Stadtrat entscheidet:Eine heikle Verlängerung

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Winfried Nerdingers Verdienste sind unumstritten, sein Führungsstil ist es wohl nicht. (Foto: Lukas Barth)

Der Leiter des NS-Dokuzentrums, Winfried Nerdinger, soll bis 2018 im Amt bleiben. Das könnte nicht nur juristische Probleme auslösen - es mehren sich auch Klagen über den Führungsstil des 71-Jährigen

Von Heiner Effern und Jakob Wetzel, München

Die Stadt München will den Vertrag mit Winfried Nerdinger als Chef des NS-Dokumentationszentrums um zwei Jahre verlängern. Das bestätigte das Kulturreferat der Stadt der Süddeutschen Zeitung. Referent Hans-Georg Küppers wird dies am Mittwoch im Verwaltungs- und Personalausschuss vorschlagen, wo die Personalie in nicht-öffentlicher Sitzung diskutiert und wohl auch beschlossen wird.

Das Kuratorium des NS-Dokuzentrums hat bereits zugestimmt. Unumstritten ist sie dennoch nicht: Nach geltender Rechtsprechung könnte Nerdinger die zeitliche Befristung nach der zweiten Verlängerung mit einer Klage angreifen und so eine unbefristete Anstellung erreichen. Zudem kommen aus dem Umfeld des NS-Dokuzentrums Hinweise, dass der 71-Jährige in Teilen zu einem rüden Führungsstil neigt und kritische Mitarbeiter unter Druck gesetzt hat. Mehrere Wissenschaftler berichten, Nerdinger bekämpfe abweichende Meinungen harsch. Entsprechende Dokumente liegen der SZ vor.

Nerdinger war ursprünglich eine Notlösung

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will sich aus rechtlichen Gründen zu Vertragsinhalten nicht äußern. Ihm nicht vorliegende Interna kommentiere er ebenfalls nicht, sagte seine Sprecherin. Der OB verweist auf den erfolgreichen Start des NS-Dokuzentrums mit mehr als 200 000 Besuchern seit Mai. Nerdinger werde in den kommenden zwei Jahren "die Prägung des Hauses als Lern- und Erinnerungsort festigen und die begonnenen Aufgaben, insbesondere im Bereich der interaktiven Medientechnik und der pädagogischen Arbeit ausbauen", sagte Reiter. Nerdinger selbst war am Montag nicht zu erreichen.

Als Nerdinger im Jahr 2012 die Position des Gründungsdirektors übernommen hatte, war er eine Notlösung: Seine Vorgängerin, die Historikerin Irmtrud Wojak, musste wegen Differenzen über ihre Konzepte und kritischen Äußerungen gehen. Trotz der kurzen Zeit gelang es Nerdinger, mit anderen Historikern zusammen ein Ausstellungskonzept zu erarbeiten, sodass das NS-Dokuzentrum am 30. April 2015 eröffnet werden konnte.

Deshalb sehen nun wohl alle Stadtratsfraktionen kein Problem darin, seinen Vertrag erneut um zwei Jahre zu verlängern. Im Gegenteil: SPD und CSU, aber auch Grüne, Rosa Liste oder FDP würdigten am Montag Nerdingers Verdienste. "Er hat die Aufgabe in einer extrem schwierigen Situation übernommen und sehr gut gelöst", sagte Marian Offman (CSU). "Er ist ein Macher mit großer Durchsetzungskraft." Auch Klaus Peter Rupp (SPD) findet, dass der Architekturhistoriker hervorragende Arbeit geleistet habe.

Das Referat glaubt, die Verlängerung tue dem Haus gut

Dass Aufbau und Start des NS-Dokuzentrums dank Nerdinger gut gelungen sind, lobte auch die Opposition. Er sei "ein hoch angesehener Fachmann", sagte etwa Wolfgang Heubisch (FDP). Einig sind sich die Stadträte darin, dass die kommenden beiden Jahre genutzt werden müssen. Wichtig sei, nach dem Start die hohe Zahl der Besucher zu festigen. Dazu müsse Nerdinger Gelegenheit erhalten, begonnene Projekte abzuschließen. Zugleich müsse bis 2018 die Nachfolge geregelt werden. "Da bleibt nun ausreichend Zeit", sagte Rupp. Dann müsse "für die Zukunft und den dauerhaften Betrieb jemand Neues geholt werden".

Auch das Kulturreferat hat klare Vorstellungen, was Nerdinger noch bewegen soll: das errungene Ansehen des Hauses festigen und die noch nicht abgeschlossenen digitalen Projekte im Untergeschoss des Zentrums fertigstellen. "Wir sind froh, weil wir glauben, dass die Verlängerung dem Haus gut tut", heißt es aus dem Referat. Die Rückmeldungen aus dem In- und Ausland seien bisher sehr gut gewesen. Zudem verschafften die zwei zusätzlichen Jahre mit Nerdinger der Stadt genügend Zeit, um einen geeigneten Nachfolger für den 71-jährigen Architekturhistoriker zu finden und anzuwerben. Das entstandene Renommee des Hauses wolle man nicht durch eine zu schnell getroffene Entscheidung gefährden.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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