Protest gegen Abtreibungsgegner:Demonstranten stürmen Kirche

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Von Christian Rost

Ein Pfarrer im Zeugenstand, das kommt nicht häufig vor am Münchner Amtsgericht, und so muss sich die Vorsitzende Richterin, eine Protestantin, erst einmal mit den katholischen Gegebenheiten vertraut machen. Sie fragt Markus Gottswinter, Seelsorger in der Pfarrei St. Ludwig, nach den Personalien und seinem Familienstand. "Ledig", antwortet der Kirchenmann und fügt noch an: "von Berufs wegen". Der 45-Jährige ist am Mittwoch ans Jugendgericht geladen worden, um über einen Vorfall am 28. Februar dieses Jahres in der Kirche St. Ludwig zu berichten.

Laut Staatsanwaltschaft stürmten gegen 20.15 Uhr etwa acht schwarz gekleidete und eine Peace-Fahne schwingende junge Leute einen von Abtreibungsgegnern organisierten Gottesdienst und störten die Anwesenden in ihrer Religionsausübung. Deswegen wurde gegen eine 21-Jährige Anklage erhoben. Die junge Frau soll sich bereits vor dem Gottesdienst an einer Demonstration von 50 Leuten gegen eine Kundgebung von 150 Abtreibungsgegnern, die unter dem Motto "Lichterkette für die Ungeborenen" stand, beteiligt haben. Die Angeklagte gibt das auch zu, sagt aber, sie habe an keiner Aktion in der Kirche teilgenommen, das wäre ihr "zu viel Stress" gewesen. Demnach war sie auch nicht dabei, als die Gegner der Abtreibungsgegner in die Kirche rannten und sich demonstrativ umarmten und küssten vor den irritierten Gottesdienstbesuchern. Ministranten warfen die Störenfriede umgehend hinaus.

Pfarrer Gottswinter, der damals nicht selbst die Messe hielt, sondern als Hausherr nur daran teilnahm, sollte nun die Qualität der Störung beschreiben. "Münchens Gläubige sind einiges gewöhnt", sagte er, es kämen öfter Menschen mit religiösen Neurosen in die Kirche, um sich ungefragt mitzuteilen. Die Aktion der jungen Leute sei da vergleichsweise harmlos gewesen. "Und ihre Fahne hat theologisch ja ganz gut gepasst", weil gerade für Frieden gebetet worden sei. Ob sich denn der den Gottesdienst leitende Pfarrer nicht gestört gefühlt habe?, hakt die Richterin nach. Gottswinter: "Uns Priestern ist es egal, was passiert, wir machen weiter."

So gelassen wie der Pfarrer kann die Staatsanwaltschaft die Angelegenheit nicht sehen - sie will weitere Zeugen dazu hören, ob die 21-Jährige nicht doch in der Kirche war. Weil die Richterin aber erst einmal im Urlaub ist und damit Fristen verstreichen, beginnt der Prozess im September neu. Dann muss auch der Pfarrer wieder in den Zeugenstand.

© SZ vom 30.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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