Heimatbuch:Die Sehnsucht des Vertriebenen

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Oskar Maria Graf verbringt einen Großteil seines Lebens fern von daheim - und träumt dennoch von den Wellen am Starnberger See. Katja Sebald befasst sich in ihrem neuen Werk mit dem Dichter und lädt zur Spurensuche in Berg ein

Von Sabine Bader, Berg

Wer die Heimat schmerzlich vermisst, dem ist sie das Ein und Alles. Der Schriftsteller Oskar Maria Graf war die meiste Zeit seines Lebens fern der Heimat, auch wenn sie ihm sehr viel bedeutet hat. Vielleicht handeln viele seiner Bücher, die er im Exil schrieb, schon aus diesem Grund von der alten Heimat: von Berg.

Das Buch "Mein bester Spezi ist der Kramerfeichtmartl gewesen" von Katja Sebald ist, wenn man es so nennen will, ein Wanderführer durch Berg auf den Spuren Grafs und ein Lesebuch zugleich. Da wäre das Bäckerhaus des Vaters, in dem Graf geboren und aufgewachsen ist. Es steht noch heute in der Ortsmitte und beherbergt jetzt das "Oskar-Maria-Graf-Stüberl". Da ist der Weg zur Kirche nach Aufkirchen, der Grafs Mutter Therese meist über die Annakapelle am Waldrand geführt hatte. Die Mutter war sehr gläubig und besuchte manchmal sogar Frühmesse und Vesper, obwohl ihr im Alter der Weg bergan sicher nicht leicht gefallen ist. Und dann ist da noch das "Café Maurus" in der Ortsmitte: Grafs Bruder Maurus hatte Café und Konditorei in den 1920er Jahren eröffnet und bis Ende der 1960er Jahre gemeinsam mit seiner Frau betrieben. Solche Details erfährt man aus dem Buch - ebenso wie die Tatsache, dass Maurus den Bergern nicht nur als Konditor, sondern auch als brillanter Geschichtenerzähler im Gedächtnis blieb.

Zu Oskar Maria Graf aber hatten die meisten Berger kein sonderlich gutes Verhältnis. Sie verübelten ihm, dass er in seinen Romanen mitunter schonungslos über die Heimat berichtete. Dass er den Leuten aufs Maul geschaut hat und weil in seinen Büchern Personen auftauchten, die den Bewohnern der Seegemeinde erschreckend ähnelten.

Für die Leser sind viele der Geschichten Grafs aber gerade aus diesem Grund so anrührend. Denn er verstand es auf besondere Weise, Menschen kleine Denkmäler in seinen Romanen zu setzten. Wie zum Beispiel dem "Zwerg": Das war eine kleinwüchsige Tante des Autors, die alte Resl, die mit der Familie im Bäckerhaus lebte. In seinem Roman "Das Leben meiner Mutter" schildert Graf anrührend, dass seine Familie es gerade dem Zwerg zu verdanken hat, dass der Vater fortan "täglich weiches Weißbrot und dünne Wecken" an den königlichen Hof liefern durfte. Denn dem geistig behinderten Zwerg war es gelungen, den oft freudlosen Monarchen Ludwig II. königlich zu amüsieren.

Mit dem Heimatbegriff hat sich Graf sein Leben lang beschäftigt. Klar, ist er doch quasi zum Weltenbummler wider Willen geworden, zum Heimatlosen: Bekanntlich verließ er bereits im Alter von 17 Jahren sein Elternhaus nach einem schlimmen Streit mit seinem älteren Bruder Max. Oskar Maria ging in die Landeshauptstadt und schloss sich dort den Bohème-Kreisen an. Dort startete er erste, mehr oder minder erfolglose Gehversuche als Schriftsteller. Doch auch in München konnte Graf nicht bleiben. Diesmal floh er nicht vor dem gewalttätigen Bruder, sondern vor den Nazis: Zuerst nach Brünn in der Tschechoslowakei, dann nach Prag und schließlich 1938 über die Niederlande in die USA. Im Juli ließ er sich in New York nieder, um fortan dort sehnsüchtig den Wellen am Starnberger See und der Farbe des Berger Grases nachzugrübeln.

Akribisch hat Katja Sebald das Werk Grafs auf dessen Heimatgefühl bezogen und Geschichten aus oder über die Heimat studiert. Darum ist ihr Werk auch ein echtes Berger Heimatbuch geworden. So schildert sie darin beispielsweise die Geschichte des Kreuzwegs, den der königlich bayerische Baurat Johann Ulrich Himbsel im Jahr 1856 von Leoni zur Wallfahrtskirche Aufkirchen bauen ließ. Denn Himbsel betrauerte den Tod seiner Frau Ottilie und seines jungsten Sohnes Konrad, die beiden waren während der Cholera-Epidemie 1854 in München gestorben.

Man erfährt auch, dass Bergs ehemaliger Bürgermeister Willi Gastl den Dichter Graf erst im Jahre 1958 bei dessen erstem Besuch in der Heimat kennen gelernt hat, mit ihm aber seither in Briefkontakt blieb. Der Kontakt war offenbar eng, denn Graf schrieb an Gastl: "Ich muss Dir, lieber Willi, nur noch sagen, dass ich in Dir einen echten Menschen gefunden habe und ich es in den wenigen (leider zu wenigen!) Stunden, die ich mit Euch in der Kuchl gesessen bin, am schönsten gefunden habe."

Das Buch Sebalds ist nicht schnell mal so nebenbei zu lesen. Wer aber heimatgeschichtlich interessiert ist, der wird es immer wieder zur Hand nehmen, um es als Nachschlagewerk zu nutzen. Doch nicht nur das: Er wird seine Turnschuhe schnüren und sich an einem sonnigen Wochenende auf Spurensuche begeben. Und eines ist sicher: Nach der zweistündigen Wanderung - mit dem Büchlein in der Hand - wird er nicht nur Oskar Maria Graf besser kennen, sondern auch Berg.

Katja Sebald, "Mein Bester Spezi ist der Kramerfeichtmartl gewesen - Auf den Spuren von Oskar Maria Graf in Berg am Starnberger See", Verlag: Allitera

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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