Salben und Kaugummi:Nicht berauschend

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Die schwedische Firma Endoca zeigt in der Zenith-Halle bei der Cannabis-Messe ihr Sortiment - von der Handcreme bis zum Kaugummi. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Bei der Cannabis-Messe im Zenith geht es vor allem um den medizinischen Nutzen des Hanfes

Von Tom Soyer

Sitar-Musik empfängt einen draußen vor der Zenith-Halle, ein paar Menschen entspannen auf Liegestühlen mit Hanfblatt-Dekor. Natürlich denkt man bei einer Messe mit dem Namen "Cannabis XXL" gleich an Kiffer-Klischees. Aber genau das nervt den Münchner Veranstalter Wenzel Vaclav Cerveny, der beteuert, dass "hier alles THC-frei ist", also ohne den psychoakiven Hanf-Wirkstoff. Es gehe bei seiner Hanfmesse nicht um Drogengenuss, sondern um Nützliches bis hin zu medizinischer Hilfe. "Das ist ein seriöses Thema", sagt er, und er hat ein festes Ziel, auf das er auch mit dieser Hanfmesse am Wochenende hinarbeitet: ein medizinisches Cannabis-Therapiezentrum für Schmerzpatienten und austherapierte Schwerstkranke, für welche Cannabis - dann natürlich mit THC - Linderung verspreche.

Seit Anfang März erlaubt in Deutschland eine Gesetzesänderung, dass Ärzte solchen Patienten Cannabis als lindernde Arznei verschreiben. Cerveny will im Raum München ein Therapiezentrum gründen, hat inzwischen über Crowdfunding mehr als 100 000 Euro eingesammelt und ist derzeit auf der Suche nach einer passenden Immobilie. In Unterhaching habe er schon was an der Hand, ob der Mietvertrag klappt, sei aber noch ungewiss, sagt Cerveny. Er hat eine Firma für dieses Projekt gegründet, die "DCI Cannabis Institut GmbH".

Dass es also auch geschäftliche Interessen bei seiner Akzeptanz-Werbung für Hanf gibt, ist klar. Aber er macht auch andere Gründe geltend: Nur 30 Prozent der Patienten, die nun mit Cannabis therapiert werden dürften, erhielten seit der Gesetzesnovelle tatsächlich Rezepte, Ärzte seien zögerlich, Krankenkassen ebenfalls. "Das ist unterlassene Hilfeleistung", schimpft Cerveny und beklagt die "Auswirkungen von 80 Jahren Cannabis-Prohibition".

Geht es nun ums Geschäft oder um die Linderung von Leiden? Eine mögliche Antwort könnte jene ältere, grauhaarige Dame in den roten Gesundheits-Halbschuhen liefern, die sich am Stand eines amerikanischen Szene-Gurus niedergelassen hat. Das "Rick-Simpson-Öl" interessiert sie, weil es ein Cannabis-Öl ist, mit dem besagter Simpson seinen Hautkrebs besiegt haben will. Simpson ist persönlich anwesend und macht aus jedem Einzelgespräch mit Interessenten einen missionarischen Vortrag. Jene Dame, die anonym bleiben will, lässt sich am Rande von Simpsons Messestand auf einem Sofa nieder und erzählt ihre Geschichte.

Vor vier Tagen habe sie ihre Opiate abgesetzt, eine Chemotherapie verweigere sie, und so suche sie nun Zuflucht zu Cannabis, um ihre Schmerzen zu lindern und das Befinden zu bessern. "Vor vier Tagen wäre ich um diese Tageszeit apathisch gewesen, hätte gedöst", sagt sie - und ist nun hellwach, fast heiter, obwohl es um eine schwere Erkrankung geht. "Jetzt, mit dem Cannabis, spüre ich meinen Körper wieder", berichtet sie begeistert, vorher sei einfach alles wie tot gewesen durch die Opiate. Also jemand, der die neue Gesetzeslage nutzt und loben muss? Ja und nein. Sie habe sich schon ein Rezept für Cannabis beim Arzt geholt, sei aber dann fast in Ohnmacht gefallen, als ihr der Apotheker den Preis bei der Bestellung nannte: Zehn Milliliter Cannabisöl sollen 260 Euro kosten, täglich benötigt sie eineinhalb Milliliter. Das sei unerschwinglich und dränge auch die medizinische Kundschaft wieder nur in den Schwarzmarkt, wo das viel "billiger" sei. Sie habe das Glück, dass ihr "eine Freundin das Öl aus Holland mitbringt", da gebe es 30 Milliliter für 56 Euro. 39 Euro pro Tag via Apotheke oder 2,80 Euro via Holland, das ist schon ein Unterschied.

Natürlich widmet sich die Messe mit ihren - so der Veranstalter - "knapp 5000 Besuchern" auch anderen Aspekten des Hanfes. "Der ist früher bei uns wie Brennnessel gewachsen", sagt beispielsweise Petra Rusch, die aus der eigentlich zähen Faser erstaunlich weichen "Hanfjersey" webt und sogar Hanf-Unterwäsche und BHs im Angebot hat. 39 Euro kostet so eine "Bux" bei ihrem Label "cannamodo", und eigentlich müsste die kuttenfreudige Mittelalter-Fraktion mit ihrer zeitlosen, veganen und kompostierbaren Mode glücklich werden. Oder schreibfreudige Ökos mit dem wiederverwendbaren Textil-Briefkuvert aus Hanf (sechs bis acht Euro).

Eher spacig in hellem weißen und blauem Licht tritt hingegen ein dänischer Hersteller von Hanföl auf und preist seine Cannabisöl-haltigen Kaugummis an. Wer doch mehr zum Eigenanbau tendieren sollte, obwohl hierzulande verboten, für den hat Alexander Schmidt aus Berlin an seinem Stand "Väterchen Frost" ausgestellt, einen rund 700 Euro teuren "Pflanzkühlschrank" mit LED-Licht, Lüftung, digitaler Temperatursteuerung und Aktiv-Kohlefilter, weil ja doch manche Pflanze recht stark duften soll. Das Ausstellungsstück hat ziemliche Gebrauchsspuren - "Väterchen Frost" wird aus "upgecycelten" Gebrauchtkühlschränken hergestellt. "Den in den Keller gestellt, ein paar Gartengeräte davor, das müsste passen", sagt Schmidt und grinst unter seiner Rastafrisur.

Tja, und wer dann noch wissen möchte, wie das mit der Freigabe von Cannabis und den Apothekenpreisen weitergehen soll, der kann am Ende bei "Cannabis XXL" auch noch in einem dunklen Zelt in der Messehalle vorbeischauen und, vielleicht mit einer Hanflimonade in der Hand, ganz entspannt einen "Blick in die Zukunft mit Xenia" riskieren.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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