Streit um Verfassungstreue von Lehrern:Radikal sind da vor allem die Staatsinstanzen

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Wirklich ein "Volksfeind"? Ein junger Mann durchlebt bittere Reminiszenzen an den Kalten Krieg und soll kein Lehrer werden dürfen

"In eigenartiger Verfassung" vom 10./11. März:

Volksfeind 2018

Als Ibsen im Jahre 1883 seinen "Volksfeind" auf die Bühne stellte, bedurfte es noch eines schnell ernannten Versammlungsleiters, der geschickt einen "Shitstorm" auslöste, der dann bekanntermaßen den "Volksfeind" aus dem Hut zauberte. Heute - im übernächsten Jahrhundert nun - genügt anscheinend eine ministerielle Fernentscheidung für diese Kreation, der "Aufschrei" des Umfeldes etwa des Kollegiums in Schule und Seminar, den positiven Eindruck Einzelner in der Hierarchie (bis an die Spitze der Regierung von Oberbayern) braucht es anscheinend heute nicht mehr. Wer "Volksfeind" ist, entscheiden offensichtlich Einzelpersonen im "Verfassungsolymp", persönlicher Kontakt unnötig?

Diesen persönlichen Kontakt übernimmt nun ein Richter am Verwaltungsgericht, sollte er wie Schul-, Seminarleitung, Schulaufsicht und Regierung von Oberbayern auch zum Eindruck kommen, dass der junge Mann vielleicht nicht CSU-konform ist, aber ein guter Pädagoge zu werden verspricht, dann ist guter Rat teuer. Vielleicht kommt eine nächste Staatsregierung dann zu der Einsicht, dass die Einzelrolle Bayerns mit dem Verfassungüberprüfungshinundher überholt ist. Es wirkt auch befremdlich und ist gelinde auch nicht der Demokratie gerechter Kern, wenn man Lehrer nur über das Staatsmonopol werden kann und der Staat die Monopolaufsicht übernimmt. Dass eine mutmaßliche "Reichsbürger"-Bürgermeisterin im Allgäu momentan so lange im Amt sein darf, wirft dann wohl die Frage auf, mit welchem Auge hingeschaut wird.

Nach derzeitigem Beamtenrecht ist der Weg ohnehin gut überwacht. Als Beamter auf Widerruf, um diesen Status geht es hier, kann wohl die zweite Lehramtsprüfung abgelegt und somit die komplette Lehrbefähigung erworben werden. Danach heißt es dann "Zurück auf Los". Die Aufnahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ist kein Selbstläufer, auch hier hat der Staat wieder sein Einspruchs- also Vetorecht.

Sollte ein "Volksfeind" diese zweite Hürde genommen haben, hat er sich zu früh gefreut. Auch hier kein Automatismus, sondern: Frühestens nach zwei Jahren erfolgt die Probezeitbeurteilung durch die Schulaufsicht. Auch hier hat der Staat dann noch ein Vetorecht, zumindest die endgültige Entscheidung, noch ein Jahr hinauszuschieben. Und wenn einer Pech hat und dieses Prozedere über seinen 40. Geburtstag hinaus verläuft, dann ist Schicht im Schacht und es geht gar nichts mehr.

Es fragt sich daher, ob die bisherigen Aussagen und Verfügungen der Regierung von Oberbayern, des Verfassungsschutzes wie auch des Kultusministeriums - zu Beginn des bis zu fünfjährigen Hürdenlaufes! - noch als verhältnismäßig bezeichnet werden können. Der SZ-Titel spricht von "eigenartig". Es geht hier schließlich nicht nur um die Verfassungsrelevanz als schützenswertes Gut, sondern hier wird die Existenz und Berufslaufbahn eines jungen Menschen mit zwei abgeschlossenen Studiengängen "verwaltet". Ein junger Mann, der sich den Traum einer Mittelschullehrerlaufbahn momentan mit Hartz IV ermöglicht. Georg Glasl, München

Da wäre noch was anzumerkeln

Ähre, wem Ähre gebührt: Bayern hat natürlich Recht! Kinder schützen! Der lange Weg von einer kommunistischen Aktivistin der Jungen Pioniere bis zur christlich-demokratischen Bundeskanzlerin, die sich unermüdlich gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, Lohndumping, Kinder- und Altersarmut einsetzt, wobei sie durchaus "die Märkte nicht zu beunruhigen" weiß (Zitat A. Merkel) ist gewiss eine persönliche Leistung historischen Ausmasses. Solche Einsichten und "Reifeprozesse" sind einem einfachen Referendar auf keinen Fall zuzutrauen. Jiri Burgerstein, Göttingen

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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