Handball:Schweinsteiger in Südafrika

Lesezeit: 3 min

Ismaninger Handballerin bringt Kindern in einem Praktikum ihre kaum bekannte Sportart näher. Dabei sollen sie Verantwortung, Respekt und Disziplin lernen

Von Michael Fischer, München/Swellendam

Railton, ein Örtchen nahe der südafrikanischen Kleinstadt Swellendam. Im Norden und Süden erstrecken sich weitläufige Naturschutzgebiete und Parks, in denen man Zebras und Antilopen finden kann. An der Bonteborg Primary School stehen 60 Schüler zwischen neun und 14 Jahren auf einem Übungsplatz mit Betonboden. Vor ihnen: Leonie Schweinsteiger, 19, Bayernliga-Handballerin des TSV Ismaning, die mit drei Bällen im Arm und einer Trillerpfeife um den Hals zu den Kindern spricht - auf Englisch, was ein Assistent erst übersetzen muss. Sie versucht, ihre Zuhörer für Handball zu begeistern, eine in Südafrika kaum bekannte Sportart.

Im Rahmen ihres Studiums der Angewandten Psychologie macht die junge Frau seit Ende Juli ein Praktikum in Südafrika. Sie unterrichtet an zwei Schulen, zwischen sieben und neun Stunden pro Tag. Ihr Ziel: "Jugendliche durch Handball zu stärken." Ihnen Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu geben. Dadurch sollen die Schüler für die Herausforderungen des Alltags fit gemacht werden - und ihm für einige Zeit entkommen.

Wie hart dieser Alltag manchmal sein kann, hat Leonie Schweinsteiger schnell mitbekommen. "Ich musste mit ansehen, wie ein Kind von einem Erwachsenen mit einem Baseballschläger übel traktiert wurde", erzählt sie. Zwei Menschen seien in Swellendam bereits erschossen worden, seit sie dort ankam - in einer Kleinstadt mit etwa 20 000 Einwohnern. Umso penibler habe sie darauf geachtet, jede Situation zu vermeiden, in der es für sie selbst gefährlich werden könnte: "Vor Anbruch der Dunkelheit war ich immer zu Hause bei meiner Gastfamilie, und ich bin nie alleine unterwegs", erzählt sie.

Handball? Davon hören viele Kinder im südafrikanischen Swellendam zum ersten Mal.... (Foto: oh)

Leonie Schweinsteiger arbeitet zurzeit für drei verschiedene Organisationen. Eine davon ist "Play Handball South Africa", ein Projekt, das von der ehemaligen Bundesligaspielerin Nicola Scholl vorangetrieben wurde und das der Deutsche Handballbund (DHB) auf seiner Homepage bewirbt. Die junge Frau ist dort eine der ersten vier Volontärinnen. Unterstützt wird die Initiative von "Score", einer Organisation mit dem Motto: "Changing lives through sport", durch Sport Leben verändern. Ein Leben, das für viele Kinder geprägt ist von fehlender Perspektive, Kriminalität und Drogenkonsum. "Die Kinder sollen weg von der Straße und lernen, Verantwortung zu übernehmen, solidarisch zu sein und Rücksicht zu nehmen", sagt Schweinsteiger. Es stimme sie sehr positiv, dass das Engagement Früchte trage und die vermittelten Werte immer mehr Einzug fänden ins Leben der Jugendlichen. Zum Beispiel in das von Daavid, einem zwölfjährigen Jungen mit sechs Geschwistern, der sich im Leben stets durchsetzen musste und deshalb auch beim Handball oft egoistisch agierte. "Mit ihm habe ich viel gesprochen, um ihm klar zu machen, dass es beim Mannschaftssport Respekt und Disziplin braucht." Auch mit körperlich und geistig behinderten sowie heimatlosen Kindern hat die 19-Jährige zu tun. Eine große Herausforderung, "ich muss mich auf jeden Einzelnen konzentrieren und ein individuelles Trainingsprogramm entwickeln", sagt sie.

Abseits der Arbeit lernt Leonie Schweinsteiger den Alltag in Afrika kennen, der im Gegensatz zu deutschen Verhältnissen entspannter und unstrukturierter sei. "Wenn etwas für neun Uhr geplant ist, kann es durchaus mal zwölf werden", sagt sie. Besonders beeindruckt habe sie, mit wie viel "Respekt, Liebe und Offenheit" sie von ihrer Gastfamilie aufgenommen wurde.

An diesem Wochenende fliegt sie zurück nach Deutschland. Beim TSV Ismaning wird ihre Rückkehr sehnsüchtig erwartet: "Eine fitte Leonie Schweinsteiger ist für uns immer eine große Hilfe", sagt Vereinssprecher Andreas Schisler. Wie hoch ihr sportlicher Wert für den Klub ist, wurde im Januar 2013 klar. Elf Treffer gelangen dem damaligen Drittligisten im Pokalspiel gegen den sechsmaligen deutschen Meister HC Leipzig, der erwartungsgemäß deutlich gewann, mit 36:11. Fünf Tore steuerte Schweinsteiger bei.

Mit dem Nachnamen ihrer Trainerin Leonie Schweinsteiger können sie da noch eher etwas anfangen. (Foto: oh)

Mit 18 riss zum zweiten Mal ihr rechtes Kreuzband. Ein Jahr fehlte sie dem TSV Ismaning

Vor einem Jahr zog sie sich dann eine schwere Verletzung zu. Ohne Fremdeinwirkung riss ihr rechtes Kreuzband. Sie war 18, vier Jahre zuvor hatte sie dieselbe Verletzung schon einmal gehabt. Ein Jahr fehlte sie ihrer Mannschaft, erst im Sommer dieses Jahres stieg sie wieder ins Training ein, wenn auch nur mit Laufübungen.

In der aktuellen Saison will Schweinsteiger noch "das eine oder andere Spiel absolvieren", ehe sie in der nächsten Spielzeit wieder voll einsteigt. Dann vielleicht in der dritten Liga - der TSV ist derzeit Tabellenzweiter. Irgendwann, sagt sie, wird es sie sicher auch wieder nach Südafrika verschlagen, denn "das deutsche Lebensgefühl ist mit dem südafrikanischen nicht zu vergleichen". Schweinsteiger hat das jeden Tag gemerkt, auf diesem kargen Beton-Handballcourt in Railton.

© SZ vom 06.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: