Streik im Nahverkehr:"Bitte verlassen Sie den Bahnhof"

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Vier Stunden lang stehen die U-Bahnen am Morgen fast komplett still. Die Gewerkschaft Verdi hatte zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Die Streikenden fordern bessere Arbeitsbedingungen

Von Andreas Schubert, München

Hinweise auf Verspätungen kennt man ja in U-Bahnstationen. Der Satz "Bitte verlassen Sie den Bahnhof" auf der Bildschirmanzeige ist dagegen eine eher ungewohnte Ansage. Aber spätestens dann hatten es auch die Letzten kapiert, dass an diesem Tag erst einmal nichts ging im Untergrund. Die Gewerkschaft Verdi hatte zum Streik aufgerufen, um für die Verhandlungen für den Tarifvertrag Nahverkehr den Druck zu erhöhen. Zusätzlich streikten aus Solidarität die Kollegen, die nach dem Haustarif der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) bezahlt werden, die also gar nicht von den Verhandlungen betroffen sind.

Und der Streik zeigte seine Wirkung, auch wenn es im morgendlichen Berufsverkehr dann nicht ganz so chaotisch zuging, wie zunächst befürchtet. Die U-Bahnen standen von 4 bis 8 Uhr fast komplett still. Einzelne Züge verkehrten bereits von 7.30 Uhr an, und schon eine Stunde später war zum Beispiel im U-Bahnhof Marienplatz zu beobachten, dass fast der ganz normale Berufverkehrswahnsinn wieder herrschte.

Die U 6 Richtung Fröttmaning und die U 3 Richtung Moosach waren um 8.30 Uhr in etwa so voll wie vor einem Fußballspiel in der Allianz-Arena respektive einem Konzert im Olympiastadion. Doch wer es nicht mehr schaffte, sich in den Zug zu quetschen, musste zu dieser Zeit schon nicht mehr allzu lange warten. Die U 1 und U 2 am Sendlinger Tor, die eine halbe Stunde nach Streikende in beiden Richtungen fast schon im Regeltakt fuhren, waren nicht ganz so voll.

"Es ist relativ glimpflich abgelaufen", fasst denn auch MVG-Sprecher Matthias Korte den Vormittag zusammen. Etwa zwei Drittel aller Busse waren auf der Straße, auch drei Tramlinien konnten im Zehn-Minuten-Takt bedient werden. Der Münchner Streik-Leiter Franz Schütz war mit der Streikbeteiligung dennoch "sehr zufrieden". Bei der Kundgebung am frühen Morgen vor dem Tram-Betriebshof an der Einsteinstraße ging es um 6.30 Uhr morgens entsprechend hoch her. Zirka 200 Streikende hatten sich vor dem Tor versammelt, sie wurden unter anderem auch von den "Verdi-Senioren" unterstützt. Den meisten Streikenden ging es bei der Arbeitsniederlegung nicht ausschließlich ums Geld. Sie haben sich beteiligt, weil sie bessere Arbeitsbedingungen fordern.

Roland Kammerl, zum Beispiel. Der 53-Jährige fährt seit 26 Jahren Tram und nennt das noch heute seinen Traumberuf. Doch inzwischen ist sein Traum nicht mehr ganz so schön, wie noch vor zehn Jahren. "Die Situation hat sich dramatisch verschlechtert", sagt Roland Kammerl. "Die Belastung ist um 100 Prozent gestiegen." Schuld seien unter anderem der zunehmende Straßenverkehr, in dem auch die Trambahnen häufig stecken bleiben. Und das stark gestiegene Passagieraufkommen. Auch die kürzeren Standzeiten der Züge an den Wendeschleifen machen Kammerl zu schaffen, wie er sagt. "Ich habe nicht mal mehr die Zeit, auf die Toilette zu gehen." Dann sei wegen der vielen Fahrgäste auch der Druck gestiegen. "Man schafft es kaum mehr, pünktlich zu sein." Ob er den Job bis zur Rente noch schafft? "Keine Ahnung", sagt Kammerl, "Augen zu und durch."

Um den Fahrern das Leben ein wenig angenehmer zu machen, fordert die Gewerkschaft Verdi unter anderem, dass sie mehr Freizeitausgleich für Nachtschichten bekommen. Stefan Hetzler, 43, der seit sechs Jahren als Trambahnfahrer arbeitet, sagt etwa: "Wenn ich schon so wenig verdiene, dann will ich nicht auch noch immer mehr Druck haben."

Ein Problem sieht der Familienvater darin, dass die Fahrer oft zu lange Pausen machen müssten, wodurch sich der Arbeitstag verlängere, um auf die nötigen Stunden zu kommen. Gerade Kollegen von außerhalb könnten nicht zwischendurch nach Hause fahren. Hier müsse eine bessere Pausenvergütung her. Und auch die derzeitige Nachtstunden-Regelung sei gerade für Väter oder Mütter "extrem anstrengend", so Hetzler. Die Fahrer sollten die Freiheit haben, zu entscheiden, ob sie lieber einen finanziellen Ausgleich für die Nachtschichten bekommen oder mehr freie Tage. "Ich würde mir lieber frei nehmen", sagt Hetzler. Doch andere würden lieber mehr Geld sehen, da das Leben in München immer teurer werde."Bei mir geht's noch, wir haben einen anständigen Vermieter."

© SZ vom 15.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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