Seeanbindung in Starnberg:"Nicht irgendwelchen Träumen hinterherrennen"

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Stadtplanerin Christiane Thalgott sieht die größten Chancen für die Stadt in einer pragmatischen Lösung - mit Verlegung und Verschmälerung der Gleise, mehr Platz am Ufer und barrierefreiem Umbau des Bahnhofs. Ein Tunnel sei wohl nicht zu realisieren

Von Peter Haacke, Was sind die Vorteile einer oberirdischen Lösung, wenn die Gleise doch bleiben?

Warum der Bahnhof am See nun ausgerechnet an der prominentesten Stelle Starnbergs steht, hat einen simplen Grund: Einige Bauern weigerten sich Mitte des 19. Jahrhunderts hartnäckig, ihre Seegrundstücke ans Königreich Bayern zu verkaufen. Die Eisenbahn wurde dennoch gebaut. Der Baubeamte und Unternehmer Ulrich Himbsel ließ einfach das Seeufer aufschütten und verdichten, um Gleise verlegen zu können. Seit 1854 haben die Starnberger daher ein ausgesprochen zwiespältiges Verhältnis zum angeblich schönsten Bahnhof Deutschlands mit Blick auf Wasser und Berge. Denn die Gleise trennen die Stadt vom See.

Die Problematik ist der Stadtplanerin und Architektin Professor Christiane Thalgott bestens bekannt. Sie wuchs in Berg auf, in ihrer Familie wurde oft darüber diskutiert. Seit Jahrzehnten befassen sich Kommunalpolitiker, Architekten und engagierte Bürger mit dem komplexen Thema namens "Seeanbindung", das der Stadt an seiner prominentesten Stelle ein neues Gesicht geben könnte. Das Projekt gilt als das wichtigste städtebauliche Vorhaben Starnbergs, 1987 wurde mit der Deutschen Bahn ein Vertrag geschlossen, der bis Ende 2017 befristet war und bis heute nur halb erfüllt ist. Im Vorfeld der nun anstehenden Schlichtungsverhandlungen zwischen Stadt und Bahn sprach die 75-Jährige mit der SZ über Chancen und Risiken der aktuell debattierten Lösungen für eine Seeanbindung.

SZ: Wie erklären Sie einem Auswärtigen in einfachen Worten, was es mit der Starnberger "Seeanbindung" auf sich hat?

Christiane Thalgott: Der Bahnhof von Starnberg hat eine wunderbare Lage. Die Starnberger können aber den See nicht sehen, weil die Eisenbahn davor ist. Im Grunde geht es darum, Ort und See wieder miteinander zu verknüpfen und diesen Bahnhof aus seiner Barrierelage rauszuholen.

Das klingt einfach, gestaltet sich in der Praxis aber weitaus komplizierter.

Es ist sogar richtig schwierig, es gibt viele Probleme. Zum einen wegen der Höhenlage. Zum anderen, weil der Bahnhof etwas Schönes ist: Alle, die da einsteigen, haben diesen wunderbaren Blick auf See, Berge und Stadt. Das hat ja eine Qualität. Die Frage, wie man eine vernünftige Verbindung von der Stadt zum See herstellt, ohne dass die Bahn nur Barriere ist, beschäftigt die Stadt schon seit mehr als hundert Jahren.

Demnach ist die Bahn für Starnberg also Fluch und Segen zugleich?

Ja, richtig, Fluch und Segen, genau das. Schon mein Großvater hat sich darüber aufgeregt. Die Bahn nach München war früher, als noch nicht jedermann jederzeit ein Auto zur Verfügung hatte, für viele Menschen die tägliche Verbindung zur Arbeit. Starnberg ist durch die Bahn schon seit 140 Jahren ein Vorort von München. Andererseits stellt die Bahn für das Ortszentrum - allerdings nur dort - eine Barriere dar.

Wie nehmen die Starnberger Bürger dieses Problem wahr?

Ich denke, die meisten sehen das gar nicht als großes Problem. Man wohnt an den Hügeln, schaut auf den See und ärgert sich über die Bundesstraße. Ansonsten hat Starnberg seine Qualitäten durch den Landschaftsbezug. Der See ist im Alltagsleben erreichbar, man hat sich an die Bahn gewöhnt. Die gestörte Verbindung nehmen vor allem Touristen wahr. Die Bahn und die Tatsache, dass sich der Bahnhof am Ufer befindet, ist wesentlich wichtiger als die Frage nach einer ungestörten Verbindung. Der Durchgang ist für sie zwar ebenso ärgerlich wie der Umstand, dass das historische Bahnhofsgebäude so verrumpelt ist. Aber insgesamt ist das nichts, was den Bürger sehr beschäftigt. Steht man oben auf dem Bahnsteig hat man den schönen Blick. Die Straße ist in der Wahrnehmung der Starnberger viel wichtiger, glaube ich.

