Stehpaddeln:Gestanden

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Der Münchner Carsten Kurmis gilt beim Stehpaddeln als einer der Cracks der Szene. Dabei wurde der 47-Jährige zu Beginn ausgelacht, als er die heute populäre Sportart vor fünf Jahren in Deutschland etablieren wollte

Von Otto Fritscher

Carsten Kurmis kann einen Fluss lesen. Und trotz dieser Fähigkeit kommt er auf seinen Wasserfahrten nicht ohne Blessuren davon. Das liegt an der schwierigen Sportart, die er betreibt, aber auch an der Streckenwahl.

Der 47-Jährige schippert nicht mit einem Floß auf der Isar von Wolfratshausen in Richtung München, oder mit einem Schlauchboot von Geretsried nach Wolfratshausen. Er nimmt auf seinem Brett die Griesenschlucht an der Loisach oder gar die Imster Schlucht, klassische Wildwasser-Reviere für Kajakfahrer, die viel Erfahrung und eine gehörige Portion Mut mitbringen. "Da habe ich mir gedacht, diese Strecken müsste man doch auch als Stehpaddler befahren können", sagt Kurmis. Der Münchner war vermutlich der erste, der diese anspruchsvollen Reviere auf einem SUP-Board - auf Englisch: Stand Up Paddling - stehend bewältigt hat.

"Das ist Adrenalin pur, der Puls ist permanent auf 180. Du musst super reaktionsschnell sein, und den Fluss lesen können, immer Vollgas fahren", sagt er. Denn steuerbar, um Gesteinsblöcke im Wasser, Stromschnellen, Äste oder Bäume herum ist ein SUP-Brett nur, wenn es schneller als die Fließgeschwindigkeit des Wassers ist. "Man muss immer weit vorausschauen" erklärt Kurmis, der als der Wildwasser-SUP-Crack in Deutschland schlechthin gilt.

Aber auch solche Cracks krachen mal gegen Steine. Kurmis zählt die Knochen auf, die er sich schon mal bei seinem Sport gebrochen hat. Es ist eine ziemlich lange Liste. Das Gute sei, dass man im Notfall vom Brett herunterspringen könne. "Aus einem Boot kannst Du nicht so schnell aussteigen." Zur Pflichtausrüstung gehören Helm, Prallschutzweste, Protektoren an den Beinen, und natürlich eine Schwimmweste.

Einmal sei er zwischen Brett und einem Stein eingeklemmt gewesen, in einer Walze. "Ich wäre selbst vielleicht nicht mehr rausgekommen, aber es war ein Freund dabei." Warum geht Kurmis immer wieder ein solches Risiko ein? Ist es das Adrenalin, das den Kick bringt, oder das Gefühl von Freiheit? "Eine Kombination von all dem", sagt Kurmis, und fügt als weitere Motivation die "Verbundenheit mit der Natur" hinzu. Dann könnte er allerdings auch Wandern gehen. "Es ist das Wasser, ein bewegtes und bewegendes Element, das mich so fasziniert, und das schon seit vielen Jahren."

Es ist eine Geschichte, die, wie sollte es auch anders sein, auf Hawaii beginnt. Bevor Kurmis aufs Stehpaddelbrett umstieg, war er passionierter Wellenreiter. An einem Tag vor acht Jahren lag er im Wasser, in der Line-up-Zone, in der die Surfer auf die richtige Welle warten. "Da kommt auf einmal von hinten ein Schatten, ich dreh' mich um, und es ist Laird Hamilton auf einem SUP-Board", sagt Kurmis, der selbst mittlerweile zur erweiterten Weltspitze bei den SUP-Sprintern und im Wildwasser zählt. "Laird Hamilton, das ist eine Koryphäe im Wassersport." Hamilton lieh Kurmis sein Brett und drückte ihm eines der langen Paddel in die Hand. Und tatsächlich fand Kurmis das SUP gleich auf Anhieb interessant; so interessant, dass er diesen neuen, ihm bis dato unbekannten Sport mal in Deutschland ausprobieren wollte. "Dann kannst Du die SUP-Boards ja auch gleich in Deutschland verkaufen, ich habe dafür noch keinen Importeur", sagte Hamilton zu Kurmis.

"Das ist Adrenalin pur", sagt Carsten Kurmis über seine Sportart, das Stand-up-Paddling (SUP). (Foto: oh)

Und so kam es dann auch. "Ich bin durch ganz Deutschland von Wassersportladen zu Wassersportladen getingelt", berichtet Kurmis. Die Reaktion der Händler? "Die haben mich ausgelacht." Denn die Windsurfer hätten gesagt: Wir gehen zum Radfahren, wenn kein Wind ist. Und die Kajakfahrer haben gesagt: "Warum soll ich stehen, wenn ich in einem Boot sitzen kann." Doch Kurmis gab nicht auf, und vor etwa fünf Jahren kam dann der Durchbruch für die SUP-Bretter.

