Seefeld:Tugenden im Spiegel der Zeit

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Erbauliches Programm: Norbert Groh, Esther Schöpf und Elisabeth Carr (von links) beim Auftritt in Starnberg. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Elisabeth Carr, Esther Schöpf und Norbert Groh kombinieren Telemanns Märsche mit moderner Musik und Texten

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Ein Hoch auf das gute alte Notenantiquariat! Dort hatte ja schon die Wiederentdeckung der Cellosuiten von Johann Sebastian Bach begonnen - in Barcelona durch Pablo Casals. Der Geigerin Esther Schöpf und dem Pianisten Norbert Groh wiederum war in einem Antiquariat Telemanns "Ein fröhlicher Tugendspiegel in 12 Märschen" in die Hände gefallen, woraus die CD "Begegnungen" entsprang, auf der sie den barocken Tugendbildern Kompositionen des 20. Jahrhunderts gegenüber stellten.

Ein Ansatz ganz nach dem Geschmack von Elisabeth Carr, die eine Art Kulturermöglicherin ist. Die Starnbergerin gab Texte zu ausgewählten Tugenden in Auftrag, so an die Tutzinger Abiturientin Alina Abgarjan, die aus Armenien kommt, den Kulturaktivisten und vielseitigen Künstler Denijen Pauljevic aus Belgrad, die Psychologin und Familientherapeutin Ulla Texier, die Studentin und Autorin Julia Behr und außerdem an den einstigen Pfarrer Siegfried Fackler.

Selbst las sie Booklet-Texte des Schweizer Literaturprofessors Manfred Koch. So entstand im evangelischen Gemeindesaal in Starnberg ein erbaulich-entspanntes Spätnachmittagsprogramm zum Genießen und vor allem zum Nachdenken und Diskutieren.

Die barocken Tugenden haben gewiss auch mit religiöser Frömmigkeit zu tun. Die Rüstung beispielsweise meint ein Gerüstetsein oder Bereitsein zu jeder Zeit, vor den Schöpfer zu treten. Für ihre weltliche Bedeutung fanden die Autoren aber auch durchaus gegenwärtige Parallelen, die unseren ethischen Wertvorstellungen gar nicht so fremd sind. Etwa für die Anmut, die auch heute noch ihren Reiz hat.

Musikalisch kam sie bei Telemann geschmeidig und lyrisch-melodisch daher, bekam über die jiddische Melancholie der Suite hébraïque von George Perlman im Tanz der Rabbinerfrau aber eher volkstümliche Züge. Dass sich zur süßlich-friedvollen Liebe von Telemann die leidenschaftlich-temperamentvolle von Astor Piazzolla in beziehungsdramatischem "Jeanne y Paul" gesellte, machte den unterschiedlichen Blickwinkel der Epochen deutlich hörbar.

Mit politischer Deutung und Erfahrungen aus dem Jugoslawienkrieg steckte Pauljevics Beitrag zur Tapferkeit als ein Ertragen von menschlichen Grausamkeiten das Spektrum zum Abgrund hin ab. Da musste Telemanns resolut-frohgemute musikalische Version zwangsläufig weit dahinter bleiben. Barbara Hellers Schlaflied zum Wachwerden "Lalai", das 1973 zum Widerstandslied gegen das Schah-Regime in Teheran geworden war, verwies schon eher auf Pauljevics Verständnis der Tapferkeit. Norbert Groh und Esther Schöpf interpretierten es mit handgedämpftem Pochen am Flügel zum Tanztaumel der Violine.

Der Sanftmut indes gehörte im zweiten musikalischen Kommentar der japanischen Poesie mit "Yoimachigusa" (Die Nachtkerze) von Akira Senju der große melodische Bogen. Schließlich endete im evangelischen Gemeindesaal alles mit Georg Philipp Telemanns Freude: heiter, frisch, munter.

© SZ vom 29.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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