Rockavaria im Olympiapark:Entspannte Dröhnung

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Die Musik ist hart in allen Schattierungen, die Besucher dagegen sind gesitteter als bei so manch anderem Festival. Eines zeigen alle Eindrücke: München ist speziell

Von Geraldine Oetken, Michael Zirnstein und Dominik Hutter

Zehntausende Rock-Fans aus ganz Deutschland haben drei Tage lang friedlich das zweite Rockavaria im Olympiapark gefeiert. Die musikalische Ausrichtung des jungen Festivals blieb die selbe: so hart wie möglich in allen Schattierungen. Punk von einem bestens gelaunten Iggy Pop, klassischer Heavy Metal von Iron Maiden bis zur vollen Dröhnung mit den Thrash-Metal-Haudegen Slayer. Die Veranstalter haben das Programm im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 45 Bands zurückgefahren, die Olympiahalle wurde nicht mehr bespielt. Dafür gab es beim Open-Air eine neue Bühne im Olympiasee, mit mehr Plätzen auf den Grasterrassen, die bei den Gästen prima ankam. Auf der großen Doppelbühne im Stadion wechselten die Konzerte im Pingpong-Verfahren ohne Umbaupause hin und her - allerdings gab es am Sonntag eine Unterbrechung, der Innenraum des Stadions wurde wegen eines drohenden Unwetters kurz geräumt und der Betrieb auf der Seebühne zwischendurch eingestellt. Der Veranstalter verhandelt bereits mit der Olympiapark GmbH und Bands für das dritte Rockavaria 2017.

Echte Rockerbraut

Pinke Glitzer-Hütchen tanzen über der Menge der schwarzen T-Shirts. Das sind keine Überreste vom Auftakt der "Rosa Armee Fraktion" J.B.O. aus Erlangen, das ist ein Junggesellinnen-Abschied aus Markt Indersdorf. Katharina wollte für den Frauentag etwas Besonderes: ein Festival, fest in Männerhand. Die Braut Franzi, im Gewimmel markiert mit weißem Schleier, mag halt Rock, gerne deutschsprachig: J.B.O., und vor allem In Extremo. Ein paar männliche Rock-Fans haben auch schon brav wie gefordert Löcher in das pinke T-Shirt der Braut geschnitten.

Typisch München

Im Labyrinth des Olympiastadions weisen Schilder den Weg zu den Aufenthaltsräumen der Bands: Suicidal Tendencies, Dust Bolt, Kanzler & Söhne . . . In einem Ledersessel am Gang fläzt Michael Robert Rhein, genannt "Das letzte Einhorn". Er grüßt alle - die meisten Musikerfreunde - mit "Moin". Es ist 18 Uhr, zwei Stunden vor seinem Auftritt. Das Einhorn ist gelassen, kennt das Spiel. Seine Band gibt oft den Headliner. In Extremo spielen seit 20 Jahren sehr erfolgreich eine Art Heavy-Metal-Punk mit elektrischen Rock-Instrumenten und mittelalterlichem Gerät, in etwa wie Die Toten Hosen mit Dudelsäcken. Sie werden für die so genannten "Fledermaus"-Festivals, also Gothic-Events, ebenso gebucht wie für Rock-Open-Airs. "Und für Tollwood hier gleich ums Eck", sagt der Berliner Sänger und Zister-Spieler, "da gefällt's mir besonders gut." Vielleicht, weil da so viele Zelte stehen. Jedenfalls findet er es seltsam, dass man bei Rockavaria nicht campt. Er besucht jedes Jahr den Summer-Jam in Köln, "da stehe ich drei Tage in der dritten Reihe und mache auf Rastafari. Nachts hänge ich mit irgendwelchen Verrückten am Zeltplatz ab, das ist geil, das macht doch so ein Festival aus, dass du da drei Tage lang freidrehen kannst." Klar, er finde es auch klasse, dass sich das zeltlose, brave Rockavaria etabliert habe. "So etwas funktioniert nur in einer Stadt wie München."

