Sharyan Osman:Träumen und hoffen

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Einfach die langen Haare abgeschnitten: Die Singer- und Songwriterin Sharyan Osman gilt als Newcomerin - und macht alles anders.

Michael Bremmer

Der Blick ist ein Geschenk für jeden Marketing-Strategen: ein bisschen Sex, ein bisschen Träumerle. Wenn Sharyhan Osman, 22, eines ihrer Liebeslieder zu singen beginnt, blickt sie gerne zur Seite und in die Ferne, kuschelt den Kopf an ihre Schulter. Das alleine ließe sich schon verkaufen, das funktioniert bei jedem 08/15-Popsternchen, doch das will die junge Sängerin nicht. Es gab bereits Angebote aus der Musikindustrie - aber: Dafür hätte sich Sharyhan mit ihrer Musik anpassen müssen. "Ich will mit meinem Album Erfolg haben", sagt sie, aber "ich will auch zu hundert Prozent dahinter stehen können."

Sharyhan ist schon immer ihren eigenen Weg gegangen. (Foto: Foto: Erik Mosoni/oh)

Sharyhan Osman gehört zu den spannendsten Newcomern der Stadt - angesiedelt zwischen Tori Amos, Kate Bush und Feist. Sie hat eine schöne und vor allem erstaunlich klare Stimme, sie ist jung, sie hat Talent, und sie schreibt ihre Songs selbst - das alles könnte sie für große Labels interessant machen. Sharyhan steht unter den Fittichen von Leslie Mandoki (Red Rock Production), früher Sänger von Dschingis Khan und heute Musikproduzent, auf dessen Referenzliste Stars wie Phil Collins, Lionel Richie und die No Angels stehen.

Das Management hat Viktor Worms übernommen, einst beim ZDF Unterhaltungschef und Moderator der Hitparade. Nicht die schlechtesten Kontakte für eine Newcomerin, die in München außer bei ein paar Jam-Sessions live noch nicht wirklich in Erscheinung getreten ist.

Dieses Duo öffnet Tore, es offenbart aber auch Geschichten, die viel über das Musikgeschäft aussagen. Seit Sommer 2006 ist die junge Sängerin in den Park Studios in Tutzing zu Gange, seitdem schauen regelmäßig A&R-Manager, die musikalischen Trendsouts der Labels, und Booker bei der neuesten Entdeckung von Mandoki vorbei. Die einen wollten Sharyhan zur neuen Sarah Connor aufbauen, andere wollten sie weg von der Popmusik bringen. Alle hätten Tipps für sie gehabt, sagt Sharyhan, alle hätten gewusst, was sie "anders, besser, erfolgversprechender, charttauglicher" machen müsste - "das hat mich ganz schön fertig gemacht", sagt sie. Angenommen hat sie all die Ratschläge nicht.

Sharyhan ist schon immer ihren eigenen Weg gegangen. Ihre Jugend verbringt sie in Ägypten, der Heimat ihres Vaters, und in Niederbayern. Ihrem Vater ist es anfangs nicht recht, dass seine Tochter zur Bühne will. Bis Sharyhan volljährig ist, verheimlicht sie daher all ihre Auftritte, auch ihre Bewerbung für die Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar", sie kommt 2005 immerhin unter die besten Zwölf.

Zurück in Deggendorf singt sie für eine Jazzband, nach dem Abi zieht sie nach München. Musikproduzent Matthias Gollwitzer, bei dem sie in den Park Studios vorsingt, erkennt ihr Talent und arbeitet mit ihr an einer Solo-Karriere. Bei Red Rock lässt man ihr Zeit, das erste Jahr läuft nahezu komplett als Findungsphase. Scouts kommen und gehen - doch das bringt Sharyhan nicht weiter.

Bis sie sich einfach mal ans Klavier setzt und mit ihrem Spiel, das sie sich selbst beigebracht hat, ihren Mentor verblüfft: Gollwitzer ist von den Akkorden überrascht, von den untypischen Harmoniefolgen, von den interessanten Gegenläufen.

"Einfache Popsongs wären sicher leichter gewesen", sagt Gollwitzer heute, aber in diesem Moment sei sein Entschluss gefallen: "Wir gehen einen anderen Weg, wir machen, was aus ihr rauskommt." Der Output ist gewaltig. Mehr als 40Songs hat Sharyhan seit dieser Zeit geschrieben. "Man kann nicht mehr aufhören. Alles, was man erlebt, wird im Kopf zum nächsten Song", sagt Sharyhan. Sehr traurige, sehr intime Songs sind dabei entstanden.

Zum Teil spürt man hier noch jugendliche Naivität - und ist bei der nächsten Nummer erstaunt, wie impulsiv die 22-Jährige sein kann. Neben eingängigen Balladen gibt es einzelne Indie-Kracher, die Stimme mal zerbrechlich, mal furios, Kate Bush meets Toyah Willcox. Jazz-Arrangements treffen auf Filmmusik-Bombast, auf Singer-Songwriter-Pop folgt Polka. "Sperriger Stoff", wie Co-Autor Gollwitzer zugibt - alles hart an der Grenze zwischen Formatradio und Nischenprogramm. Dennoch ist Gollwitzer zuversichtlich: "Gerade weil es der Musikindustrie so schlecht geht, habe ich Hoffnung, dass Labels ihre Künstler wieder langfristig aufbauen."

Verblüffter Mentor

Fast zweieinhalb Jahre hat Red Rock Sharyhan bis jetzt Zeit gegeben - außergewöhnlich lang im Musikgeschäft. Ob das reicht? "Ich kämpfe für meine Musik, für mein Album", sagt Sharyhan. "Als Künstlerin nehme ich es mir heraus, zu träumen und zu hoffen - dafür arbeite ich auch hart." Ein Knochenjob sei die Produktion gewesen, sagt sie, häufig bis fünf Uhr morgends habe sie in Tutzing gerackert.

Dazu kommen Gitarrenunterricht, eine Ausbildung an einer privaten Schauspielschule und Gelegenheitsarbeiten im Call-Center und bei Messe-Agenturen, um das alles überhaupt finanzieren zu können. Und wenn es doch nicht klappt: "Es ist mir egal, ob ich irgendwann mal Geld habe", sagt sie, "aber ich muss Künstlerin sein."

Für die Karriere schaut es nicht schlecht aus. Vor kurzem hat Sharyhan den bayerischen Newcomerpreis gewonnen. Und von Dezember an haben sich jetzt wieder die A&R-Manager in Tutzing angekündigt, vier Major- und zwei große Indie-Labels sollen interessiert sein. Manche von ihnen werden Sharyhan nicht unbedingt wiedererkennen - sie hat sich mitten in der laufenden Album-Produktion die langen Haare abgeschnitten - unabgesprochen.

Manager Viktor Worms soll das unglaublich gewurmt haben, heißt es. Klar: Lange Haare können ein Geschenk sein für jeden Marketing-Strategen. Sich gegen diese Regeln aufzulehnen, macht zumindest die Künstlerin interessanter.

© SZ vom 04.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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