Prozess um Visumspflicht:Ohne Stempel keine Gastfreundschaft

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Eine türkische Geschäftsfrau verpasst ihren Anschlussflug und will in München im Hotel übernachten. Doch Bundespolizisten versperren ihr den Weg: Sie hat kein Visum und darf deshalb nicht einreisen. Nun muss ein Gericht über den Fall entscheiden.

Von Christian Rost, München

Eine türkische Geschäftsfrau ist auf der Durchreise äußerst unfreundlich in München behandelt worden. Sie kam am 29. September 2009 mit einem Flugzeug aus Los Angeles verspätet an und verpasste den Anschlussflug nach Istanbul. Als die Frau die Nacht dann im Kempinski verbringen wollte, versperrten ihr Bundespolizisten den Weg: Sie habe kein Visum und dürfe deshalb nicht einreisen, beschieden ihr die Beamten. Die Türkin musste im Transitbereich übernachten, was sie sich nicht gefallen ließ: Sie verklagte die Bundespolizei und damit die Bundesrepublik Deutschland.

Am Montag beschäftigte sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit dem Fall. In erster Instanz hatte das Münchner Verwaltungsgericht der Frau Recht gegeben und festgestellt, dass auch türkische Touristen für bis zu drei Monate ohne Visum und Aufenthaltserlaubnis in die Bundesrepublik einreisen dürfen. Gegen diese Entscheidung hat der Bund Berufung eingelegt, weshalb nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof an der Reihe ist.

Generell gilt seit 1980 die Visumspflicht für Türken, die nach Deutschland kommen. Es gibt aber Ausnahmen: Gemäß einem Abkommen der EU mit der Türkei brauchen Türken, die aus beruflichen Gründen nach Deutschland reisen, kein Visum. Für sie gilt die sogenannte aktive Dienstleistungsfreiheit.

Verwaltungsgerichtshof will im Laufe der Woche entscheiden

Der Anwalt der klagenden Geschäftsfrau, Temel Nal, pocht darauf, dass auch für Touristen diese Freiheit gelten müsse, weil sie Dienstleistungsempfänger seien. Diese sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit sei ebenfalls von dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei gedeckt. Die Anwältin der Bundespolizei und ein Vertreter der Landesanwaltschaft Bayern sehen das anders. Sie verweisen auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der einem Türken, der als Tourist in Deutschland war, keine Visumfreiheit zubilligte.

Der Mann hatte argumentiert, er sei bei seinem Verwandtenbesuch mit der Straßenbahn gefahren und ins Kino gegangen - und habe damit Dienstleistungen in Anspruch genommen. Solche Fälle sind laut EuGH aber nicht vom Freizügigkeitsabkommen gedeckt. Dieses setze eine wirtschaftliche Tätigkeit des Betreffenden bei der Einreise voraus.

Für den Vertreter der Landesanwaltschaft gilt der Richterspruch auch für die Geschäftsfrau. Deren Anwalt Nal glaubt das nicht. Seine Mandantin sei in ihrer Situation quasi gezwungen gewesen, touristische Dienstleistungen in der BRD in Anspruch zu nehmen. Und das sei vom Freizügigkeitsabkommen gedeckt. Nal regte an, den Fall zur Klarstellung an den EuGH zu verweisen, der Landesanwalt und die Anwältin der Bundespolizei lehnten das ab.

Kurios ist an dem Fall, dass die Bundespolizei laut Rechtsanwalt Nal in Notfällen durchaus Kurzzeitvisa für in München gestrandete Fluggäste ausgebe, damit diese in einem Hotel übernachten könnten. Warum seine Mandantin anders behandelt wurde, ist Nal ein Rätsel. Bis ins Jahr 1990, als das neue Ausländergesetz eingeführt wurde, waren Tagesvisa oder Passierscheine sogar obligatorisch.

Der Verwaltungsgerichtshof will im Laufe der Woche über den Fall der Geschäftsfrau entscheiden.

© SZ vom 05.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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