Serie: Unbezahlbar schön! (12):"Das hat uns alle schon sehr getroffen"

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Eine streitbare Gemeinschaft: Marie Banck (oben auf der Treppe, links) und ihre Nachbarn hoffen immer noch, im Haus Wagnerstraße 1 zu bleiben. (Foto: Lukas Barth)

Marie Banck beschreibt den gemeinsamen Kampf der Mieter um ein Wohnhaus an der Wagnerstraße in Schwabing

Mit den Kündigungen ist Ende 2015 zu rechnen: Das erfuhren Marie Banck, 30, und die übrigen Mieter des Gebäudes an der Wagnerstraße 1 aus einem Schreiben eines Eigentümeranwaltes im vergangenen Jahr. Denn ihr Wohnhaus soll abgerissen werden. Das vor mehr als 100 Jahren erbaute Gebäude hinter der Münchner Freiheit befindet sich zwar im tiefroten, teuren Bereich des Mietspiegels, gehört aber zum originalen Schwabinger Straßenbild und bietet noch bezahlbare Mieten und im Erdgeschoss die Kult-Kneipe "Podium". All das soll für einen Neubau mit Mietwohnungen und Garage verschwinden. Die Bewohner und die Kneipenbetreiber waren sehr überrascht davon, dass ein Investor das Gebäude gekauft hat und wohl Pläne schmiedet, in denen sie nicht mehr vorkommen. Marie Banck erzählt im Namen der ganzen Mietergemeinschaft, wie sie seit den unangenehmen Nachrichten aktiv geworden sind.

"Seitdem wir um unsere Wohnungen kämpfen, haben wir erst bemerkt, wie sehr wir im Viertel angekommen sind. Wir wussten, dass die Gentrifizierung so rapide um sich greift, waren aber froh, in einer eigenen Nische zu wohnen, mit noch erschwinglichen Mieten. Wir haben im Juli vergangenen Jahres erfahren, dass der Eigentümer gewechselt hat. Anfangs hatte uns die Hausverwaltung andeutungsweise angesprochen: Was wir denn hier noch wollten, so wolle man doch nicht leben. Dann erfuhren wir vom geplanten Abriss. Ob wir danach wieder hier leben wollen, wurde gar nicht erst gefragt. Aber wir wollen hier weiter gerne bleiben.

Das hat uns alle schon sehr getroffen, weil wir uns hier sehr wohl fühlen. Uns gefällt das Haus an sich, das Flair, das angenehme Miteinander, das gute Verhältnis zum "Podium". Hier wohnen viele Studenten, Künstler, auch eine kolumbianische Familie, das ist ein Querschnitt der Gesellschaft, keine Besserverdiener. Für die Studenten ist es vielleicht noch verkraftbar, eine neue Wohnung zu suchen, aber für andere wird es schwieriger. Jimi etwa, ein amerikanischer Sänger, wohnt seit 30 Jahren hier. Man kennt die Realität, es ist sehr schwer, eine Wohnung zu finden. Wenn man sich im Internet umguckt, findet man WG-Zimmer für 500 Euro.

Wir haben aus dem Viertel viel Zuspruch und Unterstützung bekommen; erst kürzlich beim Hofflohmarkt kamen viele Nachbarn und wollten wissen, wie sich die Sache entwickelt. Schwabing ist nicht durch und durch angepasst oder luxussaniert. Aber es entstehen so viele Nicht-Orte, die eine Beliebigkeit ausstrahlen. Es ist klar, dass es einen Wandel gibt, man kann ein Viertel nicht einfrieren. Nur entstehen so viele unästhetische Gebilde, bei denen dem Kapital freie Hand gegeben wird. Man könnte doch zumindest in einem der Umgebung ähnlichen Stil bauen.

Es verschwinden viele Geschäfte, früher gab es hier das Hip-Hop-Geschäft "Mighty Weeny", jetzt Waxing-Studios und Smoothies-Läden. Man kann sich dem Wandel nicht verschließen, aber man sollte nicht nur die Elite bedienen und originale Institutionen hier lassen, zum Beispiel eben das "Podium". Die "Schwabinger 7" ist ein gutes Beispiel: Man kann eine Institution nicht umsiedeln. Eigentlich ist der Begriff ,Gentrifizierung' ein Euphemismus: Das ist eine richtige Zerstörung gewachsener Strukturen.

Wir wollen auch nicht als Opfer angesehen werden, sondern verstehen uns als Teil eines lebendigen Schwabing. Wir sind sehr stolz, dass wir den Diskurs angestoßen haben darüber, ob unser Gebäude wirklich abgerissen werden muss, und wie wir in Zukunft leben wollen. Wir wollen nicht trauern, sondern sehen das Potenzial, aktiv zu werden. Im Haus ist eine große Gemeinschaft entstanden, wir sammeln Unterschriften für den Erhalt des Gebäudes, da haben wir momentan 3600 zusammen. Wir haben in einer Nacht eine "Guerilla Lightning"-Aktion gemacht und das Gebäude von außen mit Farben beleuchtet. Wir haben einen Kunst- und Kulturabend veranstaltet und das Amt für Denkmalschutz eingeschaltet. Das Amt hat den Denkmalcharakter aber ausgeschlossen; wir haben im Stadtarchiv nun aber einen Abdruck von 1870 gefunden, auf dem ein verblüffend ähnliches Gebäude an der gleichen Adresse zu finden ist. Vielleicht gibt es einen neuen Anlauf.

Wir hoffen, dass wir hier bleiben können, auch wenn das vielleicht verrückt klingt. Wir wollen auch noch einmal versuchen, mit dem neuen Eigentümer ein Gespräch zu führen."

Am Samstag lesen Sie, welche Chancen Wogeno-Vorstand Christian Stupka für genossenschaftliche Wohnprojekte sieht.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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