Der Arbeitskreis "Seeanbindung" befasste sich von 2012 bis 2014, aber auch schon zuvor, unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte intensiv mit der Problematik. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse?

Die Zusammenarbeit mit der Bahn ist für alle Städte enorm schwierig. Technische und ökonomische Rahmenbedingungen und Grundstücksfragen sind in ganz unterschiedlichen Ressorts der Bahn. Man hat Mühe, die zu einem in sich schlüssigen Handeln zu bringen. Da hat Starnberg die gleichen Probleme wie München. Nur ist Starnberg mit dem Vertrag aus den 80er-Jahren noch richtig glücklich dran.

Warum?

Eingriffe ins technische Gefüge der Bahn, das Grundstücks- und das Betriebsgefüge sind unendlich komplex und schwierig. Es ist ein Glück, dass es gelungen ist, nach Streichung des Haltepunkts Mühlthal 2004 mit Starnberg-Nord und dem Bahnhof See zu einem Vertrag zu kommen, der Starnberg Flächen zur Verfügung stellt,die ganze Riesenfläche, die von der Bahn heute in Anspruch genommen wird, und sie wenigstens teilweise für die Stadt zugänglich zu machen.

Was könnte Starnberg erreichen bei kompletter Umsetzung des Vertrags von 1987?

Die Stadt hat eine Grundlage für städtebauliche Überlegungen. Die Bahnflächen schnurren zusammen auf drei Gleise, die Radien ändern sich, die Höhenlage verändert sich zugunsten einer bessern Zugänglichkeit, es gibt einen behindertengerechten Zugang zum Bahnhof und eine vernünftige, großzügige Verbindung zwischen Stadt und See.

In der Vergangenheit wurden Workshops, Bürgerforen, Runde Tische, Stadtrundgänge, Expertengespräche und vieles andere mehr veranstaltet. Warum stand am Ende die politische Entscheidung zugunsten einer oberirdischen Lösung?

Weil der Aufwand für eine Tunnellösung - gemeinsam mit der Bahn - irrsinnig hoch ist. Wenn Sie anfangen, für die Bahn einen Tunnel zu bauen, dann haben Sie Rahmenbedingungen, die nicht mit Gleisen drei Meter unter der Erde erledigt sind: das Lichtraumprofil, die ganzen Sondervorschriften im Tunnel. Sie greifen sehr, sehr tief in den Untergrund ein, haben im Bereich der Steigungen Schneisen in der Stadt und ein Grundwasserproblem - ein wahnsinniger technischer Aufwand.

Es könnte elegant und schmal umgebaut werden. Dass die Bahn zurzeit noch fordert, mit 80 Kilometern pro Stunde fahren zu müssen, ist ärgerlich und hoffentlich unnötig, denn 60 Stundenkilometer sind auch schon ziemlich schnell gegenüber heute. Die Gleisverlegung eröffnet eine Chance: Durch einen veränderten Kurvenradius gewinnt man Platz. Wäre die Durchfahrgeschwindigkeit der Züge auch der Realität angepasst, dann würde das Ganze sogar noch etwas schlanker werden.

Wie verhält es sich mit dem Lärmschutz im Fall einer Gleisveränderung: Gibt es dann Schutzwände mitten in Starnberg?

Nein. Man kann das in der Hamburger Hafen-City sehr schön sehen, wo die ICE fahren: Die Lärmschutzeinrichtungen sind 40 oder 50 Zentimeter hoch. Es entstehen also keine Mauern in Starnberg. Ansonsten kann man den Lärm bei Neubauten durch Grundrissorganisation oder Wand- und Fenstergestaltung dämmen.

Wäre der Preis, den die Stadt für die "Seeanbindung" zahlen müsste, gerechtfertigt? Die Gesamtinvestition soll immerhin 110 bis 115 Millionen Euro betragen.

Thalgott war bis 2014 Mitglied des See-Arbeitskreises. (Foto: Claus Schunk)

Der Gewinn für die Stadt wäre der Flächenzuwachs. Geht man konstruktiv damit um, wie man es ursprünglich vorhatte, indem man es teils baulich, teils als attraktive Freifläche nutzt, würde das der Stadt insgesamt sehr gut tun. Diese städtebauliche Lösung bietet eine Chance, weil Starnberg an sehr hochwertigen Standorten zusätzliche Flächen bekäme. Es ist nicht nur eine Frage des einmaligen Geldes, sondern langfristig eine Nutzung, die der ganzen Stadt gut täte. Eine Investition in städtebauliche Entwicklung beschränkt sich nicht nur auf Grundstücksgeschäfte. Starnberg kann das stemmen. Hätte man sich die letzten Jahre darauf eingerichtet, hätte man es allemal stemmen können. Vielleicht nicht auf einmal, aber die Rahmenbedingungen sind derzeit relativ günstig.

Neben den Arbeitskreis-Ergebnissen werden drei Ideen diskutiert: Kompakt- und Seetunnel sowie Vorstellungen des Vereins "Schöner zum See". Was halten Sie davon?

