Schulverpflegung:"Es musste sich was ändern"

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An der Mittelschule in Vaterstetten ärgerten sich Eltern und Kinder über die Mensa - dank eines eigenen Trainers ist seitdem viel passiert

Von Melanie Staudinger

Ein kleines Lächeln nur, ein treuer Blick aus den Kulleraugen - und schon lässt die Mensamitarbeiterin das Kartoffelgemüse zurück in den Bottich gleiten. Leo nimmt Wiener und eine Semmel. Geschickt balanciert der Fünftklässler, der in Wirklichkeit anders heißt, sein Tablett am Salatbuffet vorbei, greift sich einen Schokopudding und setzt sich an den ersten Tisch im Speiseraum der Mittelschule Vaterstetten. Lehrer Matthias Reis wird ihn später fragen, warum er dieses Gericht ausgewählt hat und kein Gemüse. Die Antwort könnte typischer nicht sein: "Heute wollte ich es halt nicht." Gegen den Sturkopf eines Zehnjährigen lässt sich schwer argumentieren, das weiß auch Reis, der Ernährungsbeauftragte der Schule. Doch er bleibt gelassen: "Wir können es einfach nicht jedem Recht machen."

Das nicht, aber seit zwei Jahren versucht die Mittelschule im Landkreis Ebersberg ihre Schulverpflegung stetig weiterzuentwickeln. Früher, da seien alle irgendwie unzufrieden gewesen - mit der Mensa, die eigentlich ein ausrangiertes Klassenzimmer ist, mit dem Essen, das ein Caterer täglich aus dem nahen Poing bringt, mit den Mitarbeiterinnen, die einfach ihre Straßenkleidung trugen. Die Teller blieben oft voll, die Diskussionen mit den Eltern rissen nicht ab.

"Es musste sich etwas ändern", sagt Reis. Schließlich spiele gerade in einer Mittelschule das Thema Ernährung eine große Rolle. Die Zahlen sind durchaus alarmierend: Jedes zwölfte Kind in Bayern ist schon bei der Einschulung übergewichtig. Die Ursache ist wenig überraschend. Bewegungsmangel in Kombination mit zu kalorienhaltigem Essen und Trinken lässt Kinder immer dicker werden. Die Schere geht auseinander. Das eine Extrem sind die übermäßig ernährungsbewussten Familien, die ihre Kinder in der Krippe schon am liebsten vegan ernähren wollen (wovon Experten eindeutig abraten). Und dann gibt es die sozial schwachen Elternhäuser, in denen Kinder nicht lernen, richtig mit Messer und Gabel zu essen, in denen Mangos oder Kakis gänzlich unbekannt sind, und die meinen, dass der gesunden Ernährung genüge getan ist, wenn auf dem Produkt "frisch" draufsteht. Armut macht dick, das haben Studien immer wieder gezeigt. Deshalb ist die Quote der übergewichtigen Kinder in Ballungsräumen wie München höher, in denen auch der Anteil sozial schwacher Familien höher ist.

Es sind viele Kleinigkeiten, die für mehr Zufriedenheit bei den "Kunden" der Schulmensa in Vaterstetten gesorgt haben. (Foto: Angelika Bardehle)

Doch wie macht man Schulessen attraktiv? Diese Frage beschäftigte Reis lange. Die Speisen dürfen nicht unendlich teuer sein - mehr als vier Euro für drei Gänge und Getränke ist nicht drin. Eine professionelle Mensa wird die Gemeinde der Schule auch nicht schenken. Die Schule wandte sich an die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Ostbayern. Die unterstützt Kindertagesstätten und Schulen, die einheitliche Qualitätsstandards beim Pausenverkauf oder dem Mittagessen einführen möchten. Seit dem Schuljahr 2009/10 gibt es für Schulen ein spezielles Coaching-Programm, an dem sich bisher 60 Einrichtungen beteiligt haben. Jede Schule bekommt einen eigenen Trainer, der die individuelle Situation analysiert und Lösungsansätze erarbeitet.

Das zentrale Element der neuen Essensstrategie in der Mittelschule Vaterstetten hat mit Nahrungsaufnahme im engeren Sinne erst einmal gar nichts zu tun. Kommunikation und Aufklärung waren die Schlüssel zum Erfolg, Verständnis dafür wecken, dass die Mensa kein Drei-Sterne-Essen anbieten kann, die Mahlzeiten aber dennoch gesund und schmackhaft sind. Eltern wie Schüler fahren zum Caterer "Köstlich und Co." nach Poing, sie lassen sich berichten, wo die Zutaten herkommen, sie schauen zu, wie die Speisen gekocht werden. Seitdem hat die Zahl der Beschwerden deutlich abgenommen.

Als nächstes knöpfte sich die Mittelschule die Mensa vor. Die "Mensadamen" erhielten Uniformen samt Haartuch und Schürzen. Der Salat wird mit Salatbesteck bearbeitet, nicht mehr mit den Händen. Der Raum erstrahlt nun in angenehmem Blau, in Iris 15 hellblau, nicht mehr wie früher in unterschiedlichen, viel zu grellen Orangetönen. "Wir haben den Schnickschnack aus der Mensa entfernt", sagt Reis. Damit meint er das Büro der Mensaleitung ebenso wie die Herbst- und Weihnachtsdeko, die manchmal im Frühling noch hing. Mehr Platz gibt es nun, die Kinder tun sich so leichter, ihre Tabletts zu den Tischen zu bringen. Unter den Stühlen klebt nun Filz, dass senkt den Geräuschpegel. Die Gemeinde sponsorte einen neuen, leiseren Kühlschrank. Bald bekommt die Decke schallhemmende Platten.

Die Essensausgabe wurde straffer organisiert, damit die Kinder schneller ihr Essen bekommen. (Foto: Angelika Bardehle)

Mehr Hygiene und ein besseres Raumgefühl reichten aber noch nicht aus. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass die Essensausgabe viel zu lang dauere. Heute geht es fix, weil die Schule alles straff organisiert hat: Jacken und Schulranzen bleiben draußen im Eingangsbereich der Schule, wo sie niemanden stören. Die fünften bis siebten Ganztagsklassen gehen im Verbund essen, jeder Jahrgang zu einer festgelegten Zeit. Die Kinder waschen sich die Hände und stellen sich vor dem Eingang an. Wenn sie die Mensa betreten, nehmen sie sich ein Tablett, Nachspeise und Salat stehen schon bereit. Die Mensadamen geben den Hauptgang aus. Die Getränke - ungesüßter Tee und Wasser - warten auf dem Tischen. Keine fünf Minuten dauert es, bis alle versorgt sind. Eine Lehrkraft ist immer dabei. "Wir legen Wert darauf, dass Tischmanieren eingehalten werden", sagt Reis.

Und auch wenn nicht jedem immer alles schmeckt: Die Akzeptanz der Mensa ist mittlerweile so groß, was sich auch daran zeigt, dass ältere Schüler gelegentlich freiwillig auf ihren Döner verzichten und in der Schule essen, obwohl sie gar nicht müssen. Reis hingegen ist schon an der nächsten Sache dran: dem Pausenverkauf. Der soll gesünder werden. "Süßigkeiten bringen die Schüler von daheim schon genug mit", sagt er.

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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