Stadt in den vergangenen 20 Jahren massiv verändert. 139 rechtsverbindliche Bebauungspläne entstanden in dieser Zeit, mit denen die Bebauung einer Gesamtfläche von 1250 Hektar geregelt wurde - das entspricht einem Gebiet von der Größe des Stadtbezirks Neuhausen-Nymphenburg. Fast 40 000 Wohnungen entstanden dabei, mehr als 10 000 davon gefördert, also für Münchner mit geringerem Einkommen halbwegs erschwinglich. Das ist schon allein deshalb wichtig, weil Jahr für Jahr immer mehr der früheren Sozialwohnungen aus der Bindung fallen und die Menschen, die darin bisher günstig wohnten, mit höheren Mieten rechnen müssen. Die Investoren, denen nun immerhin ein Drittel des Wertzuwachses in der Tasche blieb, den ihre Grundstücke dadurch erfuhren, steuerten auch fleißig und kostenlos weitere Flächen bei, ohne die Wohnungsbau nicht machbar wäre: für Straßen und Gehwege, für Grünanlagen, Parks und Spielplätze und für die soziale Infrastruktur, vom Kindergarten bis zur Schule.

Die Stadt, der es trotz der Auswirkungen der Finanzkrise gelungen ist, ihren Schuldenberg allmählich abzubauen, hatte trotz dieser Partnerschaft noch Beträchtliches zu leisten. Die Menschen in der boomenden Stadt brauchen leistungsfähige Verkehrsmittel, U-Bahn-Röhren müssen gebuddelt, neue Trambahnstrecken gebaut werden. Und der Zuzug lässt die Räume in den Schulen knapp werden. Inzwischen hat die Stadt, zusätzlich zu den bereits aufgestellten Unterrichts-Containern, ein groß angelegtes Bauprogramm für Schulen auf den Weg gebracht.

Diese Sobon-Bilanz kann sich zweifelsohne sehen lassen. Zwar waren die Investoren vor der Einführung dieses Verfahrens aus verständlichen Gründen skeptisch, doch schon beim Festakt der Zehn-Jahres-Feier 2004 fand zum Beispiel der einflussreiche Immobilien-Unternehmer Helmut Röschinger anerkennende Worte. "Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen aus der Ferne zu diesem Jubiläum gratuliere, verbunden mit dem Wunsch, dass sich die Grundsätze sozialgerechter Bodennutzung auch in Zukunft als probates Mittel zur positiven städtebaulichen Entwicklung unserer Heimatstadt bewahren mögen."

Andere sind mit ihrem Lob etwas zurückhaltender. Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins, hält das Sobon-Modell zwar für einen "guten Ansatz", gibt aber zu bedenken, es sei mitverantwortlich dafür, "dass sich die Preisspirale auf dem Wohnungsmarkt immer schneller dreht". Da die Investoren darauf bedacht sind, eine angemessene Rendite für ihr finanzielles Engagement zu erzielen, verteuern sie die freifinanzierten Miet- und Eigentumswohnungen des von ihnen mitentwickelten Quartiers. Diese sind dann selbst für den gut verdienenden Mittelstand kaum noch erschwinglich.

Ein Erfolgsmodell ist der Münchner Weg dennoch geblieben - und mittlerweile sogar ein Exportschlager. Derzeit befassen sich die reichen Kommunen rund um München mit diesem Instrument. Orte wie Starnberg oder Gauting wollen damit erreichen, dass bei neuen, größeren Bauvorhaben auch Wohnraum für finanziell Schwächere entsteht. Es sieht also ganz so aus, als könnte das von Christian Ude als "Musterbeispiel für die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Stadt und Bauwirtschaft" gepriesene Modell Schule machen.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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