Judo:Unglaubliche Erfolgsgeschichte

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Der TSV Großhadern ist erstmals deutscher Meister bei den Frauen. Vor drei Jahren stand das Team noch vor dem Aus

Von Julian Ignatowitsch, Speyer/München

Schließlich bediente sich die Teamchefin doch noch eines Superlativs: "Ja, das ist definitiv ein historischer Titel", sagte die sonst so bedachte Verena Birndorfer. Zuvor, als sie die Dimension des Erfolgs erst noch realisieren musste, hatte sie nüchtern, beinahe amtlich festgestellt: "Wir sind deutscher Meister." Und weil es für manche noch immer ein wenig unglaublich klang, muss man es hier einmal hinschreiben: Die Judo-Frauen des TSV Großhadern dürfen sich erstmals in der Geschichte des Vereins als beste Mannschaft in Deutschland bezeichnen. Nach Bronze und Silber in den vergangenen Jahren gelang Birndorfers Team am Samstag in Speyer endlich der goldene Wurf.

Die Endrunde war eine recht eindeutige Angelegenheit geworden: Die Münchnerinnen gewannen 11:3 gegen Bottrop, 9:4 gegen Mönchengladbach und im entscheidenden Duell 10:4 gegen den leicht favorisierten Gastgeber JSV Speyer. "Dass es so deutlich war, darüber sind wir selbst überrascht", gestand Birndorfer. Vergessen waren die Sorgen, als kurz zuvor die beiden Österreicherinnen Bernadette Graf und Magdalena Krssakova ihre Teilnahme abgesagt hatten. "Ich habe ja auch immer betont, dass wir einen extrem ausgeglichenen Kader haben, in dem jeder punkten kann", sagte Birndorfer. Genau das stellte Großhadern im Finale unter Beweis.

Zum Beispiel Kay Kraus, die im Leichtgewicht jeden ihrer sechs Kämpfe gewann. "Ich weiß selber nicht ganz, wie ich das gemacht habe", sagte die 24-Jährige. Nach zwei souveränen Siegen zum Auftakt brachte Kraus das taktische Meisterstück fertig, jeden der folgenden Kämpfe durch einen Strafenvorteil zu gewinnen. "Das war nicht mein bestes Judo, aber taktisch schon ganz gut", meinte sie. "In jedem Fall hat es funktioniert." Nach zwei deutschen Meistertiteln im Einzel hat Kraus nun auch die Teamtrophäe gewonnen. "Das ist noch viel besser als die anderen beiden Titel", sagte sie. Der Teamgeist und die Emotionen an diesem Tag seien unglaublich gewesen. Und auch der Druck war nicht so groß. "Am Anfang waren wir wegen der Ausfälle selbst etwas skeptisch, aber nach den ersten Kämpfen war die Euphorie da und wir haben einen richtigen Lauf bekommen."

Einmal mehr als Punktegarant erwies sich auch Laura Vargas Koch. Die WM-Zweite aus Berlin sprach von einem "perfekten Kampftag". Wie Kraus holte sie sechs von sechs Punkten. Im Finale besiegte sie die ungarische Weltranglistensiebte und zweimalige Europameisterin Joo Abigel mit gleich drei große Wertungen (Waza-ari). "Das war ein Sieg, auf den ich stolz sein kann", sagte sie, "weil es ja eigentlich gar nicht meine reguläre Gewichtsklasse ist." In der Bundesliga geht die 24-Jährige immer eine Klasse höher bis 78 Kilogramm an den Start. "Ich freue mich wahnsinnig über diesen Titel", sagte Vargas Koch. Überhaupt überzeugten die Münchnerinnen mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung. Carolin Weiß holte fünf Punkte, Martina Ertl und Lisa Dollinger jeweils vier. "Einige Duelle hätten vielleicht auch anders ausgehen können", räumte Birndorfer ein. "Aber wir haben gezeigt, dass keiner an uns vorbeikommt, wenn alle in guter Form sind."

Das war nicht immer so: Vor drei Jahren stand die Frauen-Mannschaft kurz vor dem Aus, der Verein wollte kein Team mehr für die Bundesliga melden. "Daran kann ich mich noch gut erinnern", erzählt Birndorfer. "Es ging nichts voran. Irgendwann standen wir vor der Frage: Macht es so noch Sinn?" Eine Abstimmung unter den Sportlerinnen ergab: Ja, wir wollen weitermachen. Die Initialzündung.

Jugendförderung und gezielte Neuverpflichtungen brachten Großhadern wieder auf den richtigen Weg. Auf die knappe Finalniederlage 2012 folgte der dritte Platz 2013. Und jetzt endlich: die erste Meisterschaft. Ob die Erfolgsgeschichte eine Fortsetzung findet? Die Zeichen stehen gut. Im Finale trat Großhadern fast ausschließlich mit Kämpferinnen aus der Region an. Bis auf die Berlinerinnen Vargas Koch und Weiß trainieren alle Athletinnen am bayerischen Kaderstützpunkt in München. Während die anderen auf teure Verstärkungen aus dem Ausland setzten, vertraut man beim TSV vor allem Judoka, die im Verein groß werden und eine Bindung zu München haben. Oder eben solchen, die sich schnell integrieren, wie die vor der Saison geholten Weiß und Vargas Koch. Die Frage, ob sie auch in der kommenden Saison für München starten wolle, beantwortete Vargas Koch mit einem energischen "Ja!". Auch Birndorfer nickte sofort zustimmend: "Das Team wird so zusammenbleiben. Einen Grund für einschneidende Veränderungen gibt es ja nicht."

Zur Siegesfeier ging es dann am Sonntag mit dem ganzen Verein aufs Oktoberfest. Spätestens hier lernten dann auch die Letzten Münchner Kultur in Reinform kennen. Kulturschock für die Hauptstädter? "Ich sage dazu jetzt mal nichts", sagte Vargas Koch schmunzelnd und fügte hinzu: "Um den Titel zu feiern, ist es sicher nicht der verkehrteste Ort."

© SZ vom 29.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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