Kritische Heimschläfer

Überhaupt ist München nicht Wacken. Das Festival dort ist sozusagen das Oktoberfest des Heavy Metal. "Metal ist das hier teilweise", sagt Volker und blickt hinüber auf die Hauptbühne im Olympiastadion, wo gerade Apocalyptica ihre Cellos beackern, "aber Wacken ist schon das Wahre". Einen Vorteil hätte Rockavaria aber. Er und seine Begleiter seien Heimschläfer, sie können im eigenen, weichen Bett schlafen. "Und ab einem gewissen Alter ist das wichtig", sagt er und schielt auf die grauen Schläfen in seiner Runde. Sein Kumpel namens Maggi nickt und beißt beherzt in eine Breze. Er war bei der Rockavaria-Premiere 2015 dabei, sein T-Shirt mit den alten Headlinern Muse, Metallica und Kiss dient als Souvenir und Beweis. Heuer findet er das Line-Up etwas mau. "Ich meine, Iggy Pop, der spielt am Samstagabend, der ist doch eher Kuschelrocker" sagt er. Iron Maiden, darauf freut er sich, aber die spielen erst am Sonntag. Maggi übt noch weitere Kritik: Das Konzept mit der Doppelbühne und dem nahtlosen Übergang von Konzert zu Konzert überzeugt ihn wenig. "So hat man keine Pause, man verpasst immer etwas, wenn man sich kurz hinsetzen will". Und im vergangenen Jahr kamen 60 statt nur 45 Bands, da konnte man auch ruhig ein paar verpassen. "Jetzt braucht das Festival-Feeling ein bisschen, um anzukommen", sagt Volker. "Das ist halt Business hier", antwortet Maggi. Die Männerrunde nickt.

Teurer Spaß

Eine Frau mit blondem Zopf und Sonnenbrille im Haar lehnt sich über Vergils Bauchladen. Vergil ist Medizinstudent, in seinem Nebenjob arbeitet er in der Olympiahalle beim Ausschank. Heute verkauft er Caipirinha und Cola-Rum. "Einen Caipi bitte, aber mit wenig Eis", sagt die blonde Zopffrau. Bei Rock-Festival laufen die Cocktails nicht so gut. In den vergangenen zwei Stunden hat Vergil nur fünf Drinks verkauft, trotz prima Sommerwetter. Die Rocker trinken Bier, oder es liegt vielleicht doch am Geld. "14 Euro mit Pfand, bitte". Die Frau schimpft, zu teuer, viel zu teuer, aber dann nimmt sie doch einen Cocktail. Rock ist eigentlich schon Vergils Sache. "Am liebsten würde ich hier Rammstein sehen", sagt er. Die treten beim Rockavaria-Partnerfest in Wien auf, in Süddeutschland spielen sie nur auf dem Southside.

Joggende Musiker

Die Musiker von Apocalyptica sind zu bedauern. Während die Sonne scheint, warten Eicca Toppinen und Mikko Siren in einem fensterlosen Raum in den Katakomben des Stadions. Der Getränkekühlschrank ist leer. "Schon in Ordnung", sagt Toppinen, klassisch ausgebildeter Cellist, "wir haben noch ein anderes Zimmer, da ist alles da." Nur die Rohre hätten vorhin beim Duschen schreckliche Geräusche gemacht. "Na ja, die Installation ist aus den Siebzigern." Ansonsten lieben sie das Olympiastadion, wegen der Architektur, aber auch weil das "ein historischer Ort für die Finnen" sei. Lasse Viren gewann hier 1972 den olympischen 10 000-Meter-Lauf. "Er war gestürzt und rollte das Feld von hinten auf. Eine Legende." Versteht sich, dass die Cello-Rock-Pioniere vorhin joggen waren. "Du musst raus aus dem Backstage, sonst drehst du durch. In München mag ich besonders den Luitpold-Park mit seinen vielen verschlungenen Wegen", sagt Siren. Der Schlagzeuger hat noch rote Laufhosen an. Jetzt freut er sich aufs Publikum: "Bei Metal-Festivals haben die Leute das beste Benehmen, es gibt nie Ärger." Dabei war für den Cello-Rock-Erfinder Toppinen der frühe Heavy Metal stets die Fortführung des Punk: "Kompromisslos, gegen alle bestehenden Formen." Also das genaue Gegenteil von dem auch bisweilen rockenden Star-Geiger David Garrett. "Rock macht der nicht", findet der ebenso langhaarige Toppinen, "der geht auf Nummer sicher, das ist lahm. Er spielt eher für ein Schlagerpublikum - Hansi Hinterseer." Sie kennen den echt! Zeit für die Bühne.

