Besuch in Mittelsachsen:Ein besonderer Weltrekord

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Eine Delegation des Starnberger Kreistags hat den Landkreis Mittelsachsen besucht. Die Kommunalpolitiker zeigen sich beeindruckt von den Leistungen im Osten. Dazu gehört auch ein 41 Meter langer Biertisch.

Von Christine Setzwein

Mittelsachsen also. Klingt irgendwie nach Mittelerde. Mit Erde hat das Erzgebirge auch eine Menge zu tun. Jahrhundertelang gruben sich rund um die alte Bergstadt Freiberg Männer tief in den Boden und förderten in Schwerstarbeit Silber zu Tage. Alt wurden sie dabei nicht, die sächsischen Kurfürsten dafür umso reicher. Heute gehört der Landkreis Mittelsachen - 2008 aus den drei Kreisen Döbeln, Freiberg und Mittweida gebildet - zu den finanzstärksten in den neuen Bundesländern, wie Landrat Volker Uhlig seinen Gästen aus dem Fünfseenland erzählt. Angeführt von Starnbergs Landrat Karl Roth, hatte sich eine Delegation aus Kreisräten und Verwaltungsmitarbeitern auf den Weg gen Osten gemacht. Ihre Absicht: die freundschaftlichen Beziehungen auffrischen und vertiefen. Die Kontakte nach Sachsen bestehen schon seit der Wende. Anfang der 1990er Jahre unterstützte das Landratsamt Starnberg den Landkreis Hainichen, der später in den neu gebildeten Landkreis Mittweida überging, bei der Neuorganisation der Verwaltung. In den vergangenen Jahren waren es vor allem die Sportler, die die Verbindung aufrecht hielten und Teams zu den jeweiligen Landkreisläufen schickten.

Aber es gibt auch besonders enge Bande zur Kreisstadt Freiberg. Die Tutzinger Marianne und Frank-Michael Engel engagieren sich mit ihrer gleichnamigen Stiftung seit Jahren in Sachsen, setzen sich für die denkmalgerechte Nachnutzung historisch bedeutsamer Industrieanlagen ein. 2009 wurde dem gebürtigen Niederlausitzer Engel die Ehrendoktorwürde der TU Bergakademie Freiberg verliehen. Aktuell setzt sich die Stiftung dafür ein, dass das Erzgebirge zum UNESCO-Weltkulturerbe "Montanregion Erzgebirge" ernannt wird. In Freiberg wurde 2014 mit Hilfe der Engels das Lomonossow-Haus eingeweiht, eine Wohn- und Begegnungsstätte für bis zu 16 russische Studenten und Wissenschaftler. Auf Betreiben des Tutzinger Kreisrats Wolfgang Weber-Guskar wurde der Starnberger Delegation das Haus aufgesperrt.

Ein Besuch in Dresden gehörte auch zum Programm der Starnberger Kreistags-Delegation. (Foto: Christine Setzwein)

Zwei Tage Mittelsachsen, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. Das sollte nicht nur eine Fahrt werden, um zu schauen, "wo unser Soli hin ist", wie es Landrat Roth ausdrückte. Die etwa 30 Teilnehmer aus dem Starnberg wollten vor allem wissen, wie die Sachsen ticken, wo sich die zwei Landkreise ähneln oder unterscheiden. Was die Größe angeht, können die Starnberger nicht mithalten. Der Landkreis Mittelsachsen ist riesig: 315 000 Menschen leben auf einer Fläche von 2112 Quadratkilometern. In Starnberg sind es 130 000 auf 440 Quadratkilometern. Der Haushalt des Kreises Mittelsachsen hat ein Volumen von 330 Millionen Euro, allein 21 Millionen kostet die Kinder- und Jugendhilfe. Sogar den höchsten Punkt können die Mittelsachsen für sich beanspruchen. 837 Meter misst der Kohlberg, da kann nicht einmal der "Heilige Berg" in Andechs mit seinen 711 Metern mithalten.

Im Kreistag Mittelsachsen sitzen 98 Kreisräte aus 21 Städten und 33 Gemeinden. In Starnberg sind es 60 Kreisräte, 13 Gemeinden und die Kreisstadt. Spitze sind die Starnberger dagegen bei der Kreisumlage - 46,99 zu 29,95 Punkte - und bei den Mieten. Von Kaltmieten zwischen drei und sechs Euro pro Quadratmeter können die Menschen im Fünfseenland nur träumen.

Bei Entfernungen von bis zu 200 Kilometern von einer Landkreisgrenze zur andern muss die Bürgernähe zwangsläufig auf der Strecke bleiben. "Ich habe 220 Feuerwehren", sagt Landrat Uhlig. Auch in seinen 13 Amtsjahren ist es ihm nicht gelungen, alle zu besuchen.

Den Kommunalpolitikern gefiel es in Mittelsachsen. (Foto: Christine Setzwein)

Die Gäste sind beeindruckt, aber eigentlich möchten sie an diesem Nachmittag im Landratsamt in Freiberg gerne zum Hauptthema kommen, über das sie sich mit den Gastgebern austauschen wollen: die Unterbringung von Asylbewerben. Schwierig. Im Landkreis Mittelsachen werden am 7. Juni ein neuer Landrat und 35 Bürger- und Oberbürgermeister gewählt. Vor diesem Hintergrund möchte CDU-Landrat Uhlig am liebsten gar nichts sagen, denn dass beim Thema Asylbewerber "manchmal die Hütte brennt", gibt er unumwunden zu. Auch deshalb wurden die drei NPD-Kreisräte zu dem Treffen mit der Starnberger Delegation gar nicht erst eingeladen. Bei einem Ausländeranteil von nicht einmal drei Prozent - in Bayern sind es mehr als zehn - sei "die Wahrnehmung im Osten eine völlig andere als im Westen", sagte Uhlig. Es würden Ängste geschürt, die nicht nachvollziehbar seien. Ein paar Stunden später werden zwei Rechtsextremisten in Brandenburg einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Zossen verüben.

2014 lebten im Landkreis Mittelsachsen 1000 Asylbewerber, aktuell kämen pro Woche 48 neue dazu, erläutert Uhlig. In Starnberg sind es pro Woche 20, sagt Landrat Roth, bis Ende des Jahres rechnet er mit insgesamt 1200 Flüchtlingen. Unterkünfte zu finden, wird hier wie dort immer schwieriger. "Darauf haben wir Antworten bis Mitte des Jahres", sagt Uhlig. "Für die zweite Hälfte suchen wir." So wie im Landkreis Starnberg kann sich aber auch Uhlig auf seine Bürgermeister verlassen. "Sie sind unsere Partner."

Wie man sieht, hatte auch Landrat Karl Roth seine Freude: Die Holzskulptur stand in Blockhausen. (Foto: Christine Setzwein)

Zeit für Diskussionen bleibt am Abend. Da treffen sich bayerische und sächsische Kommunalpolitiker und Behördenvertreter in "Blockhausen", das zu Dorfchemnitz gehört. Die Busfahrt dorthin zeigt, was Landrat Uhlig als leistungsfähige Landwirtschaft pries. Riesige blühende Rapsfelder entlang der Straßen - und immer wieder Windräder. "Ich weiß nicht, ob ich 150, 200 oder 300 Windräder habe", antwortet Uhlig auf die Frage nach der Anzahl. Aber wenn er sagt, "hier können Sie die Verspargelung des schönen Erzgebirges sehen", klingt das nicht nach Begeisterung über die alternative Energiegewinnung.

"Blockhausen", eine Ansammlung von Blockhäusern im kanadischen Stil mitten im Wald und dem mit 41 Metern längsten Biertisch der Welt, kennen nicht einmal alle sächsischen Kreisräte. Staunen, Schmunzeln, Kopfschütteln über die überlebensgroßen Holzskulpturen, Hexen, Fabelwesen, Sensenmann, geschaffen von internationalen Kettensägenkünstlern. In der Hütte gibt es eine Tischordnung, Gäste und Gastgeber sollen sich mischen. Da diskutieren dann Starnberger Grüne mit sächsischen Linken über den Mindestlohn, Starnberger Liberale mit sächsischen Konservativen über die richtigen Wahlkampfthemen. Nur Kathrin Kollmann, die neue Starnberger Regionalmanagerin, hat wirklich Pech. Sie wird an den Tisch mit AfD-Kreisräten gesetzt, die an einer Unterhaltung wenig Interesse zeigen. Gastfreundschaft schaut anders aus.

Auf der Heimfahrt nach der Stadtbesichtigung von Dresden freut sich Landrat Roth über die zwei schönen Tage. "Hut ab", sagt er, was die Menschen dort geschaffen und erreicht hätten. Er würde sich freuen über weitere Kontakte auf freundschaftlicher Basis, egal wer neuer Landrat wird. Weber-Guskar lobt die offene Diskussion und die lockeren Gespräche. Sein Fazit? "Bewundernswert, was die Sachsen waren, was sie heute sind und was sie aus ihrem Land gemacht haben." Friedrich II., der Alte Fritz, hat es vor etwa 250 Jahren so ausgedrückt: "Sachsen ist wie ein Mehlsack, egal wie oft man draufschlägt, es kommt immer noch etwas heraus."

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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