Stadtradeln:Den Trend anschieben

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Die Organisatoren sind davon überzeugt, dass ihre Aktion auch die Politik zum Umdenken bewogen hat. Immerhin stellt der Landkreis jetzt mehr Geld zur Verfügung

Von Christiane Bracht

Von Sonntag an wird wieder in die Pedale getreten. Egal ob in Tutzing, Herrsching oder Krailling - viele Radler sind schon startklar. Im vergangenen Jahr machten zwar doppelt so viele Teams bei der Aktion mit, aber die Organisatoren sind zuversichtlich, dass am Ende wieder mindestens 5000 Radler teilnehmen. Wie in den Jahren zuvor werden sich viele erst während der drei Wochen von Nachbarn, Freunden, Kollegen oder Bekannten mitreißen lassen, ihre Räder aus dem Keller holen und fleißig Kilometer für den Landkreis und natürlich den eigenen Ort sammeln. Die ersten Touren sind bereits ausbaldowert, die Plakate aufgehängt und Flyer verteilt, um die Leute auf die Sattel zu locken. Klar, viele halten das Stadtradeln für Spielerei, wenn nicht sogar für Kinderkram, aber es gibt auch andere, die die Aktion als Erfolgsgeschichte preisen. Denn schaut man sich an, was sich in den vergangenen Jahren für den Radverkehr verändert hat, kann man schon staunen.

Am augenfälligsten sind natürlich die neuen Radwege. So gibt es zum Beispiel seit einiger Zeit eine neue Route von Krailling ins Gewerbegebiet KIM hinaus, Berg hat entlang der Kreisstraße einen Weg von Bachhausen nach Farchach asphaltiert und die neue Verbindung zwischen Herrsching und Fischen wurde erst vor ein paar Tagen eingeweiht. Geplant sind natürlich noch mehr sichere Wege für Radler, doch die Realisierung ist nicht immer so einfach, sagt die Verkehrsmanagerin des Landkreises Susanne Münster.

Als große Verbesserung preisen vor allem die Pendler, dass an vielen Orten die alten Radständer ersetzt wurden. Besonders vorbildlich ist insoweit der Bahnhof Hechendorf. Dort hat man ein Glashaus errichtet, indem jeder sein Rad nicht nur sicher, sondern auch geschützt vor Wind und Wetter hinstellen kann. Um den Radlern die Orientierung zu erleichtern, gibt es seit einiger Zeit Wegweiser und eine Radkarte im Internet. Demnächst wird sogar ein Radroutenplaner vom MVV online gehen, der zunächst allein für München und den Landkreis Starnberg, als einzigem im Umland, Strecken plant, auf denen man Bahn fahren und radeln kombinieren kann. Je nach Wunsch kann man dann vielstrampeln oder eben weniger.

Die Leihräder, die die Firma Eos vor drei Jahren im Kraillinger Gewerbegebiet installieren ließ, finden übrigens auch immer mehr Anhänger. Viele Mitarbeiter sind inzwischen vom Auto aufs Rad umzusteigen - zumindest in den Sommermonaten. Die Gemeinde unterstützt das System finanziell mit einer Station am Planegger Bahnhof. Seit vergangenem Jahr hat auch die DLR das Leihradsystem eingeführt, in diesem Sommer folgt der Astopark am Sonderflughafen

Die Organisatoren des Stadtradelns sind davon überzeugt, dass ihre Aktion auch die Politik zum Umdenken bewogen hat. (Foto: Georgine Treybal)

"Ohne das Stadtradeln wären all diese Neuerungen nicht möglich gewesen", davon ist Münster überzeugt. Denn die Aktion habe deutlich gemacht, dass viele das Rad als Alternative zum Auto nutzen und nicht nur in der Freizeit damit herumfahren. Man könnte fast schon sagen, das Stadtradeln hat einen neuen Trend gesetzt. Anfangs reizte es nur Sportler, doch die Organisatoren konnten immer mehr Alltagsradler mit der Aktion locken und schafften es sogar, dass Leute ihre längst verstaubten Räder aus dem Keller zogen, nur um am Mittagstisch in der Firma oder im Gespräch mit Freunden und Nachbarn mitreden zu können, wenn andere sich um die gefahrenen Kilometer und Routen unterhielten. Was die Verkehrsmanagerin aber besonders beeindruckt, ist die Tatsache, dass die Leute nach der Aktion ihre Räder nicht sang- und klanglos wieder im Keller verschwinden lassen, sondern sie fahren einfach weiterhin mit dem Rad herum.

