Staatsschutz:"Auf dem rechten Auge nicht blind"

Lesezeit: 3 min

Nach 44 Dienstjahren ist Schluss: Ludwig Schierghofer, Bayerns oberster Staatsschützer und Terrorismusbekämpfer. (Foto: Florian Peljak)

Ludwig Schierghofer jagte islamistische Gefährder und rechtsextremistische Ausländerhasser. Jetzt geht er in den Ruhestand

Von Martin Bernstein, München

"Mir ist jede Art von Extremismus zuwider - zumal, wenn er mit Straftaten verbunden ist." Nach 44 Dienstjahren ist Bayerns oberster Staatsschützer und Terrorismusbekämpfer am Dienstag in den Ruhestand gegangen. Acht Jahre lang hat Ludwig Schierghofer, leitender Kriminaldirektor am Landeskriminalamt (LKA), islamistische Gefährder und rechtsextremistische Ausländerhasser gejagt. Und nach 44 Jahren bei der Polizei, davon 26 Jahre beim LKA, sagt er zum Abschied: "Ich würde den Weg wieder gehen."

In der LKA-Abteilung IV laufen die Fäden zusammen, sobald es um politisch motivierte Kriminalität geht. Es gebe bei der Polizei kaum einen besseren Meldedienst als den für Staatsschutzdelikte, versichern Schierghofer und sein Nachfolger Lothar Köhler unisono. Wenn irgendwo in Bayern die Scheiben einer Flüchtlingsunterkunft eingeworfen werden, wenn salafistische Hassprediger junge Menschen zu radikalisieren versuchen, wenn angebliche Biedermänner wie der Münchner Pegida-Chef im Verdacht stehen, Kontakte ins rechtsterroristische Milieu zu pflegen, wenn Parolen gesprüht oder aus politischen Motiven Menschen angegriffen werden, dann erfahren es die Experten des LKA sofort.

Doch wann ist eine Tat politisch motiviert? Der Grafinger Messerstecher soll während seiner Tat "Allahu akbar" gerufen haben. Doch es gibt keinerlei Hinweise auf Kontakte ins islamistische Milieu. Auch der Scherenmann aus der Kapuzinerstraße ist nach derzeitigem Ermittlungsstand psychisch krank, seine Drohungen und Angriffe auf Passanten und Polizisten hatten keinen erkennbar politisch oder religiös motivierten Hintergrund. Der Mann selbst jedoch war eng vernetzt in der Münchner Salafistenszene. Schierghofer nennt noch einen weiteren Fall, diesmal aus Niedersachsen: Eine 15-Jährige stach mit einem Messer auf einen Polizisten ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Mittlerweile hat die Auswertung ihrer Chat-Protokolle ergeben: Das Mädchen hatte Kontakt zum IS. Was bedeutet das für die polizeiliche Bewertung solcher ganz unterschiedlicher Taten? Für Schierghofer steht fest: "Wir sind gut beraten, immer den schlimmsten Fall anzunehmen."

Schierghofers Nachfolger kümmerte sich zuletzt um den Bereich Cybercrime

Das gelte genauso für den gewalttätigen Extremismus von Rechts. Wo ist die Grenze zwischen "Wutbürgern" und Rechtsextremisten? Wie geht man mit Menschen um, die der Staatsschutz bisher nicht auf dem Radar hatte, die nicht in überregionale Strukturen eingebunden sind, die durch Internetpropaganda enthemmt und aufgehetzt wurden? "Wir müssen das ganze Spektrum der Möglichkeiten denken", fordert Schierghofer. Der Standardsatz, dass die Polizei "in alle Richtungen ermittle", habe nur so seine Berechtigung, nicht aber als Floskel. Dafür immer neu zu sensibilisieren, das ist Schierghofer genauso wichtig wie seinem Nachfolger. Als im vergangenen September rechte Gewalttäter eine Imbissbude in Ebersberg überfielen, räumte Schierghofer selbst ein, dass Ebersberg bis dahin kein Brennpunkt rechter Aktivitäten gewesen sei: "Aber nach diesem Angriff werden wir uns das näher anschauen. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen." Bayerns oberster Staatsschützer betont aber auch: "Mit Sicherheit sind wir bei der Polizei auf dem rechten Auge nicht blind."

Als Persönlichkeit mit Fachwissen, Entscheidungsfreude, sozialer Kompetenz und Teamfähigkeit hat LKA-Chef Robert Heimberger Schierghofer bezeichnet. Der 63-Jährige formuliert es selbst so: "Es gibt nichts Besseres als ein Netzwerk persönlicher Bekanntschaften." Das gelte für die Zusammenarbeit in Deutschland ebenso wie in der grenzüberschreitenden Verfolgung politischer Kriminalität. Schierghofer trat 1972 in die Bereitschaftspolizei ein. Er war Verkehrspolizist, Chef der Inspektion Gröbenzell und hat 14 Jahre lang Polizeiverantwortliche bei Geiselnahmen, Entführungen und Erpressungen beraten. Den Kampf gegen den Extremismus leitet künftig Kriminaldirektor Lothar Köhler. Der 54-jährige Unterfranke war nach Stationen bei der Schutz- und Kriminalpolizei zehn Jahre lang Referent im Bayerischen Innenministerium. Im LKA kümmerte er sich zuletzt um den Bereich Cybercrime.

Die "Betroffenheit" (Köhler), der "Schock" (Schierghofer) über die Pannen, Fehler und Versäumnisse bei der Aufklärung der NSU-Mordserie verbindet Vorgänger und Nachfolger. Die beiden Spitzen-Polizisten sind sich einig: Aus dem NSU-Debakel habe insbesondere die bayerische Polizei viel gelernt. Man habe die richtigen Lehren gezogen. Betroffen, sagt Köhler, sei er, "dass wir es nicht geschafft haben, das aufzuklären - und über das, was alles zu Tage gefördert wurde." Das habe ihn geschockt, sagt auch Schierghofer. Dann erinnert er an die Familien der Opfer und deren Erfahrungen während der Ermittlungen. Und sagt: "Ich habe mich in Teilen auch geschämt."

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: