Schatzkammer:Der geheime Schatz der LMU

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Szepter, eine Hellebarde und ein goldenes Schiff vom Kaiser: Die Ludwig-Maximilians-Universität gewährt einen seltenen Blick in ihre Tresore

Von Jakob Wetzel

Das grausigste Mordwerkzeug der ehrwürdigen Universität liegt sicher verpackt in einem verstärkten Pappkarton in Freimann. Es ist eine Hellebarde, also ein Spieß mit der Schneide einer Axt, 2,40 Meter lang und rund 270 Jahre alt. Um ihren Schaft sind Ruten und Geißeln gebunden, sie stehen für Macht. Eifersüchtige Rektoren der Münchner Universität ließen die Waffe einst anfertigen, um vor Stadt und Kurfürst ihre Autorität zu demonstrieren; bei Aufzügen und Gerichtsverhandlungen trugen sie die Hellebarde zur Schau. Heute aber bekommt die Waffe kaum noch einer zu Gesicht.

Die Hellebarde gehört zu den alten Insignien der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), und damit zu einem Schatz, den diese zwar nicht direkt vergraben, aber in ihrem Archiv in Freimann doch ziemlich gut versteckt hat. Nur selten wird ihm so viel Aufmerksamkeit zuteil wie in diesen Tagen. Noch bis zu diesem Mittwoch widmet das Universitätsarchiv den Insignien eine eigene Tagung im Internationalen Begegnungszentrum der Wissenschaft an der Amalienstraße. Das Archiv bereitet sich mit Tagungen wie dieser auf den 550-jährigen Geburtstag der LMU im Jahr 2022 vor. Und zu diesem Anlass gewährt es nun einen Blick in seine Tresore.

Insignien? Das Universitätsarchiv zählt dazu heute auch kostbare Kunstgegenstände. Ursprünglich aber meinte der Begriff Schmuckstücke, die Macht symbolisieren. Für die Könige des Heiligen Römischen Reiches etwa waren das unter anderem Krone, Schwert und Lanze. Die LMU dagegen hatte vor allem mehrere Szepter und Umhänge, ihr Matrikelbuch und eben ihre Hellebarde. Eine Universität sei bis ins 19. Jahrhundert hinein keine Staatsanstalt wie heute gewesen, sondern erheblich eigenständiger, sagt der Archivar Claudius Stein. Unter anderem habe sie eine eigene Polizei- und Gerichtsgewalt innegehabt, und dafür stand die Waffe. Wenn ein Student gegen die Ordnung verstieß, wenn er zum Beispiel nachts lärmend um die Häuser zog, dann urteilte über ihn kein städtischer oder kurfürstlicher Richter, sondern die Universität. Körperstrafen verhängte diese dabei freilich nicht, trotz der Geißeln, der Ruten und der scharfen Klingen der Hellebarde. Gängig war eher eine Haft im Karzer, schlimmstenfalls wurde der Missetäter der Universität verwiesen. Umgebracht habe man mit der LMU-Hellebarde jedenfalls noch keinen, sagt Stein.

Der Archivar führt durch die Magazine. Es gibt viele weitere beeindruckende Stücke hier in Freimann; Stein öffnet Schachteln voller alter Siegel, die zurückreichen bis zur Gründung der Universität in Ingolstadt 1472. Aus demselben Jahr stammt auch das älteste Matrikelbuch der LMU - Bücher wie dieses waren der Kern der akademischen Selbstverwaltung. In ihnen verzeichnete die Universität bis zur Einführung von Karteikarten 1914, wer ihr und damit ihrem Rechtsbereich angehörte. Der allererste Student der LMU, ist hier etwa zu lesen, war ein gewisser Theodericus Mair, Propst des Kollegiatsstifts Ilmmünster.

Ähnlich kostbar ist, was in einem anderen Tresor lagert: zwei goldene Szepter. Eines packt der Archivar aus: Es stammt von 1642 und stand für die Artistenfakultät, an der die sieben freien Künste gelehrt wurden. Die Stäbe wurden einst bei besonderen Anlässen von Hilfskräften vorneweg getragen, wenn der Rektor einen Raum betrat, sie dienten der Repräsentation.

Denselben Zweck erfüllte später die goldene Amtskette des Rektors, die König Ludwig I. nach dem Umzug der Universität von Ingolstadt über Landshut nach München spendierte. Die Kette ist unversehrt erhalten geblieben, und das war großes Glück. Im Zweiten Weltkrieg war sie mit anderen Schätzen der LMU in Schloss Wässerndorf in Unterfranken eingelagert. Dort wohnte der Archivar, Götz Freiherr von Pölnitz. In den letzten Kriegstagen aber war ausgerechnet jenes Dorf Schauplatz erbitterter Gefechte zwischen der SS und der amerikanischen Armee. Und als alles vorbei war, zündeten US-Soldaten das Schloss aus Rache an. Da packte der Archivar die Kette, verbarg sie unter seinem Hemd und rannte mit ihr aus dem brennenden Schloss. In den folgenden Tagen trug er sie Tag und Nacht auf der Haut, um sie zu verstecken. Während Dokumente verbrannten und Kunstgegenstände schmolzen, blieb so zumindest die Amtskette intakt.

Das Chaos der Nachkriegszeit sorgt bisweilen noch heute für Überraschungen. Erst im vergangenen Jahr etwa erhielt die LMU eine von früher einmal zwei Studentenfahnen von 1848 zurück. Die Fahne hatte den Krieg in der Residenz überstanden, sei aber von der LMU schlicht vergessen worden, sagt Stein. Erst jüngst fiel den Archivaren ein Aktenvermerk auf. Sie fragten bei der Schlösserverwaltung nach und bekamen das Stück prompt zurück.

Die Fahne ist gleich in mehrfacher Hinsicht kurios. Erstens ist sie eine Handarbeit der damaligen Königin Therese und mehrerer Prinzessinnen. Zweitens bestickten die Frauen keine schwarz-rot-goldene, sondern eine schwarz-gold-rote Fahne mit dem bayerischen Rautenwappen. Und drittens hätten sie mit ihrer Stickerei im Revolutionsjahr 1848 die aufmüpfigen Studenten beschwichtigen wollen, sagt Stein. Erfolg hatten sie nicht: Als es König Ludwig I. ein bisschen zu aufmüpfig wurde, schloss er die Universität, musste sie aber nach Protesten wieder öffnen. Der Streit führte letztlich zum Rücktritt des Monarchen. Ludwigs Verfügung verwahrt das Universitätsarchiv ebenfalls in seinen Tresoren, gemeinsam mit den Prozessakten und Karteikarten zur Weißen Rose und zum Beispiel den Unterlagen zu einem ihrer prominentesten Alumni, Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI.

Gleich daneben aber ruht das vielleicht eindrucksvollste Stück in den Schatzkammern der LMU: ein Tischschmuck in Gestalt eines goldenen Schiffs. Der spätere Kaiser Ferdinand II. schenkte es der Universität 1595 zum Abschluss seines Studiums als Trinkpokal - dabei lässt sich aus dem wackligen Zweimaster kaum trinken, ohne sich zu bekleckern. Doch wer weiß? Vielleicht sei genau das beabsichtigt gewesen, sagt Stein. Das Schiff könne Teil eines Trinkspiels gewesen sein. Deswegen gebe es kein Trinkrohr oder eine vergleichbare Hilfe. Und Wein sei an der Universität ja schon immer wichtig gewesen. Die Professoren ließen es zuweilen derart krachen, dass 1805 gar Kurfürst Maximilian IV. Joseph die Universität tadelte, sie möge ihre ausufernden "akademischen Gastereien" doch einschränken.

Aber warum liegen all diese Stücke in Tresoren und Kartons und sind nirgends zu sehen? So sei eben die LMU, sagt Archivar Stein: Sie gehe zurückhaltend mit ihren Schätzen um; und sie habe viel mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick ahne. Spektakulär zeigte sich das zuletzt am "Doryphoros" der LMU: Der Speerträger aus Bronze ist eine der exaktesten Nachbildungen einer Statue des antiken Bildhauers Polyklet; er steht im Hauptgebäude der LMU am Geschwister-Scholl-Platz auf einem Sockel und fristet dort ein unbeachtetes Dasein, er gehört eben zum Inventar. Dabei ist er kunsthistorisch so bedeutend, dass er vor zwei Jahren gar nach London ausgeliehen wurde: Dort war er ein Kernstück einer Ausstellung im Britischen Museum über das antike Konzept der Schönheit.

Vor dem Ersten Weltkrieg habe es Überlegungen gegeben, ein Münchner Universitätsmuseum zu gründen, sagt Archivar Stein. Die Überlegungen waren weit gediehen: Es gab einen Ort, nämlich jene Ecke des Hauptgebäudes an der Adalbertstraße, in dem sich heute einer der Aufgänge aus der U-Bahn befindet, und auch bereits eine Liste derjenigen Stücke, die gezeigt werden sollten. Doch dann kam der Krieg. Die Idee sei danach nie mehr ernsthaft aufgegriffen worden, sagt Stein. Das Archiv würde Räume brauchen und Geld, das es nicht hat. Und die Universität sei immer skeptisch gewesen, ob sie mit ihren Schätzen überhaupt in der Münchner Museenlandschaft bestehen könnte.

Aufgegeben haben die Archivare aber nicht. "Kann man Universitätsgeschichte ausstellen?" fragt Steins Kollegin Katharina Weigand an diesem Mittwoch im letzten Vortrag der Tagung. Vielleicht ergebe das ja einen Impuls, hofft Stein. Ein bissen lebt der Traum vom Museum noch, zumindest hier im Universitätsarchiv.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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