Schüler und Lehrer fordern mehr Politik-Unterricht:Zu wenig Demokratie im Lehrplan

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Karikatur: Dieter Hanitzsch (Foto: N/A)

Eine Ausweitung helfe, dem Extremismus vorzubeugen und Erstwähler gut vorzubereiten - zudem sei Bayern im Ländervergleich hinten dran

"Zurück zum ,zoon politikon' " vom 26. September und "Schüler fordern mehr Politikunterricht" vom 29. September:

Erstwähler ohne Vorbereitung

Normalerweise sind es wir, die Lehrer, die immer mehr fordern: mehr Mitarbeit, mehr Zeit, mehr Kompetenz, mehr Begeisterung. Nun haben aber zum wiederholten Male nicht die Lehrer, sondern die Hauptpersonen, die Schüler, nach "mehr" gerufen: "Mehr Politikunterricht" fordert nicht nur der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes für politische Bildung. Nein, der Ruf nach mehr Politik kommt auch von der Landesschülersprecherin Acelya Aktas. Als Sozialkunde-, Geschichts- und Englischlehrer rufe ich: "Bravo! Mehr davon!" Verantwortliche sehen das anscheinend anders. An der Fachoberschule wird mit dem neuen Lehrplan der Sozialkunde-(= Politik-)Unterricht um eine Wochenstunde von drei auf zwei Stunden gekürzt. Wo Schüler, die gerade an der Schwelle zur Volljährigkeit mit Begeisterung Politik lernen, wird der Unterricht noch weiter zusammengekürzt. Wie so das Ziel, der "mündigen Bürger", die ihre neuen Rechte und Pflichten zum ersten Mal ausüben dürfen, erreicht werden soll, erschließt sich nicht. Michael Birnstiel, Wasserburg

Rezept gegen Extremismus

Staatsbürgerliche Bildung verhindert das Abrutschen in Rechts- oder Linksextremismus! Eine Forderung nach einer Erhöhung der Stundenzahl für das Fach Sozialkunde, vor allem in der Oberstufe des Gymnasiums, ist zu unterstützen - oder sind dem Ministerium und der CSU junge Nichtwähler lieber? Man könnte zum Beispiel das P- und W-Seminar in der Q 12 streichen und so zusätzlich eine Stunde gewinnen. Auch in der Mittelstufe am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Gymnasium, Zweig Wirtschaft, könnte man eine Stunde für Sozialkunde zusätzlich gewinnen durch Reduzierung im Fach Wirtschaft/Recht beziehungsweise die staatsrechtlichen Aspekte wie "Verfassung" dort integrieren und so im Fach Sozialkunde Zeit für aktuelle Diskussionen finden. Sicherlich gibt es auch ähnliche Aspekte an anderen Schularten, aber darüber kann ich als ehemaliger Lehrer mit der Fakultas Sozialkunde/Wirtschaft und Recht am Gymnasium nicht urteilen. Ulla Friedrich, Würzburg

Bayern ist Schlusslicht

Die im Artikel vom 26. September beschriebenen Bemühungen der Landesschülersprecher zur Verstärkung der Politischen Bildung verdienen jede Unterstützung. Bayern und Sachsen gelten, so unter anderem eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, als Schlusslichter bei der Verankerung der Politischen Bildung im Fachunterricht an den Gymnasien. Unzählige Aussagen und Forderungen, der jungen Generation Orientierungswissen zu vermitteln oder ihnen die Chance zu eröffnen, eine wertegebundene politische Urteilskraft zu entwickeln, bleiben wohlfeil, wenn man keine strukturellen Voraussetzungen dafür schafft. Die Defizite in der Gesellschaft, Gefährdungen, Bedrohungen gerade für junge Leute hier aufzuzählen, erscheint in diesen Zeiten fast überflüssig.

Im Gegensatz dazu steht die stiefmütterliche Behandlung des Fachs Sozialkunde bei der Stundenausstattung an den bayerischen Gymnasien mit je einer Wochenstunde in den letzten drei Schuljahren vor dem Abitur. Dazu kommt die geringe Gewichtung in Verbindung mit Geschichte. Das kann niemand zufriedenstellen, der in diesen unruhigen Zeiten von der Bedeutung von Werteorientierung, Urteils- und Handlungskompetenz oder Orientierungswissen spricht.

Warum bekommen das andere Bundesländer ohne Probleme hin? Andere Bundesländer haben drei-, vier- oder fünfstündigen Fachunterricht, zugegeben zum Teil unter Einbeziehung wirtschaftlicher Themen und Aspekte. Ein eigenständiges Abitur in Sozialkunde ist in Bayern nur am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Gymnasium möglich, diese Chance hatten im Jahr 2016 gerade mal gut 13 Prozent der fast 39 000 Abiturienten.

Was sich viele Praktiker wünschen: eine Art PISA-Schock bei den Verantwortlichen auch bei der Politischen Bildung, mit anschließenden ernsthaften Korrekturen. Aber vielleicht braucht es gar keine großen Untersuchungen, Tests und Studien. Vielleicht müsste man diese Defizite nur wahrnehmen wollen . . . und Ehrgeiz entwickeln, in der Schule dagegen zu arbeiten. Bedauerlich, dass - von wenigen Ausnahmen abgesehen - aus der Politik selbst so wenig Unterstützung für das Anliegen kommt. Es sieht aus, als ob der vormalige Direktor der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Professor Heinrich Oberreuter, Recht behalten sollte mit seiner Warnung: Wenn die Politiker selbst "den Schülerinnen und Schülern Politik in der Schule vorenthalten, sägen sie an ihrem eigenen Ast." Man möchte ergänzen, sie sägen auch am Grundverständnis für unsere demokratische Ordnung und für Grundlagen unseres Zusammenlebens. Demokratie braucht wissende und engagierte Demokraten, sie reproduziert sich nicht von alleine. Friedrich Wölfl, Studiendirektor a. D., Pechbrunn

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© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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