Prozess um Kriegsverbrechen:Protokolle des Grauens

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Der Kronzeuge belastet den Angeklagten: Der ehemalige Melder bezichtigt seinen Kompaniechef, Massaker an Zivilisten befohlen zu haben.

Alexander Krug

Er gilt als der Kronzeuge der Anklage, seine Aussagen belasten den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef Scheungraber, 90, schwer. Doch es gibt ein Problem: Der Zeuge Josef M. ist für das Verfahren im Schwurgericht nicht greifbar. Denn der 85-Jährige ist österreichischer Staatsbürger, zudem schwer krank und lebt inzwischen in einem Altenheim mit 24-Stunden-Pflege.

Angeklagt wegen 14-fachen Mordes ist der Ex-Leutnant Josef Scheungraber. (Foto: Foto: Haas)

Sein Gesundheitszustand habe sich "dramatisch verschlechtert" heißt es in einem Attest. Vorher aber hat der ehemalige Wehrmachtssoldat noch eine Art Lebensbeichte ablegt. Am Freitag wurde das Protokoll im Gericht verlesen.

Der ehemalige Gebirgsjäger-Leutnant Scheungraber ist wegen 14-fachen Mordes angeklagt. Er soll im Juni 1944 im italienischen Falzano di Cortona in der Toskana ein Massaker befohlen haben, bei dem 14 Zivilisten getötet wurden. Zeuge Josef M. war damals einfacher Melder beim Gebirgs-Pionier-Bataillon 818, das den deutschen Rückzug sichern sollte.

Sein Zugführer sei damals Scheungraber gewesen, so der Zeuge - offenbar eine Verwechslung, denn Scheungraber war zu diesem Zeitpunkt bereits Kompaniechef. Er könne sich noch daran erinnern, wie seine Einheit nach einem Partisanenüberfall sämtliche Häuser in Falzano in Schutt und Asche gelegt habe. Zuletzt seien zehn Familienväter in ein Bauernhaus gesperrt worden, das dann in die Luft gesprengt wurde. Die Gefangenen hätten vor der Explosion noch gebetet, das wisse er von Kameraden. Die Vergeltungsmaßnahme sei vom Kompanieführer befohlen und vom Zugführer "vor Ort" überwacht worden.

Zeuge Josef M. konnte sich auch noch an andere Details erinnern, die den hochdekorierten Ex-Leutnant Scheungraber in einem anderen Licht zeigen. Wenige Tage nach der Sprengung habe es einen neuerlichen Partisanenangriff gegeben, bei dem ein deutscher Soldat getötet wurde. Er sei mit Scheungraber zur Bergung des Toten gefahren. Kurz vor der Stelle habe ihm Scheungraber befohlen, auszusteigen und voranzugehen. "Im Falle eines Heckenschützen wäre ich dann zuerst beschossen worden", bemerkte Josef M. offenbar nicht ohne Groll.

Das Protokoll der Aussage des Zeugen Josef M., die am 6. September vorigen Jahres von Beamten des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung aufgenommen wurde, weist einige Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten auf. Da Nachfragen an den Zeugen nicht möglich sind, liegt es an den Richtern, wie sie das Beweismittel bewerten und einordnen.

Verlesen wurde am Freitag auch ein weiteres Dokument des Grauens: Marino Z., 80 Jahre alt und ebenfalls nicht mehr vernehmungsfähig, schildert darin, wie er als 16-Jähriger in Falzano Augenzeuge des Massakers wurde. Er sei zunächst selbst als Opfer ausgewählt worden, habe dann im "Durcheinander" aber fliehen können. Marino Z. berichtet auch, dass die überlebenden Dorfbewohner nach dem Massaker "einen Groll gegen die Partisanen" gehegt hätten. Denn diese hätten mit ihrem Überfall den Vergeltungsschlag der Deutschen nicht nur provoziert. Sie, die Partisanen, hätten sich nach der ersten Attacke auch aus dem Staub gemacht, ohne den Gefangenen zu Hilfe zu eilen.

Die Strafkammer will den Prozess nächste Woche fortsetzen. Am Donnerstag werden die Gutachten der Historiker Carlo Gentile aus Köln und Peter Lieb von der Militärakademie in Sandhurst erwartet.

© SZ vom 31.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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