Skulpturen Transport:Bildende Kunst

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Die Rekonstruktion einer antiken Figurengruppe aus Olympia findet im Wilhelmsgymnasium im Lehel ein neues Zuhause

Von Wolfgang Görl

Die überlebensgroße Skulptur, eine Frau aus dem sagenhaften Volk der Lapithen, schwebt über dem Innenhof des Wilhelmsgymnasiums im Lehel. Gleich wird sie ein Fenster im dritten Stockwerk erreicht haben, wo Arbeiter schon auf sie warten. Der Kran schwenkt Richtung Fassade, an die der große Metallkorb andockt. Starke Männer hieven die Figur mit einem Gabelstapler ins Innere. 20 weitere der bis zu 600 Kilo schweren Skulpturen werden folgen, bis die Figurengruppe, die in der Antike den Westgiebel des Zeus-Tempels von Olympia zierte, komplett ist. Die fragmentarisch erhaltenen Originale stehen in Olympia im Museum, dies hier sind Gipsabgüsse.

Im nächsten Schuljahr, wenn die Renovierung des Gymnasiums beendet ist, können die Schüler die wilde Szene studieren. Der antike Bildhauer hat dargestellt, wie die Lapithen mit den Kentauren kämpfen, die sich, betrunken und aufgeheizt, bei einer Hochzeit über die Frauen hermachen. In der Mitte aber steht Apoll und verhindert das Schlimmste.

Seit 1976 befanden sich die Figuren im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke an der Katharina-von-Bora-Straße (früher Meiserstraße), zunächst im Keller des Hauses, später dann auf dem Speicher. "Wir sind froh, dass sie jetzt ein neues Zuhause finden", sagt Ingeborg Kader, die ehemalige Leiterin des Museums. Ihre Nachfolgerin, Nele Schröder, fügt hinzu: "Natürlich werden uns die Figuren fehlen, andererseits aber ist es gut, dass sie wieder ihren ursprünglichen Zweck erfüllen." Dieser Zweck hat gewiss etwas mit Bildung zu tun, mit Einblicken in die Kunst und die Mythologie der antiken Griechen, aber auch mit der jüngeren Geschichte Münchens.

Die Figuren erinnern an die Olympischen Sommerspiele 1972, an die heiteren Spiele, über denen der Schatten des tödlichen Attentats auf die israelischen Sportler liegt. Im begleitenden Kulturprogramm gab es damals im Deutschen Museum eine Ausstellung über das antike Olympia. Dazu fertigte man eine Rekonstruktion des Westgiebels des Zeus-Tempels an. Die monumentale Zeus-Statue im Inneren des Tempels, geschaffen im fünften Jahrhundert vor Christus vom Bildhauer Phidias, zählte zu den sieben Weltwundern des Altertums. Der Westgiebel wiederum war dem Gott Apoll gewidmet, der dem wüsten Kampfgeschehen Einhalt gebietet. Hier das Chaos, aus dem mit göttlicher Hilfe die Ordnung wächst - eine wesentliche Botschaft der Antike, die neue Aktualität gewonnen hat im politisch prekären Europa.

Rund 30 Meter misst das Ensemble, das die Fachleute für die Olympia-Austellung 1972 rekonstruiert haben. Die Abgussformen stammten aus der Berliner Gipsformerei. Deutsche Archäologen hatten im 19. Jahrhundert die marmornen Relikte der Geburtsstätte der olympischen Spiele ausgegraben. Die Fragmente, sagt Nele Schröder, hat man seinerzeit ergänzt, um einen Gesamteindruck des Westgiebels zu erhalten. So verkörpern die Abgüsse nicht nur antike Kulturgeschichte, sondern auch moderne Archäologiehistorie.

Eigentlich war geplant, das zu Gips erstarrte Kampfgetümmel im Deutschen Museum zu belassen. Aber da machte Theo Stillger, der damalige Generaldirektor, nicht mit, weil er der Ansicht war, antike Kunst habe nichts in einem technischen Museum verloren. So gelangten die Kopien in die Abguss-Sammlung der Ludwig-Maximilians-Universität. Mehr als 40 Jahre verblieben sie dort, und man hat, so berichtet Ingeborg Kader, immer wieder versucht, einen Abnehmer zu finden. Doch es fand sich keiner.

Die Rettung kam in Gestalt eines ehemaligen Schülers des Wilhelmsgymnasiums, der Archäologie studierte: Warum nicht die Skulpturen im Gymnasium aufstellen? Es brauchten nur Universität, Schulleitung und Elternbeirat überzeugt werden, was erstaunlicherweise gelang. Dabei traf es sich gut, dass die Renovierung des Schulgebäudes ohnehin auf der Agenda stand. So steht fortan eine Replik dieses höchst bedeutsames Werks griechischer Kunst als Dauerleihgabe im Wilhelmsgymnasium. Die olympische Idee rettet sich ins Lehel.

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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