Nach dem ganz großen Erfolg vor zwei Jahren als der Landkreis Starnberg bundesweit den zweiten Platz machte und an die 6000 Radler zum Mitmachen bewegen konnte, kam im vergangenen Jahr die Schlappe: Deutlich weniger setzten sich auf den Sattel, um Kilometer zu sammeln. Die Organisatoren schoben es auf den kühlen und regnerischen Sommer. Doch Gerhard Sailer, einer der Organisatoren der Aktion, muss inzwischen einräumen: Das war nicht einzige Grund. "Im Gespräch haben mir einige anvertraut, dass einfach zu wenig für den Radverkehr getan werde", erklärt er. " Sie fragen sich: Warum sollen wir uns so viel Mühe geben: radeln, Kilometer aufschreiben und andere motivieren, wenn so wenig zurückkommt?"

Münster weist diesen Vorwurf entschieden zurück: "Es wird unheimlich viel getan", sagt sie. Aber man könne eben nicht alles gleich und sofort ändern. Gerade die Radwege brauchen Zeit. Wenn es überhaupt keine Probleme gibt, dauert es ungefähr vier Jahre von der Planung bis zur Realisierung, erklärt Münster. Doch in den meisten Fällen gibt es Hürden: Entweder das Vorhaben ist extrem teuer und die entsprechende Gemeinde muss erst überlegen, wo sie so viel Geld hernehmen kann, oder es scheitert an schwierigen Grundstücksverhandlungen. Oft pokern Eigentümer mit horrenden Preisen oder sie wollen ihren Grund erst gar nicht abtreten. Das ist beispielsweise auch das Problem, bei dem seit langem geforderten Radweg zwischen Neuried und Gauting, für den erst vor kurzem rund 100 Radler demonstriert haben. Bei der Verbindung von Tutzing nach Kampberg stieß man dagegen auf morastigen Untergrund, was die Route nicht nur deutlich teurer machte, als ursprünglich vorgesehen. Ingenieure mussten sich erst eine Lösung des Problems ausdenken, deshalb ist der Weg noch immer nicht freigegeben. Auch der seit langem beschlossene Radstreifen entlang der Ortsdurchfahrt Tutzing kann erst gezogen werden, wenn die Straße saniert ist, sonst wäre die Fahrbahn zu uneben für Radler, erklärt Münster.

Dass längst nicht mehr nur an Autos gedacht wird, wenn es um Verkehrsplanungen geht, sondern auch die Fahrräder mehr in den Fokus der Politik gerückt sind, zeigt sich vor allem daran, dass nun deutlich mehr Geld für Radwege, Ständer und auch Planungen ausgegeben wird. 2008 hatte Münster gerade mal 5000 Euro zur Verfügung, heuer ist für ihr Ressort zehn Mal soviel im Etat vorgesehen. Davon finanziert die Verkehrsmanagerin zum Beispiel die Untersuchungen der Radwege auf ihre Alltagstauglichkeit hin. Eine Forderung, die übrigens aus dem Kreis der Stadtradler kommt. Denn den ehrenamtlichen Organisatoren geht es weniger darum, dass ihre Gemeinde den sportlichen Triumph davonträgt, sie wollen vielmehr die Leute dazu bringen, dass sie alltägliche Wege mit dem Rad zurückzulegen, statt für jede noch so kleine Besorgung schnell ins Auto zu springen. Aber das Rad ist nur dann eine Alternative, wenn die Leute sich auf der Straße sicher fühlen und wenn sie keine großen Umwege und unangenehm hubbelige Pisten in Kauf nehmen müssen.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Ob Alltagsradler, Ausflügler oder Sportler ...

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(Foto: Georgine Treybal)

... von Sonntag an wird man an vielen Rädern wieder die orangenen Fähnchen der Stadtradler sehen.

