SZ-Serie: Routen der Römer:Dicht besiedelt

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1957 werden bei Arbeiten im Mischenrieder Wald Skelettteile gefunden - was anfangs wie ein mysteriöses Verbrechen erscheint, entpuppt sich als bedeutender Hinweis auf die römische Vergangenheit dieser Gegend

Von Astrid Becker

Es beginnt mit einem grausigen Fund. Bei Wegearbeiten werden im Mischenrieder Wald ein paar Knochen gefunden. Menschenknochen. Die Entdecker alarmieren sofort die Polizei. Doch die Beamten werden in diesem Fall nicht mehr aktiv: Die Knochen sind zu alt. Sogar viel zu alt. Mehr als 1500 Jahre.

Die Augen von Weßlings Bürgermeister Michael Muther beginnen zu leuchten, wird er auf das angesprochen, was die Knochen über die römische Vergangenheit in dieser Gegend erzählen. Und das ist eine ganze schöne Menge. Muther zieht eine dicke Forschungsschrift aus dem Archiv seines Rathauses: Der Passauer Professor Helmut Bender hat darin akribisch festgehalten, was er in den siebziger und Anfang der achtziger Jahren bei gleich mehreren Ausgrabungen entdeckt hat.

Der Wissenschaftler stützte sich damals auf den knöchernen Sensationsfund, der damals, 1957, so zufällig entdeckt wurde. Eine Baumaschine hatte damals die Skelettteile freigelegt, die letztlich nicht die Kriminalpolizei, sondern das Bayerische Landesamt für Denkmalschutz beschäftigten sollten. Zwischen dem 12. Juni und 7. Juli 1957 fanden die Archäologen dort bei Rettungsgrabungen elf Skelettgräber und vier Brandgräber, also Gräber, in denen sich die verbrannten Überreste von Toten befinden. Nur wenige Jahre später, 1965, werden noch mehr Gräber gefunden. Und eines wird dabei schnell klar: Die Gräber stammen aus der spätrömischen Zeit.

Wo aber ein Friedhof ist, müssen irgendwo in der Nähe auch Menschen gelebt haben. Das gebietet schon die Logik. Eine Beobachtung, die die Wissenschaftler bei ihren Grabungen gemacht hatte, schien dies auch zu bestätigen. Sie gingen alsbald davon aus, dass sich weiter südöstlich, auf einem Hügel eine Siedlung befunden haben muss. Auch dort waren bei Wegearbeiten Reste eines Hauses und verbrannte Ränder einer Terra-Sigillata-Schüssel aufgetaucht - also eines Teils, das zu einem recht luxuriösen Tafelgeschirr aus Keramik gehört haben muss. So richtig nachgegangen wurde diesen Funden aber dann erst in mehreren Grabungen, die in der Zeit von 1972 bis 1982 unternommen wurden. Die Wissenschaftler stellten allein bei den ersten neun Untersuchungen des Geländes unter der Leitung der Passauer Professors Helmut Bender fest, dass der ganze Hügel in spätrömischer Zeit bis zum Ende des vierten Jahrhunderts nach Christus besiedelt gewesen sein muss. Sogar relativ dicht.

Die spätrömische Siedlung Frauenwiese gilt als Beleg für dichte Ansiedlung der Römer in der Gegend rund um Gilching. (Foto: Georgine Treybal)

Denn für nur einen Gutshof, wie vielleicht zu vermuten gewesen wäre, war der umbaute Raum viel zu groß. Es musste sich also um eine richtige Siedlung handeln und zwar um eine, die gleich zwei Mal mit Palisaden umzäunt war. Bei den Grabungen wurden allerlei Gegenstände gefundne. Da ist zum Beispiel ein Pax-Christi-Ring, also ein eiserner Fingerring, der mit einem Christogramm verziert ist. Er gilt heute als einer der frühesten Objekte mit einem christlichen Symbol im ländlichen Raum und ist im Museum des Vereins Zeitreise im Gilchinger Werson-Haus ausgestellt. Gefunden wurden allerdings auch Möbelbeschläge, Werkzeug, Schlüssel, Geschirr aus Keramik und Glas, Fibeln, Schmuck und 323 Münzen aus der Zeit zwischen 32 v. Chr. bis 403. n. Chr.. Weil auch viele Fragmente militärischer Ausrüstungen und auch Waffen entdeckt wurden - vor allem in einem Gebäude, das der zweiten Hälfte des vierten Jahrhundert zu geschrieben wurde, gehen die Wissenschaftler davon aus, das Militärangehörige längere Zeit in der Siedlung verbracht haben müssen.

Zu den Fundstücken gehört auch ein Pax-Christi-Ring, ein recht frühes Zeugnis römischer Christen.

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(Foto: Georgine Treybal)

Im Mischenrieder Wald selbst zeugt heute nur eine Tafel von der einstigen Siedlung.

Entdeckt wurden aber auch sehr viele Tierknochen, was zur Annahme führt, dass die Bewohner der Siedlung vor allem Viehzucht betrieben haben - vermutlich um Schlachtvieh an die Legion zu verkaufen und so zu einigem Wohlstand zu kommen.

Die Römer waren allerdings nicht die ersten, die sich dort niederließen. Offenbar müssen dort auch schon Menschen in der Latene-Zeit gelebt haben, wie einige Funde, die entsprechend datiert wurden, beweisen. Echte keltische Siedlungsreste wurden nicht ausgegraben. Dafür scheint aber festzustehen, dass die Römer in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. begonnen haben, sich dort anzusiedeln. So wurden Fundamente von zwei Gebäuden auf die Zeit um 200 n. Chr. datiert. Eines davon wurde als Wohnhaus genutzt, das andere verfügte offenbar über einen Keller, der zur Vorratshaltung gedient haben muss. Beide Häuser waren mit Brandschutt bedeckt, was auf ein Feuer hindeutet, das möglicherweise während der Alemanneneinfälle um 233/234 n. Chr. ausgebrochen ist. Es könnte gut sein, dass im Anschluss daran erst einmal keine Menschen mehr dort wohnten - offenbar bis zum Ende des dritten Jahrhunderts. Damals müssen zwölf Gebäude und ein Brunnen entstanden sein, fünf Häuser wurden als Wohnhäuser genutzt, mindestens eines davon verfügte über eine Fußbodenheizung. Zudem fand man noch mehrere Gruben, in denen Abfall verscharrt wurde wie die Gehäuse von Weinbergschnecken und Austernschalen. Nachdem bislang keine Funde mehr aus der Zeit nach dem 4. Jahrhundert gemacht worden sind, geht man derzeit davon aus, dass die römische Besiedelung um die Zeit ein Ende gefunden hat. Ein Ende, das möglicherweise sogar mit dem Abzug der in Regensburg stationierten Legio IX Italica in Zusammenhang steht. Diese wurde zum Schutz des weströmischen Kerngebietes in die Po-Ebene verlegt. Vielleicht haben sich die Bewohner dieser Legion angeschlossen. Oder woanders niedergelassen. Gesicherte Erkenntnisse dazu gibt es noch nicht. Aber wer weiß schon, was die Forscher noch entdecken. Oder Bauarbeiter, wenn sie wieder einmal in der Gegend Wege instand setzen.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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