Suche nach der Mutter:Findelkind außer Lebensgefahr

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Das in einer Parkhaus-Toilette des Flughafens ausgesetzte Mädchen wird zwar noch intensivmedizinisch betreut, aber sein Zustand ist stabil. Die Polizei wertet zur Suche nach der Mutter die Videoüberwachung aus

Von Stephan Handel

Kind wohlauf - Mutter unbekannt: Das Baby, das am Donnerstagnachmittag in einer Toilette des Flughafens kurz nach seiner Geburt aufgefunden wurde, ist über den Berg und laut Ermittlern nicht mehr in akuter Lebensgefahr. Nach der Mutter fahndet die Polizei weiterhin.

Eine Passagierin entdeckte das Neugeborene am Donnerstag gegen 15.15 Uhr in der Damentoilette des Parkhauses P20 am Terminal II leblos in einer der Toilettenschüsseln. Die Finderin informierte einen Bundespolizisten, der sich zufällig in der Nähe aufhielt. Der kümmerte sich mit zwei hinzugekommenen Ärzten um das Kind, bis der Notarzt eintraf. Der reanimierte und stabilisierte es; nach 40 Minuten wurde es mit dem Rettungshubschrauber in eine Münchner Kinderklinik geflogen. Den behandelnden Ärzten dort zufolge ist das Baby mittlerweile stabil, auch wenn es weiterhin intensivmedizinisch betreut wird. Es sieht so aus, als sei es in etwa zum natürlichen Geburtstermin auf die Welt gekommen, Anzeichen für eine Unterentwicklung, also für eine Frühgeburt, gibt es vorerst nicht. Das Mädchen ist von weißer Hautfarbe, sonst aber ethnisch nicht einzuordnen: "Das kann von England bis Türkei alles sein", sagt einer der Ärzte.

Nach der Mutter wird währenddessen gefahndet - die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Aussetzung eingeleitet. Nach dem Paragrafen 221 des Strafgesetzbuches kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden, wer einen Menschen - in diesem Fall sein Kind - "in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist".

Das zuständige Polizeipräsidium Oberbayern Nord in Ingolstadt hat einen Zeugenaufruf veröffentlicht und eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. Eine Sofortfahndung gleich nach dem Fund des Babys brachte kein Ergebnis - dazu wurde kurzfristig der S-Bahn-Verkehr gesperrt, um die ausfahrenden Züge nach Frauen abzusuchen, die als Mutter infrage kämen. Ein Suchhund fand eine Spur von der Toilette zu einem Taxistand - das sagt aber nichts darüber aus, ob die Mutter mit dem Taxi zum Flughafen fuhr und dann das Kind gebar oder ob sie nach der Geburt per Taxi das Gelände im Erdinger Moos verließ.

Einen Hinweis gibt es mittlerweile: Nach Zeugenaussagen soll sich gegen 14.30 Uhr eine Frau im Vorraum der Damentoilette aufgehalten haben. Die Polizei bittet diese Frau, sich zu melden, ebenso wie alle anderen möglichen Zeugen. Unterdessen werden die Videoaufzeichnungen ausgewertet - kaum ein Areal in München und Umgebung dürfte so flächendeckend mit Überwachungskameras bestückt sein wie der Flughafen, so dass es sehr wahrscheinlich ist, die Mutter darauf zu entdecken. Allerdings wird die Sichtung des Filmmaterials Zeit in Anspruch nehmen.

Das Baby selbst wird zunächst in der Klinik bleiben, bis alle gesundheitlichen Risiken ausgeschlossen werden können. Dann wird es in die Obhut des Jugendamtes übergeben, das nach einer Pflegefamilie sucht, sofern Mutter oder Vater bis dahin nicht gefunden sind. Obwohl die Mutter offensichtlich sogar den Tod des Babys in Kauf nahm, würde sie ihr Kind doch bekommen, falls nicht ganz schwerwiegende Gründe dagegen sprechen - es gilt der Grundsatz, dass ein Kind bei seinen leiblichen Eltern am besten aufgehoben ist. Aber gewiss würde das Jugendamt - so denn überhaupt eine deutsche Behörde zuständig sein wird - die Eltern verstärkt beobachten, beraten und dann auch überwachen.

Dass eine Frau ihr Baby allein, ohne Hilfe eines Arztes oder einer Hebamme zur Welt bringt, ist in Mitteleuropa ungewöhnlich- aber der natürliche Weg ist es ja seit Tausenden von Jahren auch. Franz von Koch, Chefarzt von Gynäkologie und Geburtshilfe am Klinikum Dritter Orden, meint, das sei ohne Weiteres möglich, vor allem wenn es nicht die erste Geburt der Frau wäre. Zwar sei die Situation schwierig - "aber mit Selbstbeherrschung und Schmerztoleranz ist das zu machen, vor allem, wenn man die Verzweiflung mit berücksichtigt, in der die Frau sich sicher befand". Dennoch bestehen bei einer Geburt zahlreiche Risiken, für das Baby etwa durch Sauerstoffmangel, durch Infektionen oder wenn der Entbindungsvorgang zum Stillstand kommt, für die Mutter durch größeren Blutverlust - und natürlich durch die sicher nicht einwandfreie hygienische Situation auf einer öffentlichen Toilette: "Wenn's da nicht schnell geht, kann das ein weiteres Risiko sein", sagt von Koch.

Das Sozialreferat der Stadt weist darauf hin, dass keine Mutter gezwungen ist, ihr Kind ohne fremde Hilfe zu gebären: Es gibt die Möglichkeit der anonymen Geburt, es gibt - am Klinikum Dritter Orden etwa - eine Babyklappe, und es gibt zahlreiche Angebote zur Schwangerenberatung. Deshalb rät Referatssprecher Frank Boos allen werdenden Müttern mit Hilfsbedarf: "Kommen Sie zu uns - wir kümmern uns."

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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