Kaschnitz-Preis für Lutz Seiler:Die Poesie des Abwaschens

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Der Schriftsteller gibt bei der Preisverleihung in Tutzing viel Biografisches preis. Der Autor lobt den Wert des Handwerks und erzählt vom Schweineschlachten und Schülerfußball in Rom.

Von Armin Greune

2007 hat er bereits den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten, dazu kamen ein gutes Dutzend Lyrikauszeichnungen sowie der Deutsche Erzählerpreis. Für seinen ersten Roman "Kruso" gab es 2014 den Uwe-Johnson-Preis und Deutschen Buchpreis. Lutz Seiler hätte also im Marie-Luise-Kaschnitz-Preis nur eine weitere Ehrung von vielen sehen können - zumal die seit 1984 alle zwei Jahre von der evangelischen Akademie vergebene Auszeichnung mit 7500 Euro relativ bescheiden dotiert ist. Doch dieser Literaturpreis kann mit einer Besonderheit aufwarten: Die Verleihung ist mit einer Wochenendtagung in Tutzing verbunden, die sich mit dem Werk des Preisträgers befasst. "Von Crusoe zu Kruso - Inselwelten in der Literatur" lautete der Titel und zum Tagungsprogramm gehörte auch eine moderierte Lesung. Bei dieser Gelegenheit und auch bei der Dankesrede zum Festakt tags darauf gab Seiler viele interessante Einblicke in seine Biografie.

Der 1963 geborene Autor wuchs in Südthüringen auf einem Bauernhof auf, wo er "als Kind fertig gemacht wurde - also gefrühstückt, wetterfest angezogen und nach hinten 'rausgeschickt", erzählte Seiler. Als Zwölf- oder 13-Jähriger musste er beim Schweineschlachten Därme ausspülen: "Das stinkt erbärmlich, ich bin fast umgefallen." Die Hausmacher-Leberwurst tauschte Seiler dann bei Schulfreunden gegen beliebige "Konsum"-Ware ein.

Seine Jugend habe ihn den Wert des Handwerks gelehrt, was sich auch in "Kruso" niedergeschlagen habe: Dort widmet er sich detailgetreu dem Abwasch als "untergegangenes Handwerk, wo wir doch jenseits des mechanischen Zeitalters angekommen sind". Zuhause gab es keine Bücher, die ersten Leseerfahrungen sammelte Seiler erst mit 21 Jahren, als er nach einer abgeschlossenen Lehre als Baufacharbeiter den Dienst in der Nationalen Volksarmee antrat. Fast gleichzeitig habe er zu schreiben begonnen - lange Gedichte, sagte Seiler. Seine Eltern hätten das toleriert und "nichts gegen das Schreiben gesagt".

1988 besuchte er das erste Mal Hiddensee, den Schauplatz von "Kruso", wo der Autor dann 1989 selbst zu den "SKs" den Saisonkräften im "Klausner" gehörte, die er im Roman in jenem Jahr vor der Wende begleitet. Seiler liest eine Szene, die den Betrieb im Lokal zur Stoßzeit wiedergibt, wo Kellner zu Soljanka und Schnitzel schweinische Gedichte rezitieren und die Spüler am Abend in einem knietiefen Sumpf von Speiseresten stehen. Und dennoch hätte diese Sklavenarbeit die SKs mit Ehrgefühl und Stolz erfüllt, dieses "schon sehr sonderbare Kollektiv", sagte Seiler.

Im Roman wie in seinen Gedichten tritt die DDR eher am Rande auf, nicht als Staat, sondern "als Lebenswelt - aber auch ohne benannt zu werden, ist dieser Staat anwesend" , meinte SZ-Literaturkritiker Lothar Müller in seiner Laudatio: "Die Kunst des Autors Lutz Seiler besteht nicht zuletzt darin: nicht alles auf einmal sagen."

Der Autor nahm in seiner Dankesrede auf Ingeborg Bachmann Bezug, die wie er Stipendiatin der Deutschen Akademie in der römischen Villa Massimo war, allerdings 50 Jahre zuvor. Mit 14 Bücherkisten kam die Familie Seiler Anfang2011 für ein knappes Jahr nach Rom. Doch statt wie geplant seinen ersten Roman zu Papier zu bringen, ergriff Lutz Seiler eine Schaffenskrise: Er flüchtete sich in die Hypochondrie und lernte die Stadt bei den Auswärtsspielen und Trainings der Fußballschülermannschaft kennen, in der sein Sohn mitspielte. Zum Amusement der Zuhörer trug Seiler diese Beobachtungen und Erlebnisse mit dem gleichen trockenen und subtilen Humor vor, der auch "Kruso" kennzeichnet. Die Episode in Rom hatte ja schließlich auch ein Happy End: Aus den zehn dort über Hiddensee geschriebenen Zeilen wurden am Ende doch 500.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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