Protest auf dem Marienplatz:"Wir kommen wieder"

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Mit einem ersten Warnstreik wecken die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Erinnerungen: Kommt nun wieder die Zeit der geschlossenen Kitas? Die Stadt ist schon alarmiert und fände das unverantwortlich

Von Sarah Beham, Heiner Effern und Inga Rahmsdorf, München

Auf dem Marienplatz haben sich Menschen in neongelben und roten Warnwesten versammelt. Plötzlich sind alle einen Augenblick ganz leise, dann ertönt gleichzeitig das schrille Geräusch der vielen mitgebrachten Wecker. Damit wollen die Demonstranten die Arbeitgebervertreter symbolisch aus dem Schlaf reißen und mit ihren Forderungen konfrontieren. Denn die Aktion der Gewerkschaften Dienstagfrüh vor dem Rathaus ist zunächst als ein Weckruf gedacht, und noch keine Auftaktveranstaltung zu wochenlangen Streiks. Trotzdem bekamen einige Eltern die Auswirkungen bereits zu spüren: Nach Auskunft des Bildungsreferates waren fünf der 430 städtischen Kitas zeitweise vormittags geschlossen.

Die Gewerkschaften Verdi sowie Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatten Mitarbeiter der Stadtwerke, der Stadtverwaltung sowie der Kitas zu einem halbtägigen Warnstreik aufgerufen. Und an der Aktion auf dem Marienplatz beteiligten sich laut Verdi etwa 300 Mitarbeiter städtischer Betriebe. Dabei geht es nicht nur, wie bei den wochenlangen Streiks vor einem Jahr, um die Aufwertung der Erziehungs- und Sozialberufe: Am Dienstag begannen die Tarifverhandlungen für alle Beschäftigten von Bund und Kommunen. Bundesweit gingen daher in vielen Städten wie in München Beschäftigte auf die Straße. Die Gewerkschaften fordern sechs Prozent mehr Lohn, was die Arbeitgeber ablehnen.

Abgewandelte Sponti-Sprüche vor dem Rathaus: Als "jung und gehaltbereit" sehen sich die Nachwuchskräfte im öffentlichen Dienst. (Foto: Stephan Rumpf)

"Die Reichen in Deutschland werden immer reicher", sagt Heinrich Birner, Geschäftsführer von Verdi-München. "Für die Beschäftigten bei der Müllabfuhr, den Kliniken oder den Kitas, die jeden Tag für die Bürgerinnen und Bürger da sind, teilweise sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag, soll aber kein Geld da sein. Das ist in höchstem Maße unfair." Die Menge vor dem Rathaus pfeift, klatscht und schwenkt die weiß-roten Fahnen. Sechs Prozent seien finanzierbar, notfalls müsse die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden, ruft Birner.

Außerdem befürchten die Arbeitnehmervertreter, dass die betrieblichen Zusatzrenten gekürzt werden könnten. "Wenn die kommunalen Arbeitgeber weiter daran festhalten, brauchen wir uns wegen der Mobilisierung zu einem Abwehrstreik keine Gedanken machen", sagt Uschi Hofmann, Verdi-Vorsitzende in München. "Ihr arbeitet ein Leben lang Vollzeit und sollt dann Sozialhilfe beantragen? Das ist unwürdig!", feuert Birner die Demonstranten an. Die Gewerkschaftsvertreter fordern zudem 100 Euro mehr für Auszubildende sowie auch 30 Tage Urlaub für sie.

"Aus Solidarität"

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(Foto: Stephan Rumpf)

Annemarie Fingert, 61: "Ich bin aus Solidarität hier. Ich habe bei der IG Metall gearbeitet, jetzt bin ich in Altersteilzeit. Es ist wichtig, dass sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst das Leben in München finanzieren können. Sie erziehen unsere Kinder, bringen ihnen Bildung bei und behandeln uns gut. Die sechs Prozent Lohnerhöhung bekommen sie aber nicht, das ist immer das gleiche Spiel. Sie müssten zwölf Prozent fordern, um vielleicht sechs zu erhalten. Aber unter drei Prozent darf es dieses Mal nicht sein."

"Für 100 Euro mehr"

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(Foto: Stephan Rumpf)

Maximilian Kadach, 20: "Ich streike für 100 Euro mehr Lohn, 30 Tage Urlaub und eine gesicherte unbefristete Übernahme der Auszubildenden. Ich bin selbst Azubi im städtischen Klinikum und habe davor im Bereich Alten- und Krankenpflege gearbeitet, weil ich die Arbeit mit Menschen erfrischend finde. Ich denke, dass unsere Forderungen durchgehen. Wir sind bereit, dafür zu kämpfen. Das wird nicht scheitern. Je besser die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung ist, umso besser ist es in der Pflege."

"Ich verdiene zu wenig"

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(Foto: Stephan Rumpf)

Christina Kekelasvili, 22: "Ich bin seit dreieinhalb Jahren Kinderpflegerin. Ich wollte schon immer einen sozialen Beruf ausüben und mit Kindern arbeiten. Ich streike hier, weil ich für sechs Prozent mehr Lohnerhöhung bin. Ich verdiene zu wenig für das, was ich mache. Ich muss immer mehr erzieherische Aufgaben übernehmen, das steht nicht in meinem Vertrag. Ich hoffe, dass wir die sechs Prozent schaffen, aber ich glaube es nicht. Vielleicht bekommen wir ein bisschen mehr. Und die Rente sieht noch magerer aus."

Personalreferent Thomas Böhle, der die Stadt als Arbeitgeber vertritt, findet den "Weckruf" der Gewerkschaften "vollkommen überflüssig". Natürlich hätten die Gewerkschaften das Recht, auf ihre Anliegen hinzuweisen. Warnstreiks gingen aber zu Lasten Unbeteiligter. "Das ist unverantwortlich. Wenn Kitas geschlossen bleiben, ist das für die betroffenen Familien extrem lästig. Vor einer Ausweitung dieser Aktionen kann ich nur warnen", sagte Böhle. Sechs Prozent mehr Lohn sieht er als wenig realistisch an. "Der Verteilungsspielraum ist überschaubar. Die Kommunen sind extrem belastet. Da sind keine großen Sprünge möglich."

Um neun Uhr packen die Menschen vor dem Rathaus ihre Schilder und Pfeifen wieder ein und gehen zur Arbeit. Doch Martina Meyer, Personalratsvorsitzende der städtischen Kitas, kündigt zuvor noch an: "Wir kommen wieder." Ob die Münchner in den kommenden Wochen noch mit langwierigen Kita-Streiks und Behördenschließungen rechnen müssen, bleibt unklar. Das hänge von den Verhandlungen ab, sagt Birner. Die zweite Runde bei den Tarifverhandlungen ist für den kommenden Montag geplant. "Das heute", sagt Birner, "war eher ein symbolischer Streik."

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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