Studenten-EM:Carrera für Fortgeschrittene

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Bei der Europameisterschaft der autonom fahrenden Modellautos starten 16 Studenten-Teams mit ihren Wagen, die mit einer Kamera ausgestattet sind und selbständig über die Strecke navigieren sollen - was nicht immer klappt

Von Christina Hertel

Nur noch ein paar Minuten, dann öffnet sich die Tür. Florian Kerlschl, Alexander Denk und Hans-Georg Kneidinger stehen schon davor und spitzen durch das Glas. Ihr erster Blick auf die Fahrbahn. "Bis zum ersten Kreuz könnten wir es schaffen", sagt Kerlschl. "Ach komm, ich hab schon schwierigere Bahnen gesehen", meint Alexander.

Die drei sind Mechatronik-Studenten aus Deggendorf und nehmen als eines von 16 Teams an der Europameisterschaft für autonom fahrende Modellautos teil. Bei dem Rennen sitzt niemand hinter einem Lenkrad, keiner bedient einen Joystick. Wenn die Studenten ihr Auto angeschaltet haben, können sie nichts mehr tun, als am Rand zu stehen und zuzusehen.

Dafür hatten sie vorher jede Menge Arbeit. Sie mussten ein Auto bauen, programmieren, tüfteln. Wie schaffen wir es, dass das Auto auf der Strecke bleibt? Woher weiß es, wann es bremsen muss? Eine Kamera am Auto soll die weiße Fahrbahn und schwarze Striche darauf erkennen - und den Wagen innerhalb der Striche navigieren. Ein Jahr lang haben sich Florian Kerlschl, Alexander Denk und Hans-Georg Kneidinger darüber Gedanken gemacht - mit Erfolg. Als eines von drei deutschen Teams konnten sie sich im März für die Europameisterschaft qualifizieren.

Hans-Georg Kneidinger und sein Team aus Mechatronik-Studenten aus Deggendorf hat bei der Europameisterschaft in München kein Glück. (Foto: Robert Haas)

Doch heute geht alles schief: Zuerst ein Stau bei der Anfahrt, dann ist die Kamera kaputt, das Ersatzauto kann auch nicht starten - es hat einen Riss in der Schaltplatte. Für viele wären das Gründe, nervös zu werden. Aber die drei kommen aus Niederbayern und für sie ist Hektik ein Fremdwort. Mit vielen Ersatzteilen, viel Geduld und drei ruhigen Händen basteln sie ihr Auto wieder zusammen. Jetzt stehen sie hier und warten darauf, dass die Glastür aufgeht. Ob alles funktioniert?

"Das größte Problem ist das Licht", sagt Florian Kerlschl. "Wenn das plötzlich ganz anders als bei den Tests ist, kann alles schief gehen." Am liebsten ist ihrem Auto künstliches Licht. Im Labor ihrer Fakultät, wo sich neben dem Dozentenpult ihre Teststrecke befindet, waren die Vorhänge immer zugezogen und die Lampen an. Die Teststrecke dort hat Martin Fischer gebaut. Er ist der Dozent der drei Studenten und nimmt schon seit fünf Jahren an der Meisterschaft teil. Aus Kunststoff schnitt er die einzelnen Teile aus und klebte sie zusammen. "Ich glaube, ich bin nervöser als die", sagt er. Dann verteilt er Deutschlandfahnen und schwarz-rot-goldene Tröten an alle. Fischer ist so etwas wie der Team-Papa. Er steht bei Fragen zur Seite, bestellt die Ersatzteile, holt sie mit seinem Auto ab. Und hinterher organisiert er das Siegerbier.

Eine Kamera am Auto soll die weiße Fahrbahn und schwarze Striche darauf erkennen - und den Wagen innerhalb der Striche navigieren. (Foto: Robert Haas)

Als es losgeht, stehen alle 16 Teams um die Fahrbahn herum. Weil es gar nicht so einfach ist, die Strecke auf einmal zu durchfahren, hat jede Mannschaft drei Versuche. "Nur 20 Prozent schaffen es überhaupt", erläutert Fischer. "Das ist echt nicht so leicht, wie es aussieht."

Als erstes Team startet die Ukraine - und kommt gleich aufs erste Mal durch. Kerlschl kommentiert das mit einem leisen Fluch. "Nimm dir einfach ein anderes Auto, Hansi", sagt Denk. Hansi, das ist Hans-Georg Kneidinger, er soll das Auto starten. Das haben die drei Studenten gestern beim Feierabendbier so ausgehandelt. "Dann bin ich der Depp, wenn es nicht klappt." Als nächstes ist aber erst einmal Marokko dran. Das Auto fährt mit Karacho aus der Bahn. Es startet noch mal und kracht gegen die Bande. Und auch beim letzten Versuch ist nach ein paar Metern Schluss. Marokko ist raus.

"The next Team comes from Deggendorf, Germany", kündigt eine junge Frau das Team an. Kneidinger muss nach vorne. Ein kleiner Klick und das Auto fährt los, aber es erwischt die Kurve nicht. Noch ein Versuch. Doch es wird nicht besser. Auch beim letzten Mal klappt es nicht. Es gibt bloß wieder ein großes "oooh" aus dem Publikum.

"Ich weiß nicht, was los war", sagt Kneidinger hinterher. "Die Kamera hat einfach nicht reagiert." Denk zuckt mit den Schultern. Kann man auch nichts ändern, sagt sein Blick. Ein kleiner Trost: Auch die nächsten sechs Teams schaffen es nicht, die Strecke zu durchfahren. Dann sind ihre Studienkollegen dran, Deggendorf ist nämlich mit zwei Teams dabei. Roland Schöniger, ein junger Mann mit Dreadlocks, muss das Auto starten. Aber er drückt nicht einfach auf den Knopf wie die Teams vor ihm. Er hat blauen Karton dabei, darauf klebt Klebeband. Da fährt er das Auto ein paar Mal drüber. "Für den Grip", erklärt Kerschl. "Das Auto hat dann in den Kurven einen besseren Halt." Danach läuft Schöniger mit dem Modellauto im Arm die Strecke ab. Erst dann schaltet er es an. Und tatsächlich: Das Auto fährt, wenn auch langsam, sicher durch die Strecke. Es kommt durch jede Kurve, schafft es über die Rillen und den kleinen Hügel am Ende. 25,6 Sekunden. Fast sieben Sekunden langsamer als das ukrainische Team. "Ich bin schon froh. Die meisten haben es ja gar nicht geschafft", sagt Schöniger. Aber am Ende reicht es doch nur für den fünften Platz. Erster wird das Schweizer Team. "Es ist okay", sagt Fischer, der Dozent der Deggendorfer Studenten. "Wenigstens hat es ein Auto von uns geschafft."

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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