SZ-Serie: Die Isar-Türkin, Folge 9:Türken, die kein Türkisch können

Lesezeit: 2 min

Ein Heimaturlaub kann zuweilen schwierig verlaufen. Wichtigste Erkenntnis: Du bist stets nur ein "Merhaba" von einer türkischen Familie entfernt

Von Deniz Aykanat

Diese Szene hat sich so oder so ähnlich schon mehrmals in meinem Leben zugetragen: Ich bin mit meiner Familie im Sommerurlaub in der Türkei. Wir spazieren durch den Bazar, sehen uns Culvin-Kloin-Shirts und Ralex-Uhren an. Wir trinken hier und da einen Tee im Teppichladen, bevor wir semi-rabiat rauskomplimentiert werden, weil wir "für den Teppich doch nicht so einen gesalzenen Preis zahlen! Wir sind doch keine Touristen! Verarschen kann ich mich selbst!" Diese Sätze kamen von meinem Vater.

Wieder auf dem Markt steuern wir den nächsten Juwelier an, um ein Nazar-Amulett zu kaufen. Mein Vater fragt auf Türkisch nach dem Schmuck mit den Augen, die vor dem bösen Blick schützen sollen. Ein Jungspund - dunkle Haut, schwarze Haare, Adlernase - antwortet: "Sie, i ko koa Türkisch ned. Wos woin's denn? Deaf i eana an Tä bringn? Mei Voder kimmt glei, der ko Türkisch sprechen." Als meine bayerische Mutter ihm in seiner Sprache antwortet, atmet er erleichtert auf, erzählt uns schnell seine Lebensgeschichte inklusive türkisch-bayerischer Kindheit in Rosenheim und schenkt uns dann alle vorrätigen Nazar-Amulette.

Ich fühlte mit dem Jungspund. Zwar spreche ich weder so gut Bairisch wie er noch so schlecht Türkisch. Aber die Annahme, jeder Mensch mit türkischem Namen oder türkischer Nase spreche überhaupt oder gar perfekt Türkisch, bringt unsereins manchmal ziemlich in die Bredouille. Das ist ja fast noch peinlicher als der Satz "Sie sprechen aber gut Deutsch!" Darauf kann ich zumindest antworten: "Ja, Wahnsinn gell? Wer ko, der ko."

Wenn ich aber in der Türkei Einheimische einwandfrei in der Landessprache grüße und sich daraufhin ein in einem Affenzahn vorgetragener Schwall Türkisch über mir ergießt, schaue ich manchmal wie ein paralysiertes Reh im Scheinwerferlicht eines herannahenden Lastwagens. Von einer Sekunde auf die andere wechselt man von der Touristin zur Türkin, da kann schon mal das Gehirn ausfallen. Ich bin enttarnt!

Von einer Sekunde auf die andere ist man nicht mehr die integrationswillige Touristin, die sich mit einem "Merhaba" die Gunst seiner Gastgeber sichert, sondern eine Türkin, die ihr sprachliches Erbe nicht genug pflegt.

Bis es so weit kommt, ruft man aber - wenn man nicht wie eine Klischee-Türkin aussieht - allerlei Reaktionen von heftigem Misstrauen bis zur angestrebten Blutsbrüderschaft aus. Als ich in Istanbul studierte, fragten unsere Nachbarn meinen Mitbewohner, wer denn die blonde Ukrainerin sei, die ihn ständig besuche. Dazu sei angemerkt, dass ich selten in einer traditionellen Wyschywanka-Bluse oder im Trikot der ukrainischen Fußball-Nationalmannschaft herumlaufe.

Für viele Istanbuler sind blonde Frauen nur automatisch Russinnen oder Ukrainerinnen. Frauen aus diesen Ländern waren lange Zeit die einzigen Ausländerinnen, die Istanbuler zu Gesicht bekamen. Daraus wurde die falsche Formel: Sieht sie nicht aus wie eine Türkin, muss sie aus Russland oder der Ukraine kommen.

Aber sobald ich meinen Namen sage, klappen die Kiefer nach unten: Ich werde in rasend schnellem Türkisch zum Familienmitglied erklärt (also wenn ich das nicht falsch verstanden habe) sowie dem ledigen Cousin Abdullah anempfohlen.

Und vom ältesten Sohn der Nachbarsfamilie bekomme ich den wertvollen Hinweis: "Wenn du mal Probleme mit der türkischen Mafia bekommen solltest, ich bin jetzt dein Abi, ich hau' dich da raus." Aha. Gut zu wissen. Vorsichtshalber habe ich mittlerweile nun schon fünf Typen in meinem Handy abgespeichert - unter dem Stichwort "Neuer Bruder/Mafiaprobleme".

Peinlichkeiten hin oder her: Mögest du auch noch so eine gottverlassenen Seele sein, du bist stets nur ein "Merhaba" von einer türkischen Familie entfernt. Ob du willst oder nicht.

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge 9 unserer SZ-Serie, die alle zwei Wochen in der Dienstagsausgabe erscheint.

© SZ vom 22.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: