Städtisches Personal:Jetzt reicht es langsam

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IIllustration: Dennis Schmidt (Foto: asd)

Seit dem Amtsantritt von OB Dieter Reiter vor drei Jahren hat der Stadtrat rund 4000 neue Stellen für die Verwaltung beschlossen. Mit der großzügigen Personalpolitik soll nun Schluss sein.

Von Heiner Effern

Wenn es so richtig läuft und die Kurse nach oben schießen, nennen die Zocker an der Börse das eine Rally. Solch einen rauschhaften Zuwachs verbuchte in den vergangenen Jahren auch die Stadt, zwar nicht bei den Finanzen, aber bei den neuen Stellen. Der Stadtrat beschloss Paket um Paket, seit dem Einzug von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ins Rathaus sollen 4000 Stellen geschaffen worden sein. Allein im ersten Halbjahr 2016 waren es mehr als 1600. Dieser Rausch des Stadtrats und der Referate löst in den Chefbüros am Marienplatz zunehmend Kopfschmerzen aus. Es gibt nun, nach dem Aufholprozess der vergangenen drei Jahre, eine klare Ansage von OB Reiter: Die Stellen-Rally ist beendet.

In der Vollversammlung am Mittwoch sollen nochmals 315 neue dazukommen, bis zum Jahresende maximal noch weitere 178. Damit bleibt die Stadt zwar schon weit unter den Zahlen von 2016. Dennoch lautet die Anweisung an die Referate: alles überprüfen, 30 Prozent sollen nochmals runter. In den kommenden Jahren sollen die Kurse an der städtischen Stellenbörse nur noch sehr moderat steigen. Sie sollen allerdings auch nicht fallen. Denn das erklärt der OB immer wieder: Den Abbau von Personal fordert niemand. Langfristig gesehen fällt das prozentuale Plus bei den Mitarbeitern nämlich nicht wesentlich größer aus als das Wachstum der Stadtbevölkerung. Von 2005 bis Ende 2016 wuchs die Zahl der Stellen um 22,8 Prozent auf 35 940, die Bevölkerung um 19,8 Prozent. Damit liegt München als stark wachsende Großstadt deutschlandweit im Trend. Sieht man sich jedoch die Zahl der Vollzeitstellen ohne Auszubildende an, zeigt die Statistik ein anderes Bild. Von 2006 bis 2012 verlief das Wachstum zwischen Bevölkerung und Stellen nahezu gleich, der Unterschied betrug ein halbes Prozent. 2016 ist die Schere weit geöffnet: Die neuen Stellen haben um sieben Prozent mehr zugenommen als die neuen Einwohner.

Im OB-Büro herrscht deshalb Sorge, dass die Ausgaben für die Mitarbeiter der Stadt mittelfristig die Luft abschnüren könnten. Im Jahr 2017 sollen die Ausgaben für das Personal bei mehr als zwei Milliarden Euro liegen. Fast jeder dritte Euro der Verwaltung wird an Mitarbeiter ausgezahlt. Das funktioniert, so lange die Einnahmen, besonders aus der Gewerbesteuer, sprudeln. Bei einem Einbruch könnte jedoch der wichtige Überschuss im Verwaltungshaushalt wegfallen. Dieser aber ist rechtlich zwingend notwendig für die Aufnahme neuer Kredite. Diese wird die Stadt in den kommenden Jahren für ihre Investitionen wie die Schulbauoffensive dauerhaft benötigen.

Es geht also darum, in der weiter wachsenden Stadt weniger neue Stellen zu schaffen als von der Verwaltung gewünscht. Oder anders gesagt: Der OB und auch die Fraktionsspitzen von CSU und SPD wollen dem Stellen-Reflex an den Kragen. Eine neue Aufgabe endet nach den Gesetzen der Verwaltung nämlich meist automatisch in der Frage: Wie viele neue Stellen benötigen wir? Im Gegensatz zu Privatunternehmen, die zuerst mal überlegen: Wem können wir das noch draufpacken? In den Referaten wird nach festen Modell-Verfahren gerechnet: Abläufe werden mit Minuten hinterlegt, Krankheits- und Urlaubstage eingerechnet, und schon kommt am Ende eine Summe an zusätzlichen "Vollzeitäquivalenten" heraus. So heißen Vollzeitstellen im Verwaltungsdeutsch.

Will ein Referent sichergehen, dass er mit seinen Stellenforderungen nicht vom Stadtrat ausgebremst wird, nimmt er nach seinen Modellrechnungen Kontakt mit dem Personalreferat, Abteilung P3, Organisation, auf. Die etwa 40 Mitarbeiter dort werden nämlich später seine Stadtratsvorlage prüfen und bewerten. Einigt man sich auf eine Zahl, die später dann in der Regel auch positiv bewertet wird, geht diese in den Stadtrat. Der stimmt meist zu, außer es gibt prinzipielle Bemühungen um Stellenbegrenzungen wie derzeit. Gibt es keinen Konsens zwischen Referat und Personalern, kann jeder Referent auch ohne Zustimmung mit der von ihm gewünschten Stellenzahl in die politische Diskussion gehen. Dann kommt es darauf an, wie groß sein Einfluss in den Fraktionen und natürlich beim OB ist.

In der sogenannten Mittagsrunde, in der sich jeden Montag die Spitzen von CSU und SPD besprechen, gehört das Streichen von Stellen aus Vorlagen mittlerweile zum fixen Programm. Will ein Referent mehr als zehn Stellen auf einmal, muss er persönlich erscheinen, um seine Wünsche zu erläutern. Vorlagen, über die keine Einigung erzielt werden kann, fehlen dann möglicherweise auf der Tagesordnung des Stadtrats. Das könnte künftig häufiger passieren. Denn mehrere Faktoren, die in den vergangenen Jahren zur Stellen-Rally führten, fallen weg. Der Nachholbedarf aus den letzten Regierungsjahren von Christian Ude (SPD), in denen der Schuldenabbau den Vorzug vor neuen Stellen erhalten hatte, ist gedeckt. Das Sozialreferat hat wegen des Bevölkerungswachstums und der Betreuung und Integration der Flüchtlinge aus Sicht der Stadtspitze großzügig neue Mitarbeiter erhalten. Auch das KVR wurde besser ausgestattet, um lange Schlangen an den Schaltern zu vermeiden. Was jetzt noch draufkommt, ist der wachsenden Stadt geschuldet. Lehrer und besonders Erzieher werden zum Beispiel weiter eingestellt.

Auch der Stadtrat selbst hat sich bereits zu mehr Transparenz und Zurückhaltung bei der Stellengenehmigung verpflichtet. Lange Zeit beschlossen die Stadträte relativ unkoordiniert neue Stellen vor sich hin. Seit gut einem Jahr erhalten sie vor entscheidenden Vollversammlungen eine Übersicht, wie viele insgesamt zur Genehmigung anstehen. Nachträglich geforderte Stellen der Referate, die im Haushaltsplan nicht enthalten sind, sollen nur in Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Regeln dafür wurden aber großzügig ausgelegt.

Ist eine Stelle erst einmal geschaffen, verschwindet sie aus dem Blickfeld der Personaler und Politiker. Die Verantwortung wandert grob gesagt vom Personal- ins jeweilige Fachreferat. Eine externe Kontrolle, ob es die neue Aufgabe auch nach fünf oder zehn oder noch mehr Jahren in diesem Umfang noch gibt, erfolgt nur in Ausnahmefällen. Diese dezentrale Organisation wurde in den Neunzigerjahren als neues Steuerungsmodell eingeführt. Eines, das sich nach Ansicht des Personalreferenten Alexander Dietrich nicht sehr bewährt hat: "Wir müssen da wieder zu mehr zentraler Steuerung kommen."

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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