Reaktionen im Internet:Keine Panik

Lesezeit: 2 min

In den sozialen Netzwerken blieb es in der Nacht ruhig, die meisten Münchner wussten offensichtlich Bescheid. Das Social-Media-Team der Polizei hat trotzdem den Ernstfall geprobt

Von Jana Stegemann, München

Die sogenannten Fake News gibt es in dieser Nacht nicht im Netz - sondern leicht gelallt in der Arnulfstraße, im Dunkeln direkt hinter den Absperrgittern. Es ist spät, der eine oder andere Schaulustige am Münchner Hauptbahnhof hat schon einen erhöhten Promillewert. Einer behauptet, die Anti-Terror-Übung habe "Merkel persönlich angewiesen, um etwas sehr viel Schlimmeres zu vertuschen". Ein anderer äußert vor dem nächsten Schluck Bier weitere Verschwörungstheorien.

In den sozialen Medien dagegen bleibt es ruhig. Wer jemals während eines Anschlags in Echtzeit Facebook oder Twitter verfolgt hat, weiß, dass beide Netzwerke zu Brandbeschleunigern werden können, zu gefährlichen Informationslawinen, in denen Fakten und Fiktion gleichermaßen auf den User einprasseln. Es gibt dann kaum mehr Orientierung, nur eine unaufhörliche Flut an Gleichzeitigkeit, Atemlosigkeit und sehr viel Wahnsinn. In dieser Nacht in München ist das anders. Von Panik im Netz keine Spur, trotz einer sehr realistischen, einstündigen Geräuschkulisse aus Schüssen, Schreien und Explosionen im Herzen der Stadt. Die Münchner wurden im Vorfeld offensichtlich ausreichend informiert, dass die Angreifer ihre Attacke nur spielen.

Welche Folgen eine Panik im Netz haben kann, zeigte sich am 22. Juli 2016, als der 18-jährige David S. am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen ermordete. In jener Nacht verletzten sich 32 Menschen auf der Flucht vor Gefahren, die es tatsächlich gar nicht gegeben hatte. Verängstigte Münchner wählten zu Hunderten den Notruf, berichteten von 70 Tatorten in der ganzen Stadt, von zwei Geiselnahmen, die nie stattfanden. Die Polizei sprach danach von "Phantomtatorten". Sie hatte selbst zu einem Zeitpunkt, als der Attentäter seit Stunden tot war, auf Twitter geschrieben: "Gerüchte um eine Schießerei in der City bekannt. Die Lage ist noch unklar."

Beim Übungseinsatz im April 2018 wird der Ernstfall daher auch im Netz geprobt. Die Einsatzleitung streut unter den Einsatzkräften zwischen Mitternacht und 3.40 Uhr per Notruf und in den sozialen Netzwerken 1500 Meldungen, Hinweise und Anrufe. Einige von ihnen enthalten bewusst falsche Informationen, immerhin sind Zeugen im Katastrophenfall oft unzuverlässig. Die Einsatzkräfte müssen Gerüchte erkennen und von tatsächlichen Hinweisen unterscheiden. Nach der Übung erzählt Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins, dass mit von der Polizei betriebenen Schattenaccounts 700 Hinweise auf Twitter platziert worden seien - ohne Hashtag und für Außenstehende fast nicht zu sehen. Zwei Kollegen, die in dieser Nacht den Übungs-Social-Media-Dienst hatten, mussten diese finden und auswerten. Unterstützt hat sie dabei das Social-Media-Team der Polizei Mittelfranken. Auf ihrem tatsächlichen Twitter-Account präsentierte die Münchner Polizei indessen das Foto eines fröhlichen dreiköpfigen Social-Media-Teams von Feuerwehr, Polizei und Bundespolizei, das locker durch die Nacht führte.

Polizeipräsident Hubertus Andrä wird hinterher sagen, dass die Situation natürlich eine andere als nach dem Anschlag am OEZ gewesen sei, "weil wir schon im Vorfeld intensiv darüber berichtet haben, dass es sich um eine Übung und nicht um einen Echteinsatz handelt". Fakt sei aber auch, dass ein Luftballon, der vor Kurzem in der Halle am Hauptbahnhof explodiert sei, Panikreaktionen ausgelöst habe. Da Gloria Martins und Social-Media-Chef Oliver Timper sind daher morgens kurz vor 4 Uhr erleichtert, weil die Übung in einem Punkt so gar nicht realitätsnah war: Man habe den Einsatz durchgeführt, ohne die Münchner zu erschrecken.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: