Prozess am Landgericht München:Frau verzockt Sozialhilfe von Verstorbenen

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Es geht um 439.207 Euro, zerstörtes Vertrauen und ein kaputtes Leben: Eine Mitarbeiterin der Stadt rutscht in die Spielsucht - und finanziert ihre Verluste mit einem Trick: Sie überweist die Sozialhilfe Verstorbener auf ihr eigenes Konto.

Von Christian Rost, München

Sie überwies die Sozialhilfe Verstorbener auf ihr eigenes Konto und finanzierte damit ihre Spielsucht. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Münchner Sozialreferats musste sich am Montag am Landgericht München I wegen gewerbsmäßiger Untreue in 137 Fällen verantworten. Sie gestand, die Landeshauptstadt München um insgesamt 439 207,36 Euro gebracht zu haben. Mit auf der Anklagebank saß wegen Beihilfe ihre Lebensgefährtin, die teils von den Taten wusste und für Überweisungen ihr Konto zur Verfügung stellte.

Silvia J. hatte eine Vertrauensstellung an ihrem Arbeitsplatz im Sozialbürgerhaus Ramersdorf-Perlach. Sie konnte öffentliche Gelder ausgeben, ohne sich dafür groß rechtfertigen zu müssen: 200 000 bis 300 000 Euro zahlte sie monatlich an Sozialleistungen aus. Ihre Gruppenleiterin habe sich für die Fälle, die sie bearbeitet habe, nicht weiter interessiert, sagte J. Eine eigens eingeführte elektronische "Vier-Augen-Kontrolle" - eine regelmäßige Überwachung ihrer Arbeit am Computer - habe nicht funktioniert, weshalb das Programm eingestellt worden sei. Lediglich ein Mal im Jahr kamen Kontrolleure der Stadt ins Sozialbürgerhaus und sichteten stichprobenartig zehn Prozent der Akten - das war das einzige Risiko, das die Verwaltungsfachwirtin bei ihren Unterschlagungen einging. Auf die Spur kamen ihr die städtischen Kontrolleure aber erst, als ihre Bank wegen der vielen Überweisungen einen Fall von Geldwäsche vermutete.

"Es ging nur noch ums Spielen"

Die 52-Jährige lebte mit ihrer 43-jährigen Freundin am Tegernsee. Während einer Urlaubsreise mussten die beiden Frauen einen verregneten Tag überbrücken. Silvia J. vertrieb sich die Zeit an einem Spielautomaten: "Das hat Spaß gemacht." Zurück in der Heimat suchte sie dann immer öfter das Casino in Bad Wiessee auf und zockte auch an ihrem Arbeitsplatz bei Online-Spielen. Selbst während des Parteiverkehrs im Sozialbürgerhauses daddelte J. nebenbei am PC, wie sie einräumte. "Es war Wahnsinn, es ging nur noch ums Spielen", sagte sie. Sie meldete sich auch krank, um möglichst oft das Casino besuchen zu können.

Bald konnte sie sich Verluste nicht mehr leisten. Da erinnerte sie sich an Gesprächsrunden im Kollegenkreis: Beim Kaffee sei öfter darüber geflachst worden, wie man Sozialleistungen aufs eigene Konto umleiten könnte. J. machte Ernst damit: Sie erfand fünf fiktive Personen und verwendete überdies die Namen von fünf verstorbenen Leistungsempfängern, um die von ihr veruntreuten Beträge von bis zu 6700 Euro je Überweisung verbuchen zu können. Dabei benutzte sie auch den Account einer Kollegin. Vom 7. Oktober 2010 an bis zu J.s Festnahme am 3. Februar 2014 ging das so.

Das Landgerichtverurteilte Silvia J. zu drei Jahren und vier Monaten Haft. Ihre Lebensgefährtin kam mit einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe davon. Nach ihrer Haftentlassung will Silvia J. in der Altenpflege arbeiten. Spielen will sie nie wieder: "Das hat mein Leben kaputt gemacht." Gelernt aus dem Fall hat auch die Stadt: Auszahlungen werden laut Sozialreferat nun "engmaschiger und nicht berechenbar" kontrolliert. Und im EDV-System wurden Fallsperren installiert.

© SZ vom 23.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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