Seefeld:Langeweile und keine Aufgaben

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In einem Gerichtsverfahren erzählt ein Asylbewerber von seinem Alltag. Gegen Depressionen nimmt er Tabletten

Von Christian Deussing, Seefeld

Mit eingezogenen Schultern und ängstlicher Miene sitzt der Angeklagte im Gerichtssaal. Der Mann aus Nigeria soll im April vergangenen Jahres in einer Seefelder Unterkunft wegen eines Streits um zehn Euro, ein Handy und ein gebratenes Fleisch einen 22-jährigen Mitbewohner mit einem hölzernen Kochlöffel geschlagen haben. Dabei hatte sein Landsmann im linken Augenbereich eine Fraktur erlitten und musste operiert werden. Der 34-jährige Angeklagte musste sich außerdem wegen Nötigung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Widerstands gegen Polizisten vor dem Starnberger Amtsgericht verantworten.

Denn nur acht Tage nach der Attacke im Heim war er morgens nackt auf eine Straße in Seefeld gelaufen, hatte zwei Autofahrer und ein Taxi gestoppt und die Wagen beschädigt. Die alarmierten Polizisten bespuckte er und ließ sich auch später in einer Klinik kaum beruhigen. Im Prozess berichteten die Beamten und betroffenen Autofahrer, wie "aggressiv und wahnhaft" sich der Angeklagte auf der Fahrbahn verhalten habe. "Er hat geschrien und gesungen, was nicht zu verstehen war", sagte eine Polizistin. Ein Sachverständiger hält es für möglich, dass der Mann unter einer psychotischen Störungen leidet und daher schuldunfähig ist. Zudem leidet der Flüchtling laut Attest zeitweise an schweren Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft kamen daher überein, das Verfahren wegen der Ausraster auf der Straße einzustellen.

Doch die gewalttätigen Attacke gegen den jüngeren Mitbewohner wurde als vorsätzliche Körperverletzung gewertet und mit einer dreimonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung und 120 gemeinnützigen Arbeitsstunden geahndet. Das Gericht geht aber davon aus, dass der Mann mit der Faust und nicht mit einem Holzlöffel auf seinen Kontrahenten eingeschlagen hatte. Dem zuvor unbescholtenen Angeklagten hielt das Amtsgericht zugute, dass er wohl provoziert wurde. Die beiden Männer seien wohl bei einer Rangelei zu Boden gegangen. Das rechtfertige jedoch nicht diesen "heftigen Faustschlag" ins Gesicht, der zu einer gefährlichen Verletzung geführt habe, betonte der Richter.

Er versuchte, sich in die schwierige Situation des eingeschüchtert wirkenden Angeklagten hineinzudenken, der nach seinem Befinden und seinem üblichen Tagesablauf gefragt wurde. "Ich langweile mich, habe keine Aufgaben, höre Musik, bete und spiele einmal wöchentlich Fußball", erzählte der Nigerianer. Nach Auskunft seines ehrenamtlichen Betreuers muss der 34-Jährige Tabletten gegen Depressionen einnehmen. Der Zeuge teilte in der Verhandlung außerdem mit, dass inzwischen auch die Klage des 34-Jährigen gegen seinen abgelehnten Asylantrag gescheitert sei. Jetzt seien die Chancen wohl noch geringer, befürchtete der Betreuer nach dem Prozess.

Doch das Starnberger Urteil ist bislang nicht rechtskräftig. Der Pflichtverteidiger, der lediglich eine Geldstrafe und Sozialstunden gefordert hatte, will voraussichtlich in Berufung gehen.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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