Die Wassersport-Branche war für ihn kein fremdes Revier, denn Kurmis, gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann, stieg nach Bundeswehr und Fachabitur über einen Freund zunächst in den Großhandel mit Segelboot- und Motorbootzubehör ein. Mit 17 hatte der Münchner zudem auch noch das Snowboarden angefangen, und dann als Vertreter - offiziell hieß das "Business Manager" - für verschiedene Snowboard-Marken im Außendienst gearbeitet. "Und als dann eine dieser Firmen das erste Stehpaddelbrett auf den Markt gebracht hatte, war klar, dass ich die Dinger verkaufen sollte."

Mit dem Wassersport kam Kurmis noch früher in Berührung als mit der Branche. Schwimmen hat er mit vier Jahren gelernt. Mit 13 stieg er zum ersten Mal auf ein Brett: Im Atlantik vor der französischen Küste machte er einen Windsurfingkurs, blieb diesem Spiel mit Wind und Wellen treu, bis er 18 war. "Nach der Schule ging es zum Feringasee, am Wochenende an den Gardasee", erzählt er. Dann begann seine "Eisbach-Zeit", wie Kurmis das nennt. Ein Freund, ein Wellenreiter, sprach ihn an. "Hey, wir haben da in München eine Welle, komm' doch mal mit zum Eisbach."

Kurmis ging mit. "Es war November, es war saukalt, ich hatte zwei Neoprenanzüge übereinander an." Er fiel unzählige Male vom Brett ins eiskalte Wasser. "Nach einer halben Stunde habe ich meine Zehen und Finger nicht mehr gespürt, wir hatten keine Schuhe und keine Fäustlinge", sagt Kurmis. "Aber eine Thermoskanne Tee. Den haben wir allerdings nicht getrunken, sondern über Hände und Füße gegossen, um wieder ein Gefühl zu bekommen, bevor wir wieder rein sind." Der Eisbach sei etwas ganz Spezielles gewesen: "Sehr hart, sehr schnell, man braucht eine extrem gute Koordination." Die Einbauten, die heute für eine relativ konstante Welle sorgen, habe es noch nicht gegeben. Dafür nächtliche Verfolgungsjagden mit der Polizei durch den Englischen Garten, denn das Surfen war im Eisbach noch nicht erlaubt.

Großes Brett, kleines Paddel: Carsten Kurmis mit Ausrüstung. (Foto: Florian Peljak)

"Ich habe jeden Tag vor der Arbeit vorbeigeschaut, ob die Welle geht, ob sie Weißwasser oder Grünwasser hat", sagt Kurmis. Mit Weißwasser bezeichnen die Surfer eine Welle, die sich wie eine Walze bricht, sie taugt nicht zum Wellenreiten. "Die Grüne Welle hat hingegen eine offene Fläche, auf der es sich mit dem Brett entlanggleiten lässt." Wenn es ging, radelte Kurmis nach Hause, und brachte das Surfbrett mit einem selbst gebastelten Fahrradanhänger zum Eisbach. Manchmal fiel das Surfen allerdings auch aus, weil die Polizei wieder mal sein Brett beschlagnahmt hatte, und Kurmis die Strafe - zwischen 80 und 400 Mark - noch nicht bezahlt hatte.

"Wir haben zehn Jahre lang für die Legalisierung des Surfens auf dem Eisbach gekämpft. Erst als sich der damalige Oberbürgermeister Christian Ude der Sache angenommen hatte, ist es vorangegangen", sagt Kurmis. Heute sind die Eisbach-Surfer in jedem Reiseführer als Attraktion für jeden München-Touristen aufgeführt. Kurmis selbst ist aber nur noch selten dort, etwa wenn Freunde aus der Szene zu Besuch in München sind. Zum Stehpaddeln ist die Eisbach-Welle nicht gut geeignet, da die SUP-Bretter größer als die Boards der Wellenreiter sind. Kurmis liebt das wilde Wasser, aber mit einem Paddel in der Hand.

Manchmal paddelt Kurmis aber auch quasi direkt vor seiner Haustür los, von Leutstetten, wo er vor einem Jahr hingezogen ist, die Würm hinauf bis zum Starnberger See. "Das ist da wie im Urwald", sagt Kurmis. Denn auf der sanften Würm gleitet man zwischen meterhohem Schilf, das zu beiden Seiten des Flusses in die Höhe ragt, und verwunschenen Bäumen im Wasser, von menschlichen Ansiedlungen ist auf diesem Abschnitt des Flusses nichts zu sehen. In solchen Momenten ist die Faszination Wasser für Carsten Kurmis keine, die ihn mit Adrenalin füllt.

Ob reißende Stromschnellen oder einsame Wasserwege - Kurmis kann sich auf seinem Brett fühlen wie der Herrscher über ein sehr bewegendes Element.

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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