Die Tunnelprojekte von Herrn Janssen und Herrn Walther kenne ich, "Schöner zum See" kenne ich nicht. Die Tunnellösungen sind unbezahlbar und wahrscheinlich auch unrealisierbar wegen ihrer Barrierewirkung zwischen den Grundwasserströmen, die riesige Dükerbauwerke erfordern. Das wäre wahnsinnig aufwendig. Seit dem Bau der Seearkaden weiß man, was da im Untergrund los ist: Jeder Eingriff in die Tiefe ist aufgrund der Bodenverhältnisse ausgesprochen schwierig.

Der Bahnvertrag von 1987 ist derzeit gehemmt, Stadt und Bahn haben eine Mediation mit dem Ziel einer Schlichtung vereinbart. Was könnte am Ende des Verfahrens herauskommen?

Überall gilt: Pacta sunt servanda (lat.: Verträge sind einzuhalten) - selbst, wenn sie befristet sind. Die Hälfte des Vertrags ist ja bereits realisiert, etwa der Bahnhof Nord und die P&R-Anlage. Natürlich kann man nach so langen Jahren leichte Nachbesserungen und Modifikationen entsprechend einer modernen Technik und der Anforderungen vereinbaren. Aber im Prinzip muss so ein Vertrag erfüllt werden. Die Bahn hat ja keine Lösung vorgeschlagen, die für Starnberg unerträglich ist.

Im Stadtrat, der an den Verhandlungen mit der Bahn beteiligt sein will, gibt es unterschiedliche Vorstellungen für eine Lösung. Was könnte schlimmstenfalls passieren?

Dass es so bleibt, wie es ist. Die Bahn kann ja mit dieser Lösung leben. Es gäbe aber keinen behindertengerechten Zugang, was ich unerträglich finde. Die Bahn will das ja machen, aber so kann sie nicht. Vorstellbar wäre eine Schadenersatzklage der Bahn, wobei der Schaden nicht technischer Natur ist, denn sie kann ja weiterhin fahren. Die ökonomische Seite kann ich nicht beurteilen. Aber das Verfahren ginge wohl juristisch weiter. Starnberg hätte weiterhin als Bahnhof eine Rumpelbude ohne Dach und behindertengerechten Zugang. Total absurd für eine Stadt, in der viele Leute leben, die sich ansonsten jeden Luxus leisten. Und auch menschenverachtend: Es leiden ja besonders diejenigen darunter, die sich den Luxus der Entscheidung, ob und wie sie pendeln, nicht leisten können. Das ist verantwortungslos.

Ein Scheitern der Verhandlungen vorausgesetzt: Was könnte die Bahn auf ihren Grundstücken alternativ machen?

Die Bahn hat eigenes Baurecht und kann auf ihren Flächen beispielsweise Gebäude für technische Zwecke erstellen. Sie könnte - wie an der Donnersbergerbrücke in München - ein Stellwerk hinstellen und es anschließend privatisieren für Büroflächen. Sie kann bahntechnische Einrichtungen bauen, Mitarbeiterwohnungen, Schulungszentren, alles mögliche. Die Bahn braucht die Stadt dazu nicht, sie kann machen, was sie will. Sie ist auf ihren Grundstücken vollständig frei, hat Planungs- und Genehmigungshoheit.

Die Bahn hält sich mit Absichtserklärungen derzeit zurück, das Meinungsbild im Stadtrat ist indifferent. Welche Empfehlung geben Sie für die Verhandlungen?

Sinnvoll ist, nicht irgendwelchen Träumen hinterherzurennen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was der Stadt Vorteile bringt: Ein funktionsfähiger, vernünftiger Bahnhof, Flächen für die Stadt verfügbar machen und die Verhandlungen zu einem guten Ende bringen. Verschönerungen allein bescheren keine Flächen und lösen auch nicht die Frage der Behindertengerechtigkeit. Die Bahn wird dann vorerst nichts machen. Man müsste sich über die Frage der strittigen Kosten einigen, das könnte weitere zehn Jahre dauern. Es gibt daher keinen anderen guten und vernünftigen Weg als den der Einigung. Die Bahn hat komplexe eigene Rahmenbedingungen zwischen Ökonomie, Bahntechnik, Station und Service, das ist kompliziert. Und wenn die Stadt die Bedürfnisse ihre Bürger nicht ernst nimmt, was sollte die Bahn dann machen? Man könnte zwar auch alles so lassen. Aber wenn der Vertrag weg ist, kann die Bahn, wie gesagt, auf ihren Flächen bauen; das wären dann wirklich Barrieren, das mag ich mir gar nicht vorstellen. Das krasse Gegenteil von schöner zum See. Gegebenenfalls - aber das kann ich nicht übersehen - muss Starnberg auch noch aus dem Vertrag Zahlungen leisten.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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