Prozess gegen Aktionskünstler:Protest gegen Appell wird zum Gerichtsfall

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Von Christian Rost

443 Offiziersanwärter standen in Reih und Glied vor Schloss Nymphenburg, als ihnen der Befehl "Habt Acht!" entgegenschallte. Der Ruf kam aber nicht von einem Vorgesetzten, sondern von einem Pazifisten: Der pensionierte Mediziner und Aktionskünstler Günter Wangerin hatte sich im Juni vorigen Jahres unter die 2000 Zuschauer beim Beförderungsappell gemischt, sich auf ein mitgebrachtes Höckerchen gestellt, eine Maske mit dem Gesicht des Bundespräsidenten übergezogen und mit seinem "Habt Acht!" Gehör verschafft. Am Dienstag musste er sich deswegen am Münchner Amtsgericht verantworten. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch.

Zu seinem Termin bei Gericht brachte Wangerin nicht nur seinen Anwalt Hartmut Wächtler mit, sondern so viele Fans, dass die Zuhörerplätze bei Weitem nicht ausreichten. Richterin Gertrud Schröder bat die Stehenden, den Saal zu verlassen, aber wer Wangerin und die Seinen kennt, weiß, dass sie sich nicht so leicht vertreiben lassen. Ein hitziges Wortgefecht entbrannte - schließlich durften sich die Zuhörer auf den Boden setzen, was die zumeist älteren Semester auch brav taten. Manche lagen sogar, um die Verhandlung bequem verfolgen zu können.

Der Staatsanwalt warf dem 70-jährigen Angeklagten vor, die Zeremonie der Bundeswehr gestört und sich auf Aufforderung nicht entfernt zu haben. Dazu muss man wissen, dass die Bundeswehr-Universität zunächst die Bevölkerung zum Appell groß eingeladen und dann wieder ausgeladen hatte, als sich Demonstranten ansagten. Es kamen aber trotzdem etliche Neugierige und nicht nur Angehörige der Soldaten. Das führte auch Wangerin in seiner ausführlichen, in großen Teilen politischen Erklärung an. Und aufgefordert, das Gelände zu verlassen, habe ihn niemand. Stattdessen hätten ihn zwei Feldjäger grob von seinem Sockel gestoßen, ihn mit einem "kontrollierten Nasenhebel" fixiert, was schmerzhaft gewesen sein muss, und abgeführt. "Dagegen habe ich verbal protestiert", so der Angeklagte.

Einer der Feldjäger, ein 28-jähriger Oberfeldwebel, sagte im Zeugenstand, er und sein Kamerad hätten Wangerin mehrfach aufgefordert zu gehen. Als er dem nicht gefolgt sei, habe man "den Herrn Doktor zu Boden geführt". Dass das eine sehr verharmlosende Beschreibung für die handfeste Behandlung des Mediziners ist, wissen all jene, die den Zugriff beobachtet hatten. Auch zwei Studenten, die als Zeugen geladen waren. Beide betonten, dass Wangerin von den Soldaten "ohne jede Kommunikation" vom Podest gerissen worden sei. Es stand also Aussage gegen Aussagen, weswegen noch ein weiterer Soldat, der momentan in Afghanistan ist, gehört werden soll.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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