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(Foto: STA Franz X. Fuchs)

Manche wollen sogar drei Wochen auf ihr Auto verzichten.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Grund: Man will den Radverkehr fördern, hofft auf neue Wege und bessere Abstellmöglichkeiten.

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(Foto: Franz X. Fuchs)

Susanne Münster, die Verkehrsmanagerin des Landkreises.

Momentan fahren Fachleute alle Wege im Landkreis ab, notieren Mängel, plötzliche Lücken und ob sie gefährlich sind. Im Herbst, wenn die Analyse fertig ist, will Münster sich zusammen mit den Radlern Gedanken darüber machen, welche Verbesserungen Priorität haben sollen. Im Fokus stehen dann vor allem Routen, die viele nutzen. So sollen vor allem die Verbindungen zu Gewerbegebieten, in denen viele arbeiten, und zu Einkaufsmöglichkeiten gut sein. Die Umsetzung wird voraussichtlich einiges kosten, Grund genug für die Politiker genau hinzuschauen, ob genügend Leute von den Investitionen profitieren. Das Stadtradeln kann dann ein Indiz dafür sein, ob es sich lohnt oder eben nicht.

Schon vor dem Hintergrund appellieren die Organisatoren der Aktion an die Frustrierten, trotz ihres negativen Gefühls mitzumachen. "Resignation ist das schlechteste Mittel, um etwas zu erreichen", gibt Sailer zu bedenken. Auch er wünscht sich gelegentlich, dass die Mühlen schneller mahlen würden. Vor allem die Situation am Weßlinger Bahnhof regt ihn auf. Schon im Frühjahr hatten die Bürger dort neue Fahrradständer gewünscht, um das Chaos zu beseitigen, doch noch immer hat sich nichts geändert. Für das diesjährige Stadtradeln hat Sailer sich deshalb eine besondere Aktion ausgedacht: "Chefsache Radverkehr". Bürgermeister oder Landrat suchen sich zu Beginn des Stadtradelns ein oder sogar mehrere Projekte aus, die sie unbedingt realisieren wollen. Sailer ist zuversichtlich, dass sich die Dinge so schneller entwickeln, als wie wenn sie ihren gewohnten Gang durch die Verwaltung gehen. Dieses Phänomen habe man bereits oft beobachten können. Zuletzt beim Ammersee-Gymnasium, das der Landrat zur Chefsache erkoren und so die Realisierung stark angeschoben hat. Drei Bürgermeister haben die Stadtradler bereits motivieren können: Der Weßlinger Rathauschef Michael Muther will sich besonders dafür einsetzen, dass die Verbindung zwischen Grünsink und Etterschlag durch die neue Umgehungsstraße nicht unterbrochen wird und er will den Weg zum DLR beleuchten. Seine Kollegin aus Wörthsee, Christel Muggenthal, hat sich vorgenommen, auf der Etterschlager Straße einen Fahrradschutzstreifen anbringen zu lassen und Eva John will das gleiche auf der Hauptstraße in Starnberg realisieren. Klar hoffen die Stadtradler noch mehr Vorbilder unter den Bürgermeistern im Fünfseenland zu finden. Leicht wird es allerdings nicht, denn die Kommunalpolitiker haben sich bislang immer sehr zurückgehalten, wenn es ums Kilometer sammeln ging.

"Für mich ist das Stadtradeln die beste Marketingaktion für die Förderung des Radverkehrs", schwärmt Sailer, der sich seit vielen Jahren sehr engagiert für die Radler einsetzt. Eines Tages, so hofft er, wird man nicht mehr zuerst ans Auto denken, wenn man Verkehrsprobleme lösen will, Fußgänger und Radfahrer sind dann gleichberechtigt. Demonstrationen und Bürgerinitiativen, die sich für die Radler und ihre Bedürfnisse einsetzen, sind dann nicht mehr nötig. Und die beeindruckenden Teilnehmerzahlen beim Stadtradeln helfen bei dem Prozess des Umdenkens, davon ist Sailer fest überzeugt. Immerhin 292 Kommunen haben deutschlandweit bisher am Stadtradeln teilgenommen. Das spreche für sich.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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