Mitten in Andechs:Täglich grüßt das Murmeltier

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Staus kann es überall geben. Sogar im Wirthaus

Von Christine Setzwein

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Zugegeben, das ist wirklich nicht neu. Aber es hilft, sich diese Tatsache immer wieder mal vor Augen zu führen. Freund G. zum Beispiel will am Sonntagabend auf keinen Fall angerufen und gestört werden. Er schaut jeden Tatort, auch wenn Lena Odenthal von Fall zu Fall missmutiger schaut und Thiel und Professor Boerne als schwules Brautpaar auftreten müssen. Autofahrer sind besonders große Gewohnheitstiere, quasi die Elefanten im Gewohnheits-Zoo. An jedem Ferienbeginn stehen sie am liebsten im Stau, und jeden Winter tun sie total überrascht beim ersten Schneefall. Auch Politiker setzen auf die Macht der Gewohnheit. Vor den Wahlen versprechen sie alles, nach den Wahlen überfällt sie plötzlicher Gedächtnisschwund, und sie können sich an nichts mehr erinnern. Täglich grüßt das Murmeltier.

Zu den sinnvollen Gewohnheiten gehört der Wochenendausflug. Kann ja auch nichts Schlechtes sein, wenn Millionen das Gleiche tun. Wer sich zum Beispiel an einem Sonntag auf den Weg von Herrsching auf den Heiligen Berg in Andechs macht, ist garantiert eines nicht: alleine. Patchworkfamilien mit Kind, Kegel und freilaufenden Hunden sind da unterwegs, junge Männer, die unter keinen Umständen nüchtern im Bräustüberl ankommen wollen und mit dem Bier der Konkurrenz vorglühen, stramme Wandergruppen und sportliche Mountainbiker, Einheimische und Touristen. So verschieden sie sind, so gleich sind sie dann oben wieder. Es ist Stau, die Warteschlangen lang , ob am Bierausschank, an der Essensausgabe oder vor dem Klo.

Ist alles bezahlt und das Tablett voll, stünde der deftigen Brotzeit eigentlich nichts mehr im Weg. Aber seit Neuestem scheinen Engstellen wie Ein-, Aus- und Durchgänge eine magische Anziehungskraft auf Menschen auszuüben. Die bleiben einfach stehen. Ob es drei ältere Damen sind, die in der Tür überlegen, was sie essen wollen, der Mann, der mitten im Eingang nach einem freien Platz sucht, die Gruppe, die nicht weiß, ob sie lieber draußen oder drinnen sitzen will. Hallo! Leute! Könnte nicht ein bisschen Nachdenken zur neuen Gewohnheit werden?

© SZ vom 29.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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