"Sie stärkt den Zusammenhalt der Ukrainer":Die rockende Patriotin

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Nur haarscharf bleibt die ukrainische Musikerin Ruslana bei ihrem Konzert im Schlachthof unterhalb der Schwelle, die es zu einer politischen Veranstaltung machen würde

Von Frank Nienhuysen

Ruslana beginnt ganz sanft. Sie stampft nicht mit den Füßen, und sie wirft auch nicht ihre gewaltige Mähne empor wie Frauen es tun in der Shampoo-Werbung. Oder wie sonst eben Ruslana. Sie singt ruhig, und ihre Musiker schweigen noch. Manche könnten ihren ersten Song für eine Ballade halten, aber das ist er nicht. Ruslana singt die ukrainische Nationalhymne. Ein paar Stunden zuvor im Interview hatte sie es schon angekündigt, und sie hatte nie einen Zweifel daran, dass das Münchner Publikum ihr folgen würde. Die Mehrheit der Zuschauer sind Ukrainer, oder wenigstens stammen sie aus dem Land. Sie singen also inbrünstig mit, recken blaue-gelbe Schals Richtung Bühne, straffen die Nationalflagge und legen die rechte Hand aufs Herz. Einige Männer tragen am Handgelenk ein blau-gelbes Schweißband, einige Frauen traditionellen Blumenschmuck im Haar. So ukrainisch-patriotisch beginnt im Schlachthof Ruslanas Rockkonzert.

Sie kann natürlich auch anders, und es folgt sogleich "Wild Dances", jenes rhythmisch-hämmernde Lied, mit dem sie 2004 für ihr Land den Eurovision Song Contest gewann. Das kennen auch die Münchner im Saal. Ruslana aber hat längst den Rahmen eines normalen Sängerinnen-Lebens verlassen. Sie sagt es sehr klar, "ich bin praktisch eine Botschafterin geworden. Ich agitiere für die Ukraine". Und das prägt auch sichtbar den Rahmen dieser musikalischen Veranstaltung.

An der Flanke des Schlachthof-Saals sind Tische aufgebaut, auf denen allerlei Devotionalien angeboten werden: blau-gelbe Bändchen, T-Shirts mit der Aufschrift "Slawa Ukraini - Ruhm der Ukraine", Armreifen, gestickte ukrainische Trachtenblusen und -hemden. Wer noch nichts dergleichen dabei hat, kann es sich spontan noch einrichten. Es schimmert gelb und blau in der Arena. Halena, an diesem Abend ein Geburtstagskind, das wie Ruslana aus dem westukrainischen Lwiw (Lemberg) stammt, hat sich farblich vollends auf das Ereignis eingestimmt: blaue Bluse, gelbe, enge Satinhose, sie schiebt ihr Haar beiseite, um ihre blauen Ohrsticker zu zeigen, am Hals baumelt ein blaues Herz, und sie sagt, "und meine Haare sind gelb", dabei sind sie nur blond. Halena lebt seit fünf Jahren in München, sie kennt Ruslana schon seit jener Zeit, als diese eine Sängerin war, die noch nicht den Song Contest gewonnen hatte, und da ist sie sich ganz sicher: "Vor ein paar Jahren wäre ich nie so in ein Konzert von ihr gegangen."

(Foto: Catherina Hess)

Vor ein paar Jahren war Ruslana auch noch nicht die Stimme des Kiewer Maidan gewesen, die sich coram publico für einen Europakurs der Ukraine einsetzte, die den einstigen Präsidenten Viktor Janukowitsch hinfort wünschte und die nun für ein Ende der Kämpfe und für die Einheit des Landes eintritt. Eine Joan Baez der Ukraine? "Nein", sagt Ruslana, "ich bin ein politischer Mensch, aber meine Lieder sind nicht sozialkritisch. Und sie sind auch völlig unpolitisch."

Halena, die blau-gelb-blonde Ukrainerin, wirft ein paar Münzen in eine Spendenbox, die wiederum Ruslanas Stiftungsbudget etwas auffüllt, mit dem die Sängerin seit fast zehn Jahren die Menschen in ihrem Land unterstützt. Früher waren es vor allem kinderreiche Familien, Arbeitslose, Opfer von Repressalien, jetzt sind es auch Flüchtlinge des Krieges, verletzte Soldaten. Es ist dies ein Charity-Konzert, nicht nur die Spenden, auch der Erlös aus dem Ticketverkauf geht in ihre Stiftung, und Ruslana sagt, "es fehlt an so vielem, das Geld reicht nie aus für alles". Für Halena ist die Künstlerin deshalb mehr als eine Frau, die über die Liebe zum heimatlichen Karpaten-Gebirge singt. "Sie stärkt den Zusammenhalt der Ukrainer."

Ruslana weiß, dass die ukrainische Gemeinde in München besonders groß ist, sie tritt ja auch nicht zum ersten Mal in dieser Stadt auf. Auf englischsprachige Erklärungen verzichtet sie gleich ganz. Im Interview spricht sie Russisch, auf der Bühne aber Ukrainisch. Sie weiß, es ist eine Art Heimatkonzert, und gekommen ist überwiegend die Diaspora. Und für alle anderen, sagt sie, sei klar: "Es geht um ukrainische Energie." Der Konflikt in ihrem Land, die Instabilität, die schwere Zeit, welche die Bevölkerung durchmacht, all das schwingt immer wieder ungesungen durch die Schlachthof-Luft. Haarscharf bleibt Ruslana dabei unterhalb der Schwelle, die das Konzert zu einem politischen Konzert machen würde.

Als Ruslana die ukrainische Nationalhymne anstimmt, singt der ganze Saal inbrünstig mit. (Foto: Catherina Hess)

Zwischen den Liedern plädiert sie für eine höhere Geburtenquote, weil die Ukrainer so wenige seien. Sie erzählt, dass man ihr vorgeworfen habe, damals auf dem Maidan, dass sie keine eigenen Songs mehr schreibe, weil sie sich gar so gesellschaftlich engagiere. Und wie sie dann hinter die Bühne gegangen sei und spontan etwas auf ihr Handy aufgesungen habe. Aber es gibt dann doch diesen Moment, in dem sie die Politik auf die Bühne holt. Viele würden ja fragen, sagt sie zum Publikum, warum russische Panzer ins Land gerollt seien, warum es auch jetzt in der Ukraine noch immer so viel Korruption gebe, weshalb die Hrywna, die ukrainische Währung, dermaßen abgestürzt sei. Und? Ruslana aber gibt keine Antwort, jedenfalls keine klare. Sie verzichtet auf Analysen und ruft nur: "Das Wichtigste ist, dass wir zusammenhalten."

Damit scheinen alle zufrieden zu sein, und dann füllt sie die Luft wieder mit schnörkellosem Ruslana-Rock. Sie tanzt und stampft mit den Füßen, sie wirft ihr langes, schwarzes Haar und singt mit kolossaler Stimmgewalt durch den Abend. "Diese Frau gibt Gas ohne Ende", hat der ukrainische Boxer Wladimir Klitschko einmal über Ruslana gesagt. Nach knapp zwei Stunden aber kommt auch sie allmählich zum Ende. Ruslana singt noch einmal die ukrainische Nationalhymne, und als das dem Publikum nicht reicht, kommt sie noch mehrere Male für eine Zugabe zurück auf die Bühne. Auch "Wild Dances" soll es noch einmal sein. Jenes Lied, mit dem sie ihr Land in Europa bekannter machte. Nur dass den Wenigsten dabei zur Ukraine etwas Politisches eingefallen wäre.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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