Serie: Bankgeheimnis:Hulapalu

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Tägliche Besuche seit 52 Jahren und eine Beobachterin mit Weinsachverstand im Ex-Kino - der Hans-Mielich-Platz

Von Philipp Crone, Hans-Mielich-Platz/Untergiesing

Die Musik setzt zehn Sekunden aus, dann zuckt Hasan Mustafas Kopf herum, und der schmale Mann bearbeitet abwechselnd seine Bluetooth-Box und sein Smartphone mit zerfurchten Fingern. Ist ja auch eine Zumutung, seinen Nachmittagsplatz einzunehmen, im Schatten unter einem der 16 Bäume, und dazu keine ordentliche Musik zu haben. Zum Glück kommt ein Kumpel des 60 Jahre alten Griechen dazu und bringt das Gerät ohne Unterbrechung zum Laufen.

Die knallrote Frauenskulptur ist ein Kunstprojekt "gegen Gewalt an indigenen Frauen in Kanada" steht an dem Kasten. (Foto: Robert Haas)

Zwischen den Bäumen, den drei Bänken, vier Mülleimern und zwölf Laternen wagt sich außer den zwei Bluetooth-Männern keiner aus dem Schatten. "Hulapalu singst du in mein Ohr" schallt der Song von Andreas Gabalier so laut über den Platz, dass Simone Keiss einen Blick aus ihrem Geschäft wirft. Der Platz liegt in Calamari-Wurfweite des Lukullus-Lokals an den Gleisen zwischen Isar-Eisenbahnbrücke und Ostbahnhof, noch immer mit hellen Steinplatten, die Renovierung ist fünf Jahre her. Gegen Abend und mittwochs zum Markt füllt sich der Ort. Aber wer sind Simone Keiss und Hasan Mustafa?

Mustafa hat das Musikproblem mittlerweile gelöst und kann auf seinem Telefon Bilder seiner Familie zeigen. Acht Kinder, von denen zwei nicht mehr leben, dafür sein Vater mit 85, der wohnt hier gleich ums Eck. Mustafa sagt: "Ich komme seit 52 Jahren jeden Tag hierher." Um sich um seine Familie zu kümmern. Er hat als Friseur gearbeitet, sagt er, am Sendlinger Tor, dann hatte er vor Jahren einen schweren Unfall. "Schau dir die Narben an", sagt er und zeigt auf sein Gesicht, er sei 15 Tage lang im Koma gelegen, nachdem er auf dem Rad von einem Auto erfasst wurde.

Autos gibt es am Mielich-Platz kaum, alle paar Minuten rollt eins durch die Bahnunterführung, an den Holzhütten vorbei, die an den Bahndamm gelehnt stehen und dann links weiter in die Mielich-Straße, wo in der Gelateria Dibello alle Tische besetzt sind, die Sorten Raffaello und Toffifee aus eigener Herstellung sind ziemlich gefragt. Andere Giesinger kühlen sich im Schyrenbad ab, die vorbeifahrenden Radler-Gruppen zählen bis zu zehn Räder.

Mittwochs ist Mustafa natürlich auch da, wenn etwa zehn Stände aufgebaut sind. Keiss bleibt auch dann in ihrer Weinhandlung, die früher ein Kino war. Keiss' Mann Karl-Heinz Krawczyk erinnert sich, dass sein Vater die Räume 1983 übernommen hat, bis in die Sechzigerjahre war darin ein Kino. Man kann das noch von außen sehen, an der Seite sind die ehemaligen Ausgänge mit riesigen Weinfässern verschlossen. "Das war das ehemalige Hansa-Kino, da lief am Anfang die Wochenschau und später dann Filme. Immer in Endlosschleife den ganzen Tag über", sagt Krawczyk. Er selbst hat den Laden 1999 übernommen, kann sich also gut daran erinnern, wie es vor und nach der Umgestaltung 2012 war. "Vorher war hier kein Leben, jetzt gibt es eins."

Hinten fährt ein Skateboard-Junge unter der Querstange eines Gerüsts durch, zwei Mütter zeigen dem Nachwuchs daneben, aus welchem Baum die Krähe kräht und zwei Rentnerinnen hören einer Passantin zu, auch im Rentenalter, wie die sich aufregt, dass zu ihrer Zeit als Schulweghelfer die Eltern immer neben dem Zebrastreifen über die Straße gegangen sind. Eine Tochter sagt kopfschüttelnd zur Mutter: "Warum kaufen wir auf dem Markt kein Brot?" "Wir haben noch was daheim." "Nur ekelhaftes." "Ich habs nicht eingekauft."

Der Hans-Mielich-Platz in Untergiesing. SZ Karte (Foto: SZ Grafik)

Der Schornstein des Heizkraftwerks ragt im Westen über die Bäume, im Osten der Turm der Heilig-Kreuz-Kirche, der Seewolf beim griechischen Lokal Likavitos kostet 15,50 Euro, die Schachfiguren allerdings kann man sich gegen ein Pfand dort umsonst abholen und gegenüber auf dem etwa Picknickdeckengroßen Feld spielen. Oder sich die knallrote Frauenskulptur ansehen, die dort ausgestellt ist auf einem Sockel, ein Kunstprojekt "gegen Gewalt an indigenen Frauen in Kanada", steht auf einem Blatt im Beipackkasten.

Ein weiterer Tag, Mustafa hat sich unter seinen Baum gesetzt, direkt neben dem Maibaum, es sind nur die Arbeiter am Gerüst zu hören, durch das der Junge sein Skateboard auch heute wieder lenkt. Auf den ausgeblichenen Bänken sitzen Eisschlecker, und Mustafa spielt den Soundtrack: Hulapalu.

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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