Prozess:"Wir haben das Entsetzen nie überwunden"

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Der Prozess gegen Josef Scheungraber geht in eine letzte Phase: Die Angehörigen der Opfer reden, der mutmaßliche Kriegsverbrecher schweigt.

A. Krug

Mit einem bewegenden Manifest der Nebenkläger ist der Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef Scheungraber, 90, in seine letzte Phase gegangen. Rechtsanwältin Gabriele Heinecke verlas am Freitag im Schwurgericht einige Aussagen von Angehörigen der 14 Zivilisten, die im Juni 1944 im italienischen Falzano di Cortona von Wehrmachtssoldaten ermordet wurden.

Der wegen 14-fachen Mordes angeklagte Josef Scheungraber im Schwurgericht. (Foto: Foto: ddp)

Sie wollten keine Rache, aber Gerechtigkeit, lautet der einhellige Wunsch der noch heute traumatisierten Hinterbliebenen. Nach mehr als achtmonatiger Verhandlungsdauer schloss die Kammer die Beweisaufnahme, am 18. Juni wird das Plädoyer der Staatsanwaltschaft erwartet.

Völlige Stille herrschte im nur mit einer Handvoll Zuhörern besetzten Sitzungssaal, als Heinecke die Aussagen von vier Töchtern der Opfer verlas. Damals, im Juni 1944, waren es vor allem einfache Bauern und Familienväter, die von den Deutschen als Vergeltung für einen Partisanenangriff getötet wurden.

"Wir konnten es nie schaffen, das Entsetzen zu überwinden", meint Bruna Zampagni, 74, die bei dem Massaker ihren Vater verlor. Die ganze Familie habe nach seiner Ermordung nicht mehr ins normale Leben zurückgefunden, eine Schwester sei "dauerhaft depressiv", ein Bruder leide unter "unendlicher Traurigkeit".

Antoinetta Donati, heute 67 Jahre alt, erzählt von ihrer Mutter, die ein Leben lang um ihren Mann trauerte und jahrelang sein Hemd mit den Einschusslöchern aufbewahrte und wie eine Reliquie verehrte. "Mama hat bis zu ihrem Lebensende nur Witwenkleidung getragen", sagt die Tochter. "Sie hat immer wieder erzählt, wie die Deutschen da standen, die Gewehre im Anschlag, und sie hat ihren Mann weglaufen und dann tot gesehen." Besonders tragisch: Ihr Vater habe sich damals im Wald versteckt gehabt und sei nur ins Dorf zurückgekehrt, weil er Angst um seine schwangere Frau gehabt habe.

Ein anderes Opfer, der junge Guido Trasenni, war damals ebenfalls vor den Deutschen geflüchtet, dann aber in Sorge um seine neuen, bei einem Dorfschuster aufbewahrten Schuhe, wieder zurückgekommen. "Die Soldaten haben ihn mitgenommen und zusammen mit meinem Vater getötet", sagt Gelasia Trasenni, heute 72 Jahre alt. "Ich habe meinen Vater und meinen Bruder sehr vermisst, und ich habe mir immer vorgestellt, wie leicht mein Leben gewesen wäre, wenn sie nicht umgebracht worden wären."

Emma Sassini, jüngste von fünf Geschwistern, verlor damals ebenfalls ihren Vater. Er war einer jener Zivilisten, die von den deutschen Soldaten in ein Bauernhaus gesperrt wurden, das dann in die Luft gesprengt wurde. Emma Sassini, damals 17 Jahre alt, fand ihren Vater in den Trümmern. "Man konnte ihn noch erkennen", sagt sie.

Sie selbst sei danach depressiv geworden und habe sich zurückgezogen. Von dem Prozess in München erwarte sie Gerechtigkeit: "Ich bin durch diese Sache in meinem Leben nicht mehr richtig glücklich geworden."

Der Ottobrunner Josef Scheungraber soll damals als junger Leutnant und Kompanieführer den Befehl zu dem Blutbad gegeben haben. Die Anklage lautet auf 14-fachen Mord. Er bestreitet das. Sein Anwalt Klaus Goebel beklagte am Freitag, dass sein Mandant einem "erheblichen Psychoterror" ausgesetzt sei. Unbekannte würden ihn sogar bis in seinen Urlaubsort verfolgen.

Konkretere Angaben machte Goebel nicht. Entgegen einer früheren Ankündigung der Anwälte machte der Angeklagte am Freitag selbst doch keine Angaben zur Person. Goebel beließ es bei einigen dürren Daten zum Lebenslauf seines Mandanten.

Die Angehörigen der Opfer wollen das Urteil in München abwarten, bevor sie zivilrechtliche Schritte einleiten. Ihre Klagen auf Schadensersatz wollen sie aber in jedem Fall bei italienischen Gerichten einreichen.

© SZ vom 30.05.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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