Prozess um Aids-Erkrankung:Folgenschwere Lüge im Bett

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Ein Münchner muss 115 000 Euro Schmerzensgeld an seine Ex-Freundin zahlen, weil er sie mit HIV infiziert hatte. Die Frau war von einem negativen Test ausgegangen, doch den hatte der Mann gar nicht gemacht

Von Ekkehard Müller-Jentsch, München

Ein Münchner muss seiner früheren Freundin 115 000 Euro Schmerzensgeld bezahlen, weil er sie mit dem HI-Virus infiziert hat. Das hat die 23. Zivilkammer am Landgericht München I am Mittwoch entschieden. Das Gericht geht in seinem Urteil zwar davon aus, dass der Mann nicht vorsätzlich, sondern fahrlässig gehandelt hatte. Dennoch setzte es ein so hohes Schmerzensgeld fest - und betonte, dass dieser Betrag in Zukunft sogar noch höher werden könnte. Denn die weitere Entwicklung der Immunschwächekrankheit sei derzeit nicht zu überblicken.

Prozesse wegen einer Infizierung mit dem HI-Virus gibt es häufiger, auch harte Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung sowie Entscheidungen für hohe Schmerzensgeldzahlungen. Strafmaß und Geldsumme fielen insbesondere immer dann hoch aus, wenn die Angeklagten ihre Sexualpartner im Wissen um die eigene Erkrankung vorsätzlich angesteckt hatten. Der jüngste Fall liegt aber anders: Der Mann behauptet, von seiner Erkrankung gar nichts gewusst zu haben. Seiner Partnerin hatte er aber von einem negativen HIV-Test erzählt.

Die beiden hatten sich im März 2012 kennengelernt. In der zunächst freundschaftlichen Beziehung berichtete der Mann, dass seine frühere Freundin an einer Immunschwächekrankheit gestorben sei. Als man sich nach geraumer Zeit näher kam, bestand seine neue Freundin deshalb auf einen HIV-Test: Sie wies den Mann an, sich von einem Urologen "durchchecken" zu lassen. Die Frau begründete das mit dem Umstand, dass sie gegen Kondome allergisch sei und deshalb nur ungeschützten Geschlechtsverkehr vollziehen könne. Der Mann übergab ihr in einem Briefumschlag dann auch einen Arztbericht und sagte, alles sei okay. Dass er sich zwar untersuchen, nicht aber auf HIV hatte testen lassen, verschwieg er der neuen Partnerin jedoch.

Dreimal schliefen die beiden miteinander. Schon sehr bald bekam die Frau starke Blutungen, Schmerzen, Brechdurchfall und hohes Fieber. Sie kam in eine Klinik, wo sie Blackouts, Reizhusten und Schwindel erlitt - fast wäre sie an einem Multiorganversagen gestorben. Schließlich stellten die Ärzte fest, dass ihre Patientin mit dem HI-Virus infiziert sei.

Die Betroffene verklagte den Mann. Vor Gericht schilderte sie, wie ihr die Krankheit jede Lebensfreude nehme. Sie leide massiv unter den Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung, die sie ein Leben lang fortsetzen müsse. Einen Partner fürs Leben zu finden, sei ihr nunmehr nahezu unmöglich. Wenn sie damals von der Infektion gewusst hätte, hätte sie nicht mit ihm geschlafen, beteuerte die Frau. Der Mann sagte, von seiner HIV-Infektion erst nach der Erkrankung der Frau erfahren zu haben. Ihr will er vor dem ersten Beischlaf damals jedoch gesagt haben, dass er in Wirklichkeit den HIV-Test nicht gemacht hatte.

Das Gericht ließ sich von einem Sachverständigen erklären, dass die Frau tatsächlich mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit von dem Mann angesteckt worden sei - der Experte konnte sogar den Infektionszeitpunkt mit hoher Sicherheit auf die fraglichen August- und Septembertage 2012 eingrenzen.

Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin den ungeschützten Verkehr nur vollzogen habe, weil sie von einem negativen HIV-Test ihres Partners ausgegangen sei. In einem früheren Strafverfahren konnte die Frau nicht beweisen, dass der Beklagte tatsächlich von seiner eigenen HIV-Infektion gewusst habe. Der Mann habe jedoch seine Sorgfaltspflicht gegenüber der Frau schuldhaft verletzt, indem er sie über die Existenz eines negativen HIV-Tests täuschte und sie so zu einem ungeschützten Verkehr verleitet hat, argumentierte das Gericht.

Der Mann behauptete, die Frau habe immer wieder über Onlineportale Partner gesucht. Das bestritt die Klägerin zwar nicht, versicherte aber - in den Augen des Gerichts glaubhaft -, dass sich dabei nichts ergeben habe, zumal nicht mit Intimkontakt. Andere Formen der Ansteckung konnte die Frau nach Meinung des Gerichts gleichermaßen glaubhaft ausschließen.

Das Schmerzensgeld ist eines der höchsten, dessen Zahlung in den vergangenen Jahren an bayerischen Gerichten wegen einer HIV-Infizierung verfügt wurde. Die 23. Zivilkammer verwies aber darauf, dass derzeit über eine insgesamt angemessenes Summe noch gar nicht geurteilt werden könne. Denn niemand wisse, wie sich die Krankheit entwickle - schon eine Grippe könne den Verlauf negativ beeinflussen. Deshalb gehe es derzeit nur um die bisher eingetretenen Schäden.

Das Gericht betonte auch, dass die Frau mit dem Wissen leben müsse, nach heutigen Kenntnisstand "eines inzwischen nicht mehr fernen Tages an Aids sterben zu müssen". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Az.: 23 O 14459/14).

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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