Stagediving in Badehose

Volksmusik können sie hier auch, aber nur als Verkleidung. Alle Musiker der österreichischen "Alpencore"-Band Tuxedoo tragen Lederhose beim Konzert auf der Seebühne. Nur der eine nicht, der in der roten Badehose. Als ein abgerockter, langhaariger, bierbäuchiger David Hasselhoff springt er mit einer Rettungsboje in der Hand in die Menge, Stage-Diving, lässt sich auf Händen tragen. Gleich drauf lässt er ein Olympiasee-Diving folgen, dann wirft er für die Fotografen seine langen Haare nach hinten.

Sightseeing im Polo-Hemd

Langsam drückt sich Patrick Ketchup auf seinen Burger, presst die Brötchenhälften fest zusammen. Als einer der wenigen trägt er kein schwarzes Metal-Shirt, sondern ein blaues Polo-Hemd. Er kommt aus Pforzheim, das Wochenende beim Rockavaria hat er einem Kumpel zum Geburtstag geschenkt: München-Sightseeing plus Rock. "Vor allem sind wir wegen Iron Maiden hier", sagt Patrick. Vormittags wollen sie sich München anschauen, aber vor allem: die Ed Force One, den Jumbo-Jet von Iron Maiden am Flughafen. Und auch, wenn das Ticket mit den 160 Euro für das Festival nicht günstig sei, "für die Bands, die es hier zu sehen gibt, ist das super".

Prachtvolle Seebühne

Es ist schon dunkel an der Seebühne. Die Neunziger-Jahre-Crossover-Helden Dog Eat Dog rumpeln. Und Thore fabuliert über Rock-Festivals. "Ich vermisse ja auch die Typen im vollgekotzten Bunny-Kostüm, die einen anspringen. Aber die Seebühne, der Anblick ist schon prachtvoll", sagt er und schlürft seinen Longdrink mit einem Strohhalm. Außerdem sei die Bühne frei zugänglich, eine Verbesserung zum vergangenen Jahr, wo nur 4000 Leute zur Bühne am Theatron gelassen wurden. Damals sei ein richtig gutes Mittelfeld-Programm neben den Headlinern abgegangen, da wollten alle hin - aber viele kamen nicht mehr hinein. Jetzt sei zwar die Bühne besser, aber das Programm nicht mehr so prall. Thore und sein Freund Malte sind aus Hamburg eingeflogen und schlafen bei Thores Schwiegermama, da sei für alles gesorgt. "Hier gibt es auch die Münchner Biergartenkultur zum Gitarrengeschrammel dazu", freut sich Malte und zählt gewissenhaft auf, was er schon verzehrt hat: Laugensemmel, Schnitzel, Obazda, dazu viel Bier.

Brave Besucher

Der Alkoholkonsum lässt die Besucher des Festivals aber nicht über die Stränge schlagen, aus Sicht der Polizei ging es bei Rockavaria brav zu. An den ersten beiden Festivaltagen wurden 16 Besucher wegen Drogenbesitzes festgenommen. Am Samstag gegen 23.30 Uhr sorgte ein für Aufregung - er war im Olympiasee zum Schwimmen gegangen. Polizei und Feuerwehr berieten, ob ein Rettungseinsatz notwendig sei, Zeugen wurden befragt. Passiert ist letztlich nichts, der nächtliche Wassersportler konnte unerkannt entkommen.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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