Sicherheitskonferenz in München:Krieg und Freude

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Die Sicherheitskonferenz gehört zu München, weil sich ernste Politik am besten in entspannter Atmosphäre betreiben lässt - und weil es hier einmal einen frivolen Fasching gab.

Stefan Kornelius

Ewald von Kleist ist immer noch dabei. Allerdings täte man dem 88-Jährigen Unrecht, wenn man noch von seiner Konferenz spräche. Von Kleist hat die Sicherheitskonferenz gegründet, aber 59 Jahre nach dem ersten Treffen von Experten in München ist aus der Veranstaltung ein sensationeller Rummel des internationalen Politik-Betriebes geworden. Jenseits der Jahrestagungen der Vereinten Nationen in New York gibt es kaum eine Veranstaltung auf der Welt, zu der so viele Spitzenpolitiker drängen: 22 Staats- und Regierungschefs werden in diesem Jahr erwartet, 22Außenminister, 24 Verteidigungsminister oder kommandierende Generäle, 67 weitere Minister, Superreiche oder Supermächtige von George Soros bis zu einer stattlichen Riege US-Senatoren. Ein Super-Model-Wettbewerb auf dem Laufsteg der internationalen Politik.

Alles soll schön sauber sein: Im Bayerischen Hof tagt die Sicherheitskonferenz. (Foto: ddp)

So war das nicht gemeint, müsste der Gründer von Kleist, Weltkriegsoffizier, Widerstandskämpfer und Verleger, jetzt sagen. Kleist schwebte eine intime Veranstaltung von 40 bis 50 Teilnehmern vor, die ohne Manuskript und ohne Zuhörer offen Meinungen zur Sicherheitspolitik austauschen sollten. Informell sollte das Treffen sein, was in der Politik eine hohe Bedeutung hat: Kein Stab muss den Ablauf vorbereiten, kein Vertrag muss unterschrieben werden, kein Ergebnis wird erwartet. Hier ging es um Vertrauen und Freundschaften und Offenheit.

Im November 1962 kam die erste Gruppe von Experten auf Einladung Kleists nach München, sie tagte in der Handwerkskammer. Im Jahr darauf zog die Konferenz ins Regina Palast Hotel am Maximiliansplatz um. Als dieses schloss, fand die Truppe Quartier im Bayerischen Hof. Aus Sicherheitsgründen wurde die Konferenz Anfang der 90er Jahre ins Hilton am Tucherpark verlagert, aber der Protest der Teilnehmer war so groß, dass der damalige Konferenzchef Horst Teltschik wenige Jahre später den Umzug zurück in den Bayerischen Hof anordnete.

Das Hotel am Promenadeplatz hat eine Bindekraft für die Sicherheitspolitiker aus aller Welt entwickelt, was die Teilnehmer heute so recht nicht mehr erklären können. Dabei sind die Gründe trivial: Es geht auch um die Party.

Sicherheitspolitik war in den 60er Jahren wie heute meist ein Geschäft älterer, männlicher Herrschaften. Und die staunten nicht schlecht, als sie während eines der ersten Treffen in den 60er Jahren den Münchner Fasching entdeckten, der gleichzeitig im Hotel und in den Schwabinger Clubs gefeiert wurde. Besonders für die amerikanischen Konferenzteilnehmer muss diese ungebremste Frivolität verlockend gewesen sein. So wurde die Tagung jahrelang bewusst auf das Karnevalswochenende gelegt, und wenn im Ballsaal des Bayerischen Hofs der große Kostümball begann, wurden in dem hinteren Konferenzraum die Gespräche unterbrochen, damit die Herren zur Unterhaltung schreiten konnten.

Überhaupt genießt München bei ausländischen Gästen den Ruf einer extrem entspannten Metropole - was die Befassung mit der schweren Kost von Krieg und Frieden vielleicht erleichtert. Erleichtert hat sie definitiv, dass sich die politische Elite jenseits der Hauptstädte und Krisenzentren wohlig unbeobachtet wähnte. Das Hotel mitten in der Stadt, gleich in der Nähe der Flaniermeilen und edlen Geschäfte, das Abendessen im Kaisersaal der Residenz, von Kerzen beschienen unter üppigen Deckengemälden - das lässt sich kaum anderswo auf der Welt so authentisch inszenieren.

Es gibt ein paar Veteranen aus der Urzeit der Konferenz, die erzählen Geschichten von einem Verteidigungsminister, der am Morgen nach dem Ball zerzaust aus dem falschen Bett gefischt wurde. Oder vom Generalsekretär, der sich seine Karnevals-Entourage aufs Zimmer bestellte. In Washington wäre das nicht unentdeckt und auf jeden Fall nicht unbeschrieben geblieben - die bayerische Liberalität hingegen gebietet bis heute Verschwiegenheit.

Im Jahr 2011 ist die Gefahr einer unsachgemäßen Ablenkung weitgehend gebannt. Der Fasching wird schon aus Gründen der Sicherheit nicht mehr parallel im selben Hotel gefeiert - ein Maskierter käme auch nicht durch die Sicherheitsschleusen. Und eine beachtliche Medienmeute wartet darauf, einen der fünf Dutzend Minister in falscher Pose zu erwischen. Schließlich haben die Minister gar keine Zeit mehr für die Münchner Annehmlichkeiten: Die Ausdehnung der Konferenz auf so viele hochrangige Teilnehmer bringt es mit sich, dass nun jeder mit jedem Gesprächstermine vereinbaren muss, um seine Reise zu rechtfertigen und ein Maximum an Sprechzetteln zu verarbeiten. Derart erschöpft sind die Vorderen, dass sie sich abends in ihren Suiten verbarrikadieren. Minister haben allemal kein Recht auf eine entspannte Nacht: Meistens kommen sie exakt zu ihrem Auftritt ins Hotel gestürmt und verlassen anschließend die Stadt wieder.

Ein wenig Glamour verheißt noch das eine oder andere Treffen spät am Abend: die Essenseinladung des Rechtsanwalts Wolfgang Seybold ins Käfer-Restaurant etwa, zu der auch ein bisschen Münchner Prominenz kommt. Dort genießt die US-Senatoren-Riege die für sie ungewohnte Aufmerksamkeit der deutschen Filmszene und des Boulevards. Außerdem fahndet die eine odere andere Gruppe vor allem jüngerer Konferenz-Beisteher, die im Schlepptau ihrer Minister Reden schreiben und Termine protokollieren, in der Dunkelheit nach Restaurants und Bars in Schwabing, in der Maxvorstadt oder im Lehel.

In diesem Jahr fällt es übrigens leichter, das Unterhaltungsprogramm zu pflegen: Im offiziellen Konferenzplan ist das Abendessen am Freitag gestrichen. Stattdessen gibt der Oberbürgermeister wieder einen Empfang. Weil Christian Ude aber als Langweiler und Oberlehrer in Dingen der Sicherheitspolitik gilt, stehen die Chancen diesmal nicht schlecht für die Bars der Stadt.

© SZ vom 03.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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