SZ-Serie Feuer & Flamme:Einig im Löschen

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Vor 150 Jahren taten sich die Bürger zusammen, weil der Staat bei der Brandbekämpfung versagt hat. Erst nach der Freiwilligen Feuerwehr entstand in den großen Städten die Berufsfeuerwehr. Sie teilen sich die Arbeit, aber rücken immer wieder auch gemeinsam zu Einsätzen aus

Von Susi Wimmer

Der Unfall hätte skurriler nicht sein können. Fast möchte man meinen, er sei einer bitter-bösen Hirnwindung des österreichischen Kabarettisten Josef Hader entsprungen. Aber nein: Vergangenes Jahr wich auf der A 99 beim Dreieck Feldmoching ein Lkw-Fahrer einem Auto aus und geriet ins Schleudern. Der Brummi kippte um, brach durch die Leitplanke und blieb an einer Brücke kopfüber nach unten hängen. Während das Führerhaus neben einer Landstraße aufgeschlagen war, hing das Hinterteil des Trucks noch oben auf der Autobahn. Die Autobahn oben liegt im Zuständigkeitsbereich der Freiwilligen Feuerwehr Oberschleißheim. Die Landstraße unten gehört der Berufsfeuerwehr München. Nein, ein Kampf unter den Rettern ist natürlich nicht entbrannt. In und um München arbeiten die Freiwilligen Feuerwehren, die Berufsfeuerwehr, die Werks- und Betriebsfeuerwehren meist einträchtig neben- und miteinander. "Zu sagen, dass es nie Probleme gibt, wäre gelogen", meint Rupert Saller, Chef der Freiwilligen Feuerwehr München, und grinst spitzbübisch. "Aber wir können und wollen nicht ohneeinander."

Dass verschiedene Feuerwehren in einer Stadt nebeneinanderher zu Einsätzen brausen, ist eigentlich Normalität in deutschen Großstädten. "Ab einer Einwohnerzahl von 100 000 gibt es die Empfehlung, eine Berufsfeuerwehr zu installieren", sagt Matthias Keller, Mitarbeiter im Führungsstab der Berufsfeuerwehr München. Zuerst waren natürlich die Freiwilligen Feuerwehren da. Wie auch in München: Vor genau 150 Jahren, 1866, bildete sich aus der Bevölkerung heraus eine Bürgerwehr, es waren Revoluzzer, die sich selbst organisierten, weil der Staat überfordert war. "Der Beginn erinnert ein bisschen an die heutige Flüchtlingsthematik", meint Keller. "Ganze 13 Jahre haben wir es ohne die Berufsfeuerwehr ausgehalten", sagt der Freiwilligen-Chef Rupert Saller, dann sei die Arbeit von den Ehrenamtlichen nicht mehr zu bewältigen gewesen. "Die Stadt wuchs rasant", erzählt Matthias Keller. Und so trabte 1879 erstmals die Berufsfeuerwehr mit ihrem Pferdegespann zu einem Brand. "Die Hauptarbeit lag bei den Freiwilligen", so Keller. Man konnte und wollte damals die Vereine mit den freiwilligen Helfern nicht abschaffen.

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(Foto: Branddirektion München/dpa)

Das Führerhaus im Stadtgebiet, der Anhänger im Landkreis: Wie hier bei einem Unfall in Feldmoching ziehen Berufsfeuerwehr und Freiwillige an einem Strang.

Petra Ungermann von der Freiwilligen Feuerwehr München zeigt Kindern eine Fluchthaube. Nachwuchssorgen gibt es bei den Freiwilligen nicht.

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(Foto: Marco Einfeldt)

Üben, üben, üben: Das muss auch die Werksfeuerwehr am Flughafen München, hier an einem turbinenähnlichen Brandschutzsimulator.

Heute sind 1003 Bürger aus 16 Nationen in der Stadt München bei einer der Freiwilligen Feuerwehren organisiert, rund zehn Prozent sind Frauen. Die Wehren sind auf 22 Wachen im Stadtgebiet aufgeteilt. "Wir sind in den Außenbezirken gut vertreten", sagt Saller. Die Berufsfeuerwehr sei eher in der Innenstadt zentralisiert. Läuft etwa über die 112 ein Feuernotruf aus Riem ein, ist die Freiwillige Feuerwehr schneller vor Ort als die Hauptamtliche. Dabei geht es nicht um Wettbewerb: Die Stadt ist verpflichtet, eine gewisse Grundversorgung zu leisten. Das heißt, innerhalb von zehn Minuten muss die Feuerwehr in etwa 90 Prozent der Fälle jede Einsatzadresse erreichen. Im Berufsverkehr kann es da für die Hauptamtlichen schon mal eng werden.

Aber wer darf wann wohin? Wählt man in München die 112, so landet man in der Integrierten Rettungsleitstelle. Hier werden die Feuerwehren und die Rettungsdienste koordiniert. Der Disponent empfängt den Anruf und entscheidet, was gerade vorliegt: ein großer Brand, ein kleiner, eine technische Hilfeleistung, eine hilflose Person, ein Fahrzeugbrand . . . Florian Hörhammer von der Berufsfeuerwehr erklärt das System: Ein Zimmerbrand etwa wird im Disponentencomputer mit Zibra abgekürzt eingegeben. Der Computer kennt gut 100 Alarmstichworte und schlägt dann Einsatzlösungen vor: Es wird ein Löschzug der Berufsfeuerwehr ausrücken und die je nach Stadtteil zuständige Freiwillige Feuerwehr. Die Freiwillige rückt beispielsweise bei großen Bränden, Unfällen oder Unwettern mit aus. Die Ehrenamtlichen werden per Piepser oder Handy alarmiert, bei den Berufsfeuerwachen ertönt ein lauter Gong und eine Durchsage. "Natürlich kann man unsere Leute wegen einer Katze im Baum nicht aus der Arbeit wegholen", sagt Saller. In München seien die Arbeitgeber sehr sozial eingestellt und verständnisvoll, wenn ein Angestellter mal schnell ausrücken muss. Es bestünde die Möglichkeit, bei der Stadt die Erstattung des Verdienstausfalls geltend zu machen, "aber in der Praxis macht das fast keiner".

Einsatzbereit: der Auffanggurt

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(Foto: Robert Haas)

Markus Brunner, 33, Abteilung Freimann: "Mein Lieblingsgerät ist der Auffanggurt. Er ist wichtig als Absturzsicherung für Arbeiten an absturzgefährdeten Bereichen, wie etwa Kränen und Gebäuden oder auch Böschungen. Wenn zum Beispiel ein Kranführer oben in seinem Kran einen Schwächeanfall hat oder sich mit dem Fuß in der Laufkatze verhakt, dann können wir uns mit dem Auffanggurt sichern und den Verletzten retten. Wir dürfen allerdings nicht frei im Seil hängen - Höhenrettung ist Sache der Berufsfeuerwehr. Die Ausbildung am Auffanggurt müssen alle Aktiven bei der Freiwilligen Feuerwehr haben, und der Umgang mit dem Gurt muss jährlich geübt werden. Ich bin einer von dreien, die diese Ausbildung machen dürfen. Und da ich auch privat klettere, ist es für mich die Faszination am Gerät selbst, die den Auffanggurt besonders macht."

Wenn es zur Sache geht, so wie beim Sturm Niklas im März 2015, dann stehen alle vereint auf der Matte: Neben den gut 1000 Berufsfeuerwehrmännern packten während der drei Katastrophentage noch rund 800 Mann der Freiwilligen Feuerwehr mit an. Dass die Berufsfeuerwehrler für ihre Tätigkeit Geld bekommen, ficht die Freiwilligen nicht an, meint Saller: "Bei uns geht es um die Ehre." Aber die kann auch ganz schön anstrengend sein: Auch die freiwilligen Helfer müssen sich regelmäßig einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, sie müssen während ihrer dreijährigen Grundausbildung 600 Übungsstunden absolvieren und dann 20 dreistündige Pflichtübungen pro Jahr vorweisen können. "Bei uns geht es nach Leistung, wir haben keine Karteileichen", meint Saller. Die Berufsfeuerwehr entwickle sich weiter und die Freiwillige müsse da mithalten können. "Und das können wir auch", sagt er selbstbewusst. In Bayern haben etwa 20 Prozent der freiwilligen Feuerwehrmänner eine Atemschutzgeräte-Ausbildung. Saller: "In München haben das 95 Prozent unserer Mitglieder."

Und dann gibt es auch noch ganz spezielle Feuerwehren in der Landeshauptstadt. BMW, Krauss-Maffei, MAN, MTU: Die Münchner Firmen eint eines, sie müssen eigene Werksfeuerwehren stellen. Ab einer bestimmten Betriebsgröße schreibt die Industriebaurichtlinie den Einsatz einer Feuerwehr vor. Aufsichtsbehörde ist die Berufsfeuerwehr. "Die Leute werden zum Teil auch bei uns ausgebildet", berichtet Matthias Keller. Und dann wären da noch bei Siemens und Renolit die Betriebsfeuerwehren. Sie wurden auf freiwilliger Basis installiert. Mitglied kann beispielsweise der Fließbandarbeiter sein, der eine Zusatzausbildung gemacht hat. Alle Münchner Wehren sind zusammen mit den Werksfeuerwehren der TU Garching und des Flughafens im Stadtfeuerwehrverband zusammengeschlossen. "Damit wir mehr Gehör haben, wenn es um unsere Interessen geht", so Keller.

Aber, wie gesagt, die Freiwilligen und die Beruflichen sind ohnehin zusammengewachsen. "Wir befinden uns in einer Schönwetterperiode", so formuliert es Saller. Seit 15 Jahren wird auch auf den Autos kein Unterschied mehr gemacht: "Feuerwehr München" steht auf dem Emblem. Saller und Oberbranddirektor Wolfgang Schäuble von der Berufsfeuerwehr München treffen sich spätestens alle drei Wochen zum Jour fixe, um gemeinsam strategische Entscheidung zu treffen, über die Ausbildung zu reden und etliches mehr. Meins und deins, das scheint nicht mehr so wichtig. Es rücken sogar Berufs- und Freiwillige Feuerwehr in einem zusammengewürfelten Löschzug gemeinsam aus, "das funktioniert", sagt Saller. "Man braucht sich, man muss weiterdenken, die Zeiten ändern sich", heißt es auch bei der Berufsfeuerwehr München. Außer: die Landkreisfeuerwehren. Die wehren sich als einzige in Bayern immer noch gegen die Eingliederung in die Integrierte Rettungsleitstelle. Seit Jahren ein Politikum. Sie alarmieren ihre Landkreiswehren aus einer eigenen Einsatzzentrale heraus. Dass die ausgerechnet mitten in der Stadt, am Mariahilfplatz sitzt, tut der Sache keinen Abbruch.

© SZ vom 24.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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