Referent Rainer Schweppe:Eine Stunde mit 90 Minuten

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Zwei neue "Stadtminister" treten ihr Amt an. Einer davon ist Schulreferent Rainer Schweppe, der in Herford die Schulen reformiert hat - und sich jetzt in München beweisen will.

Tina Baier

Als Rainer Schweppe den Anruf aus München bekam, war ihm vom Kopf her sofort klar: "Das will ich machen." "Der Bauch hat etwas länger gebraucht", sagt er. Schließlich muss der 56-Jährige in Herford, wo er 20 Jahre mit seiner Familie gelebt hat, mehr zurücklassen als seine Stelle als Leiter des Schulamts. Sein Häuschen, das jetzt vermietet ist, Freunde, langjährige Arbeitskollegen und vor allem seine vier Kinder: Seine beiden Töchter Dörte und Astrid aus erster Ehe und seine Söhne Fabian und Lukas wohnen alle in der Nähe der ostwestfälischen Kleinstadt. Zwar sind sie erwachsen, der jüngste Sohn, Lukas, ist 22 und studiert an der Universität in Bielefeld. Trotzdem ist es Schweppe schwergefallen, so weit wegzuziehen. Ohne seine Frau wäre er nicht gegangen. Sie hat lange überlegt, ob sie sich auf das Abenteuer München einlassen soll. "Für sie war die Entscheidung viel schwieriger als für mich", sagt Schweppe. Schließlich musste sie in Herford eine gute Stelle aufgeben und muss sich jetzt in München eine neue Arbeit suchen.

Rainer Schweppe will den Ausbau der Ganztagsbetreuung in München vorantreiben. In seinen Aufgabenbereich fallen von 2011 an auch die Kinderkrippen. (Foto: Stephan Rumpf)

Jetzt sind beide seit einer Woche hier, in ihrer neuen Wohnung in Sendling und stecken noch mitten im Umzugschaos. "Wenn wir nicht gerade im Obi sind, sind wir viel unterwegs und versuchen, uns München und die Umgebung zu erobern", sagt Schweppe. Eine Tanzschule, wo ihre Lieblingstänze Walzer, Foxtrott, Quickstep und Slowfox unterrichtet werden, ist schon gefunden. Ein bisschen kommt sich Rainer Schweppe noch vor, als wäre er im Urlaub.

Doch über seine neue Arbeit als Chef des Münchner Schulreferats hat er sich schon lange Gedanken gemacht. Vor drei Jahren hat er eine ähnliche Stelle angeboten bekommen, in einer Stadt nicht ganz so groß wie München, aber deutlich größer als Herford. Damals hat er abgelehnt. Der Anruf erreichte ihn in einem ungünstigen Moment auf dem Geburtstag seiner Mutter. "Ich habe kalte Füße bekommen", sagt er ehrlich. Doch innerlich hat er sich seitdem mit dem Gedanken beschäftigt, seine Erfahrungen aus Herford in einer größeren Stadt zu erproben. Dass München, wo es zwanzig Mal so viele Schüler und Schülerinnen gibt wie in Herford, eine Herausforderung für ihn ist, gibt er offen zu. "Man kann den Leuten ja nichts vormachen", sagt er. "Ich will die Menschen mitnehmen und da muss ich authentisch sein."

Dabei braucht sich Rainer Schweppe nicht zu verstecken: Sein Modell der Offenen Ganztagsschule in Herford haben sich viele Städte in ganz Deutschland zum Vorbild genommen. Auch in München wird es einer seiner Schwerpunkte sein, die Ganztagsbetreuung weiter auszubauen. "Und zwar bei den Krippen und bei allen Schularten."

Unter einer Ganztagsschule versteht Schweppe nicht nur, dass die Kinder auch am Nachmittag betreut werden, er verbindet ein pädagogisches Konzept damit: So gibt es in den Herforder Schulen nicht den hektischen 45 Minuten Rhythmus wie an den meisten Münchner Schulen, sondern einen 90 Minuten-Rhythmus. "Dadurch hat sich auch der Unterricht verändert", sagt Schweppe. Denn weder Lehrer noch Schüler halten 90 Minuten Frontalunterricht aus. Die Lehrer sind offener für freiere Unterrichtsformen geworden und haben von der Stadt auch die Freiheiten bekommen, ihren Unterricht individuell zu gestalten.

In Herford hat sich Schweppe viel damit beschäftigt, wie die Räume in einer Schule aussehen müssen, damit sich Kinder dort den ganzen Tag lang wohlfühlen. Einige Schulen wurden nach den Vorstellungen des Paderborner Schulpädagogen Wilfried Buddensiek umgebaut: Um ein Forum sind vier Klassenzimmer angeordnet, die durch hohe Fenster einsehbar sind. Jeder Klassenraum hat eine eigene Toilette. Es gibt Nischen, in die sich Kleingruppen zurückziehen können. Nach den ersten Umbauten sagten Kinder ihrer Lehrerin, in der neuen Klasse sei es schöner als zu Hause im Wohnzimmer.

Doch Herford ist nicht München, wo Stadt und Freistaat in puncto Schulpolitik im Dauer-Clinch liegen. Die Einflussmöglichkeiten des Schulreferats sind begrenzt, da beispielsweise die Grundschulen in München staatlich sind. Rainer Schweppe weiß, dass er Mitstreiter bei Eltern, Lehrern und in der Politik braucht, um seine Ideen durchzusetzen. Ein bisschen ist es vielleicht wie mit dem Starnberger See, auf dem er mit seiner Frau schon im Kanadier unterwegs war, und wie mit der reißenden Isar, die er erst befahren will, wenn seine Söhne zur Verstärkung aus Herford angereist sind.

Allerdings macht er nicht den Eindruck, dass er mit den Herausforderungen lange warten will.

Sein beruflicher Terminkalender ist randvoll. Und in Herford hat er einige Neuerungen von heute auf morgen eingeführt. Die Söhne kommen auch schon nächstes Wochenende.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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